Licht zwischen den Bäumen. Una Mannion. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Una Mannion
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783958299894
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Trägerkleid und die Kniestrümpfe waren mit getrocknetem Schlamm verkrustet. So sanft wie möglich drückte ich sie auf die weißen Bodenkacheln, damit sie sich mit dem Rücken an den Schrank unter dem Waschbecken lehnen konnte. Sie zitterte. In Mrs Bouchers Bad war alles weiß und mit Monogramm versehen.

      »Warte kurz.«

      Ich rannte zum Wäscheschrank, schnappte mir ein paar braune Handtücher und eilte zurück. Ellen sah aus wie ein Gespenst, wie sie da in Mrs Bouchers Bad saß, das Gesicht bläulich-weiß, heller als das Waschbecken und der Unterschrank in ihrem Rücken. Die Adern an den Schläfen und auf der Stirn zeichneten sich ab, und die Linien der dunklen Venen unter ihren Augen und seitlich an den Wangen wirkten schwärzlich, als wäre ihre Haut durchsichtig geworden. Ich legte die weiße Badematte in die Wanne und breitete ein Handtuch auf dem Boden aus.

      »Rutsch rüber.«

      Ellen stemmte sich hoch, ich schob das Handtuch unter sie und legte ihr ein weiteres um die Schultern. Dann drehte ich das Wasser auf, stellte es warm und hielt einen braunen Waschlappen darunter.

      »Ich bin ganz vorsichtig, versprochen.« Ich wrang den Waschlappen aus und berührte damit ganz sanft Ellens Gesicht, unter dem Auge, wo die Wunde noch immer blutete. Ellen schrak zusammen, zuckte zurück und schlug sich den Kopf am Schrank an.

      »Autsch!«

      »Lass mich das nur kurz säubern.« Ich tupfte ihr die Schrammen im Gesicht ab, wischte ihr den Dreck vom Kinn. Meine Hand zitterte. Sie ist aus einem Auto gesprungen. Ich hob das Handtuch an und betrachtete noch einmal ihren rechten Arm und ihr rechtes Bein. Beide waren abgeschürft. Die Schrammen waren nicht tief, dafür aber lang und von Dreck und Rollsplitt schwarz gesprenkelt. Ich schaute in Mrs Bouchers Medizinschrank über dem Waschbecken und entdeckte ein Fläschchen mit Wasserstoffperoxid.

      »Schau weg.« Ellen wandte das Gesicht ab, und ich goss den Drehverschluss voll und leerte ihn über ihren rechten Arm. »Wir müssen dir das Hemd ausziehen.«

      Ich öffnete die Knöpfe an den Schultern ihres Trägerkleids und klappte es bis zur Taille herunter. Ellen zog sich das Hemd über den Kopf, zuckte kurz, als sie den rechten Arm hob. Dann drückte sie das Handtuch an die Brust, krümmte sich etwas zusammen. Sie sah so klein aus in ihrem weißen Bustier, mit dem wir sie aufzogen, weil sie es noch gar nicht gebraucht hätte. Der Rollsplitt zog sich über ihren ganzen Unterarm, bis zum Ellbogen und dann weiter hoch bis zur Schulter. Ich wurde den Gedanken nicht los, dass sie sich vielleicht den Kopf angeschlagen hatte und es nicht mehr wusste, oder dass sie innere Verletzungen haben könnte. Sie war so krankhaft bleich. Dann fing sie an zu erzählen.

      »Nachdem ihr weggefahren wart, wollte ich erst nach Hause laufen, aber ich wusste, irgendwann stehe ich im Stockdustern, weil es ja schon dunkel war. Mir ist klar, wie blöd das war, aber ich wollte trampen.«

      »Oh Scheiße, Ellen, nein!«

      »Ich bin ein paar Meter gelaufen, dann habe ich mich einfach in Fahrtrichtung umgedreht und den Daumen rausgestreckt. Ich hatte Angst, aber ich dachte mir, Trampen ist besser als durch die Dunkelheit zu laufen. Ich hatte den Daumen noch keine halbe Minute draußen, da hielt ein Wagen an.«

      Ich rutschte von ihr weg und richtete mich auf den Knien auf, um den Waschlappen in Mrs Bouchers Waschbecken auszuspülen. Mit dem Blut flossen schwarze Splittstückchen heraus.

