Die sieben Minister kamen einer nach dem andern ins Zimmer herein und der Kanzler von Sanftmut trat ein wenig vor.
»Verzeihen der Herr König,« sagte er, »aber es geht nicht!«
»Was geht nicht?« fragte der König.
»Der Herr Hofoberhenker hat erklärt, daß es nicht geht,« fuhr der Minister mit trauriger Miene fort.
König Krökel wurde ungeduldig.
»Was nicht geht, will ich wissen!« rief er.
»Mit Eurer königlichen Erlaubnis,« antwortete der Kanzler, »der Herr Oberhofhenker hat erklärt, daß es nicht geht, daß er dem Kalendermann zuerst den Kopf abschlage und ihn dann aufhänge.«
»So?« rief König Krökel entrüstet. »Das geht nicht! Warum geht es denn nicht? Ich habe es doch befohlen?«
»Verzeihen der Herr König,« erwiderte Herr von Sanftmut, »der Oberhofhenker hat gesagt, es ginge nicht, weil dann, wenn er dem Kalendermann erst den Kopf abgeschlagen habe, nachher nichts mehr da sei, um ihn dran aufzuhängen. Darum also ginge es nicht!«
»So!« sagte der König langsam. »Darum also geht es nicht? – – Ja!« fuhr er fort und juckte sich hinter dem Ohr, »wenn es eben durchaus nicht geht, dann geht es nicht! – Aber was melden wir denn da der kleinen Prinzessin Fanfrilla, die sich beim Filetschürzchenhäkeln so sehr über den Kalendermann und seinen dummen Februar geärgert hat?«
»Wenn ich mir erlauben dürfte,« sagte der Kanzler mit einer tiefen Verbeugung, »dem Herrn König einen Rat zu geben, so würde ich vorschlagen, den Kalendermann morgen in den Wald Surresum zu schicken, um die Prinzessin um Verzeihung zu bitten!«
»Sehr gut, lieber Sanftmut!« nickte der König. »Sehr gut! Aber sagen Sie ihm, er soll seinen Sonntagsrock anziehen. – Und nun laßt mich jetzt endlich in Ruhe, ich bin fürchterlich müde.«
Die sieben Minister machten wieder jeder sieben Verbeugungen und gingen ganz leise aus dem Schlafzimmer, da der König Krökel schon so laut und feierlich schnarchte, wie nur ein echter König schnarchen kann.
Am anderen Morgen hatte die kleine Prinzessin schon ganz früh Hexstunde. Die hatte sie sehr gern, weil sie dabei ihr gelbseidenes Hängekleidchen anziehen und Ginster in die Locken stecken und einen großen Ginsterzweig in die Hand nehmen mußte. Sie stand an der zweiten Quelle, spiegelte sich und zupfte noch ein paar Blüten im Haar zurecht.
»Ich bin wirklich eine ganz hübsche kleine Hexe!« lachte sie; und das war sie auch.
Dann machte sie rasch wieder ein sehr ernstes Gesicht, denn die Urgroßtante kam schon am Stock aus der Hütte herausgewackelt, ein paar dicke Bücher unter dem Arm. Die Ginsterhexe setzte sich hin und die Prinzessin Fanfrilla kauerte sich zu ihren Füßen.
»So,« sagte die Alte, »nun sag mal zuerst die Zaubersprüche, die ich dich neulich gelehrt habe.« Die Prinzessin fing an:
»Hokus! Pokus! Holderbusch!
Surre! Surre! Husche! Husch!
Stein zu Stein und Bein zu Bein!
Springe über Stock und Stein!«
»Wozu ist das gut?« fragte die Tante Hexe.
»Wenn einer sein Bein gebrochen hat,« antwortete die Prinzessin.
»Ja,« sagte die Alte. »auch wenn einer den Arm oder sonst was gebrochen hat. – Ein anderes Sprüchlein!«
Das kleine Mädchen sang schnell:
»Bluttröpflein rinnt – Kätzelein spinnt,
Bienelein surrt, Käterlein schnurrt,
Täubelein lacht auf dem Dache und gurrt –
Gu – rrh – rrh – rrh –
– Still soll das Käterlein hocken
Bluttröpflein stehn und stocken!
Uh – uh – uh – –
Das muss man sagen, wenn sich einer in den Finger geschnitten hat!« fügte sie hinzu.
