Neuzeitliche Astronomen haben sich natürlich kundig gemacht und nach Ereignissen am Himmel gesucht, die für das himmlische GPS in einem historischen Sinne in Frage kommen. Im Jahr 12 bis 11 v. Chr. (also für die Geburt deutlich zu früh) war der Halleysche Komet zu sehen, der alle 75 Jahre wiederkehrt, wie Johannes Kepler herausfand. Zeitlich etwas besser positioniert, dafür ansonsten weniger spektakulär, gab es 7 v. Chr. eine große Konjunktion der drei Planeten Jupiter, Saturn und Mars im Sternbild der Fische, wobei die Fische immer dem »fruchtbaren Halbmond«, also auch Palästina, zugeordnet waren und der Fisch als Symbol der Christen galt, weil griechisch ichthýs mit seinen Buchstaben für iēsoûs (›Jesus‹), christós (›der Gesalbte‹), theoû (›Gottes‹), hyiós (›Sohn‹) und sōtér (›Retter‹) standen.
Hinzu kam noch, dass die eng nebeneinander am Himmel stehenden Planeten eine besondere Helligkeit erzeugten: Astronomen sprechen von einem Zodiakallicht, das aus der Bestrahlung der interstellaren Materie zwischen Sonne und Erde resultiert. Wie der Astronom Konradin Ferrari d’Occhieppo herausgefunden hat, strahlte dieses Zodiakallicht, von Jerusalem aus gesehen, genau in Richtung Süden, also nach Betlehem, übrigens auch nach Edom, der Heimat der herodianischen Königsfamilie. Auch weitere Konstellationen kommen in Frage, von denen allerdings keine das Zeug dafür hat, vor Beobachtern herzuziehen und sie an einen Ort zu führen. Über irgendeine Form von astronomisch akzeptablem Wissen (auch nach dem Kenntnisstand der damaligen Zeit) kann Matthäus ohnehin kaum verfügt haben. Aber er hatte ja letztlich Besseres: den Sternenglauben der Zeit, nach dem irdische Ereignisse mit himmlischen verknüpft sein müssen.
Letztlich wollte Matthäus eine dramatisch-eindrucksvolle Geschichte erzählen, die nebenbei zeigt, wie sehr dieser Neugeborene von Anfang an gefährdet war, den man ja später wirklich ans Kreuz nagelte. Und so macht Matthäus Herodes für seine Zeitgenossen wohl immer noch überzeugend zum Gegenspieler des neugeborenen Kindes. Im Übrigen geht die Geschichte für Jesus selbst vorläufig ja gut aus. Denn erstens kommt es zur berühmten Szene, in der die Könige im Stall eintreffen und als Zeichen ihrer Huldigung ihre Gaben abliefern. Damit ist ihre Aufgabe erfüllt, sie ziehen weiter, ohne noch einmal mit Herodes zusammenzutreffen. Dessen Soldaten aber erwischen nicht das richtige Kind, weil es längst weg ist. Die Eltern fliehen mit Jesus nach Ägypten, wo sie den Tod von Herodes abwarten, ehe sie zurückkehren. Wir kennen schon die unkonkrete Vorausdeutung, die Matthäus damit verbindet. Aber man sieht auch den Hintergrund der Erfindung: Die Ereignisse um die Geburt Jesu ähneln der Geschichte des jüdischen Volkes, das ja ebenfalls nach Ägypten floh (in diesem Fall, weil es an Nahrungsmitteln mangelte) und später in sein angestammtes Land zurückkehrte. Wobei auch noch der Kindermord seine Parallele besitzt. Auch der damalige Pharao ließ die Erstgeborenen des jüdischen Volkes ermorden, weil er fürchtete, sie würden in Ägypten die Macht übernehmen. Und auch in diesem Fall entwischte das »wichtigste« Kind, nämlich Mose, der dann zum Führer seines Volkes aufstieg.
Der Betlehemitische Kindermord. Ausschnitt des Bodenmosaiks im Dom von Siena
Es könnte allerdings auch sein, dass dem »mythologischen« Motiv der Weisen aus dem Morgenland ein konkretes geschichtliches Ereignis als Anregung diente. Denn im Jahr 66 n. Chr., diesmal also in unmittelbarer Nähe zur Abfassungszeit des Evangeliums, gab es einen spektakulären Auftritt vor Kaiser Nero in Rom, der unter anderem von einem ganz unabhängigen Autor bezeugt wird, nämlich von Plinius dem Älteren, dem römischen Flottenkommandanten mit naturkundlichen Interessen, in dessen Naturgeschichte (30,6,16 f.). Der armenische König Tiridates war mit dreitausend Reitern auf dem Landweg nach Italien gezogen, um genau das zu vollziehen, was die Heiligen Drei Könige getan hatten: nämlich dem Gott-Kaiser zu huldigen. Plinius bezeichnet sie übrigens ausdrücklich als »Magier«. Die pomphaften Umstände kann man sich leicht ausmalen. Ob Matthäus von dem aufsehenerregenden Ereignis gehört hatte und die Anbetung in Betlehem als Gegenstück konzipieren wollte (wie der Theologe August Strobel vermutete)? Gegen die Utopie vom römischen Weltfrieden, der auf Waffengewalt gründete, die Utopie von einem ganz anderen Frieden, der vom Kind in der Krippe ausgeht? Gegen die dreitausend Perser die Heiligen Drei? Und nicht zuletzt: gegen den Weltherrscher in Rom, der vor gerade einmal zwei Jahren anlässlich des Brandes von Rom die Christen als Verursacher verdächtigte, weil man ihn selbst im Verdacht hatte, und sie bevorzugt als lebendige Fackeln verbrennen ließ?