      »Es hat also ein Wagen gehalten. Und dann?«

      »Er blieb direkt neben mir stehen. Schwarz, ziemlich tiefgelegt. Ich hab gar nicht geguckt, wer am Steuer sitzt. Hab einfach nur die Beifahrertür aufgemacht, bin eingestiegen und hab mir gedacht, was ich für ein Glück habe, so schnell eine Mitfahrgelegenheit zu finden.« Sie zupfte an ihren Haarspitzen herum. »Den Fahrer hab ich erst gesehen, als wir schon wieder fuhren. Ich hab mich zu ihm gedreht, um mich zu bedanken, da hab ich ihn gesehen. Und gewusst, dass ich einen Fehler gemacht hatte.« Ihr rechtes Bein fing an zu zittern. »Er sah total gruselig aus. Er hatte lange weißblonde Haare, so lang, dass er fast drauf saß.«

      »O Gott!«

      »Es waren Haare wie bei einer Barbie-Puppe, nur eben an einem Mann, und mehr so weißlich.«

      »Wie alt war er?«

      »Weiß ich nicht. Dreißig vielleicht? Oder älter? Er sah aus wie Gregg Allman, du weißt schon, von den Allman Brothers, nur in hässlich. Sogar seine Augenbrauen waren weiß.«

      »Wie bei einem Albino?«

      »Nein.« Ellen schüttelte den Kopf. »Nicht wie bei dem Jungen in Beas Klasse. Die Haare haben geglänzt, als wären sie nicht echt, wie bei einer Puppe. Er hat gefragt: ›Wo musst du hin?‹, und ich hab ihm, gesagt, zum Valley Forge Mountain und dass er mich an der überdachten Brücke rauslassen kann. ›Klar‹, hat er gemeint. Aber wir waren noch gar nicht weit gekommen, da legt er mir plötzlich die Hand aufs Bein, ungefähr am Knie, und hat es so leicht gerieben.«

      Sie schwieg kurz.

      »Ich wusste nicht, was ich machen soll. Ich hab nichts gesagt. Er ist einfach weitergefahren, mit der Hand auf meinem Bein, und dann hat er die Hand nach oben geschoben. Bis ganz nach oben am Bein. Ich konnte mich nicht bewegen, um seine Hand wegzustoßen, obwohl sie schon so weit oben war, wie’s überhaupt geht.«

      Ellen holte tief Luft. Ihre Stimme war fest, sie schluchzte auch nicht, aber aus ihren Augen liefen Tränen.

      »Als das Auto auf die überdachte Brücke zufuhr, hab ich gesagt: ›Sie können jetzt hier halten, dann steige ich aus‹, aber er hat nicht geantwortet. Er ist einfach weitergefahren. Da wusste ich, er wird mich nicht rauslassen. Und als wir an dieser schlimmen Kurve waren, kurz vor der Brücke, wo er wirklich bremsen musste, bin ich rausgesprungen. Ich hatte die Hand schon am Türgriff, dann hab ich sie einfach aufgestoßen und bin rausgesprungen, ein bisschen gestolpert und hingefallen und auf die Fahrbahn gerollt.«

      Ich hatte das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden, schwarze Punkte und silbrige Blitze tanzten am Rand meines Sichtfelds. Als ich wieder sprechen konnte, hörte sich meine Stimme an wie aus weiter Ferne.

      »Waren noch andere Autos unterwegs?«

      »Nein, aber er hat gleich vor mir gehalten. Ich konnte die roten Bremslichter sehen. Er ist ausgestiegen. Ich dachte, er will mich zurückholen, aber wahrscheinlich wollte er nur die Tür zumachen. Ich bin aufgesprungen und über die Straße in Richtung Bach gerannt. Die Uferböschung runter und direkt ins Wasser, kurz vor der Brücke. Es ging mir nur bis zur Taille, ich wollte darin weiterlaufen, aber da kam ich nur in Zeitlupe voran und bin immer wieder ausgerutscht. Die Steine waren total glitschig.« Sie sah auf ihr Kleid hinunter. Ich konnte den Rand erkennen, den das Wasser aus dem Bach darauf hinterlassen hatte, den Schlamm an ihren Kniestrümpfen. »Als ich am anderen Ufer war, bin ich durch den Wald gerannt, so schnell ich konnte, obwohl ich wusste, dass er mir gar nicht folgt.«

      »Warum bist du nicht runter nach Yellow Springs und hast dort an einem Haus um Hilfe gebeten?«

      Ellen schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Ich bin einfach nur in den Wald gerannt. Immer den Berg rauf, weil ich wusste, da findet er mich nie. Ich bin einfach immer weitergelaufen. Und dann hab ich endlich Lichter gesehen. Eins von den Häusern hinten am Hamilton Drive.«

      »Da warst du schon fast zu Hause. Warum bist du nicht nach Hause gegangen?«

      Ellen zuckte die Achseln. »Mir ist wieder eingefallen, dass du freitags immer hier bist. Mom bringt mich um, wenn sie hört, dass ich getrampt bin.« Sie wischte sich mit dem unverletzten Handrücken die Nase. »Und außerdem bin ich immer noch sauer.«

       4

      So früh am Morgen war es im Schatten der Bäume noch kühl. Ich blieb stehen, sog den Geruch nach Lehm und feuchter Erde ein. In der Ferne summte eine Kreissäge ihre unmelodische Tonleiter, mal schrill, mal dumpf, und irgendwo wurde ein Rasenmäher angeworfen. Es war Samstag, der erste Tag der Sommerferien, und der vertraute Wald und die alltäglichen Arbeitsabläufe da draußen in der Welt beruhigten mich, wenn auch nur für einen kurzen Moment. Ich hatte kein Auge zugemacht.