»Ja und überhaupt bei jeder Wunde,« sagte die Alte, »damit sie sich gleich schließt und heilt. Und nun wollen wir zu etwas anderm übergehen!«
Sie rief eine große grüne Eidechse heran, die auf einem glatten Steine in der Sonne lag. Die Eidechse huschte behend daher und ließ sich ruhig von der Alten auf die Hand nehmen. Die Ginsterhexe zeigte der kleinen Prinzessin all die vielen seltsamen Zeichen, die das Tierchen auf dem Rücken trug. Das waren alles merkwürdige Beschwörungsworte, die die Eidechsen von dem alten Zauberkönig Salomon gelernt hatten, dessen Gespielen sie einst waren. Dann zeigte die Tante Hexe der kleinen Prinzessin Fanfrilla einen dicken, gelbroten Salamander, der in einem kleinen Tümpel neben der Quelle wohnte.
»Der Salamander,« sagte sie, »ist noch ein alter Freund meines seligen Mannes, des Zauberers Kakerlak, er ist überall hin mit uns durch die Welt gezogen. Der Salamander kann jedes Feuer löschen, wenn es noch so heiß ist!«
Dann erklärte sie der Kleinen, wie man es anstellen muß, um in den Sommernächten die Elfen zu beschleichen, wie man die berühmte Huzzelpuzzelsuppe kocht, die die Wurzelmännchen so gerne essen, wie man den Besen bindet, den die Hexen zum Reiten benutzen, und dergleichen nützliche Dinge mehr. Die kleine Prinzessin Fanfrilla hörte sehr aufmerksam zu und die alte Hexe war also recht zufrieden mit ihr. Daher nahm sie auch, als der Unterricht zu Ende war, zur Belohnung den großen Hexenbonbon aus der Tasche und gab ihn ihr.
So ein Hexenbonbon ist der allerbeste Bonbon, den es gibt. Er wird aus Schlangeneiern, Tausendfußbeinen und etwas schmutzigem Harz zubereitet, aber er schmeckt gerade so wie Marzipan mit Schokolade. Das schönste aber an so einem Hexenbonbon ist, daß man daran immer lutschen und suckeln kann, ohne daß er kleiner wird. Die kleine Prinzessin bekam den Hexenbonbon immer, wenn sie sehr brav gewesen war, auf eine Stunde zum Lutschen, dann mußte sie ihn der Tante Hexe wieder abliefern.
Die Ginsterhexe watschelte wieder in ihre Hütte zurück, um Latein zu lernen, während sich Prinzeß Fanfrilla zwischen die gelben Büsche setzte.
»Hm! – Nam! Nam!« sagte sie und steckte den großen Hexenbonbon in den Mund. Sie war aber noch gar nicht in den rechten Lutschgenuß gekommen, als sie plötzlich ein klägliches Räuspern vor sich hörte. Sie blickte auf und sah einen seltsam aufgeputzten Mann in einem alten Frack, der überall mit Flicken besetzt war. Er hatte ein richtiges Leichenbittergesicht und schien eine schreckliche Angst zu haben.
»Brr!« sagte die Prinzessin Fanfrilla, »was bist du für ein komischer Kauz! Ich rate dir, mach ein lustiges Gesicht, denn die Tante Hexe kann durchaus keine griesgrämigen Gesichter leiden! Wenn sie dich sieht, hackt sie ein Mus von dir, um ihre Fledermäuse zu füttern!«
Der närrische Mann zitterte von oben bis unten.
»Na, komm mal her,« sagte die Prinzessin, »sie sieht dich ja nicht! – Warum hast du denn so einen alten geflickten Rock an?«
»Das ist doch mein Sonntagsrock!« erwiderte der Mann. »Den Flicken da an der Schulter habe ich von dem berühmten Cäsar geschenkt bekommen und den da am Knie vom Papst Gregor und den da – «
Die Prinzessin dachte, der arme Kerl wäre verrückt geworden.
»So?« sagte sie, »das ist aber mal komisch, Päpste und Kaiser schenken einem doch keine Flicken!«
»Ich habe sie ganz wirklich und wahrhaftig von ihnen geschenkt bekommen,« jammerte das Männchen, »und es steht auch in vielen Büchern drin, daß es so ist!«
»Laß nur gut sein,« antwortete die Prinzessin Fanfrilla, »mir ists ganz egal, von wem du die alten Flicken her hast. Aber sag mal, wer bist du denn eigentlich?«
Das kleine Männchen schlotterte mit den Knien, daß es beinahe hinfiel.
»Ich bin der Kalendermann,« weinte es.