Die Erfindung des Weihnachtsfestes
Anfänge des Kirchenjahres
Die frühe Kirche hatte das Problem jeder Religion: Sie musste für die Durchsetzung ihrer Lehre angemessene Formen finden. Da die ersten Mitglieder Juden waren, orientierte man sich an deren Gebräuchen. Paulus feierte nach dem Zeugnis der Apostelgeschichte die drei Hauptfeste des Judentums zusammen mit den Juden: Pessach-Ostern, Pfingsten und das Laubhüttenfest. Bei jedem nächsten Schritt aber sann man auf Abgrenzung.
Dies zeigt sich bereits an der Übernahme der Siebentagewoche. Die Römer kannten sie nicht, sie benutzten eine Achttagewoche mit den Kalenden, Nonen und Iden als den Markttagen. Allerdings gibt es die Siebenteilung schon sehr viel früher im Zweistromland, wo man eine Gliederung des Mondmonats in vier (fast) gleiche Phasen zu je sieben Tagen mit entsprechendem Ausgleich vorgenommen hatte. Die Juden übernahmen das Schema ohne Bezug auf Mondphasen bzw. Monatsgrenzen, weil es zum Schöpfungsbericht im Alten Testament mit der Erschaffung der Welt an sieben Tagen inklusive des Ruhetages am Ende passte. Dabei lag dieser Ruhetag auf dem Samstag, dem Sabbat. Als die Christen das Schema aufgriffen, verlegten sie den Ruhetag auf den Sonntag, den »Tag des Herrn«. Schon Paulus notiert es in seinem Brief an die Galater (Gal 4,10 f.) nicht ohne polemischen Unterton: Der jüdische erste Tag der Woche wird bei den Christen zum letzten. Seit dem 2. Jahrhundert gibt es Zeugnisse für den Sonntag als den Tag, an dem die Gemeinde Eucharistie feierte.
Dann folgte die Bestätigung von höchstmöglicher Stelle. Kaiser Konstantin erklärte 321 den Sonntag zum Ruhetag für Richter, Stadtbevölkerung und alle Erwerbstätigen mit Ausnahme der Bauern, nachdem er das Christentum zwar noch nicht als Staatsreligion, aber als wichtigste des römischen Staates installiert hatte.
Noch viel gravierender aber gestaltete sich die Umformung von Pessach als dem höchsten Fest der Juden, das eng mit dem Kreuzestod Jesu verknüpft war. Schon immer hatten die Juden das Kommen des Messias in der Nacht vor dem Frühlingsvollmond erwartet. In dieser wichtigen Nacht war auch der Auszug aus Ägypten erfolgt, aus der Sklaverei, die dann mit dem Pessachfest für immer in Erinnerung gehalten wurde. Dieses jüdische Hauptfest dauerte sieben Tage im Frühlingsmonat Nisan, mit dem Höhepunkt am 15. Tag nach Neumond, dem Mazzotfest. Die Kreuzigung Jesu aber war genau in die Zeit des Pessachfestes gefallen, auch wenn sich die Evangelisten über die genauere Abfolge der Ereignisse (das Abendmahl verlegen die Synoptiker auf Donnerstag, Johannes auf Freitag) nicht einig sind, nur darin, dass Kreuzigung und Tod auf einen Freitag, die Auferstehung auf einen Sonntag fiel. Für uns ist wichtig, dass das Christentum mit Ostern sein erstes zentrales Fest erhielt. Weiter, dass sich dieses Fest an das jüdische Pessachfest anlehnte, weil die historischen Abläufe eben miteinander verbunden waren. Das bedeutete: Gefeiert wurde nach dem Mondkalender, den Zeitpunkt bestimmte der erste Frühlingsvollmond. Ostern war damit ein bewegliches Fest (Luther sprach später von einem »Schaukelfest«, das er gerne auf einen fixen Termin gelegt hätte: den 25. März). Nur setzten damit sofort größte Schwierigkeiten ein.
Unter den Judenchristen gab es – erster Streitpunkt – eine Gruppe, die den Wochentag der Kreuzigung als Ostern beging, während die Heidenchristen den Tag der Auferstehung, also immer den Sonntag, bevorzugten. Der zweite Streitpunkt