Strohöl. Hansjörg Anderegg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hansjörg Anderegg
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783967526967
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Wette. »Der hat uns noch gefehlt.«

      »Spinnt der?«, fragte Hansen leise, unruhig auf dem Sitz hin und her rutschend.

      »Außer dem verdammten Barbarossa«, fügte Rappold düster hinzu.

      »Sie vergessen Judith.«

      »Wer ist Judith?«

      »Ich glaube, das besprechen wir am besten auf dem Präsidium. Was sagt die Spusi?«

      Rappolds Miene verfinsterte sich schlagartig. »Jede Menge Propagandamaterial und Spraydosen aber keine Spur von Sprengstoff.«

      »Hinweise auf das Fracking Testgelände?«

      »Bisher nur auf Papier.«

      Sie hatte so etwas vermutet, hielt aber den Mund. Zudem kannte offenbar niemand den Aufenthaltsort des Hauptverdächtigen Thorsten Kramer.

      »Die Damen und Herren der Gruppe Gaia werden schon noch auspa-cken auf dem Präsidium«, schloss Rappold grimmig. Er winkte einen uniformierten Kollegen vom Transporter herbei und zeigte auf den dürren Herrn Hansen. »Abführen!«

      »Man sieht sich«, sagte sie zum Abschied.

      Hansens Fluch verstand sie nicht, wollte ihn auch nicht verstehen.

      ÜBERLINGEN

      Pater Raphael erhob sich mit einem schweren Seufzer von seinem Schreibtisch und trat ans schmale Fenster. Der Ausblick auf den Klostergarten und die Felder erfrischte die Seele und belebte den Geist wie die Meditation im stillen Gebet. So hatte er die kurzen Pausen stets empfunden. Der Duft von Rosmarin und Thymian wehte vom Kräutergarten herein. Zwei Brüder zupften wuchernden Klee aus, der die zarte Zitronenmelisse zu verdrängen drohte. In der Ferne zog Bauer Weber, sein Gutsverwalter und treuer Freund, die Furchen für die Aussaat von Winterraps – ein Zeichen für das baldige Ende des Sommers.

      Der Prior atmete tief durch, versuchte, sich dem pastoralen Bild ganz hinzugeben. Der innere Frieden aber wollte sich nicht einstellen. So sehr er sich bemühte, den Blick nach draußen zu richten, wanderte er doch wieder zurück zum Schreibtisch. Das offene Buch enthielt keine Psalmen oder Geschichten aus dem Heiligen Land, die Trost und Zuversicht verbreiteten. Es war das genaue Gegenteil der Bibel, eine endlose Reihe von Zahlen und Einzelposten, vor allem auf der Kostenseite. Der Brief der Bank, den ihm Bruder Anselm danebengelegt hatte, besiegelte das weltliche Elend endgültig.

      Es klopfte. Bruder Anselm trat ein. Seine Miene verriet, dass ihn der Inhalt des Briefes ebenso bedrückte wie ihn selbst. Vielleicht noch stärker, denn als Cellerar war er der Herr der Zahlen, verantwortlich für die Finanzen des Klosters. Anselm sah den Brief, nickte betrübt und fragte:

      »Was meint seine Exzellenz, der Bischof?«

      »Die Mittel des Bistums sind ausgeschöpft, sagt er.«

      »Gott stehe uns bei!«, rief Anselm entsetzt. »Die Bank stundet die Rückzahlung nicht länger. Wir haben noch einen Monat, nicht einmal ganz.«

      »Ich habe den Brief gelesen, Bruder Anselm.«

      Er wusste nicht, was er sonst sagen sollte. Rechnen war nie seine Stärke gewesen, aber er konnte sich denken, was es für das Kloster bedeutete, die 450‘000 Euro Schulden nicht zurückzahlen zu können. Der Betrieb müsste eingestellt werden. Das Gut käme unter den Hammer. Ohne weitere Einnahmen müsste das Kloster aufgegeben werden. Mariafeld wäre Geschichte. Er hatte sein halbes Leben hier verbracht, Wurzeln geschlagen wie die Linde im Klostergarten, die er bei der Ankunft gepflanzt hatte. Es war einer der Tage, an denen er die Last des Alters besonders stark spürte. Er fühlte sich matt und leer, am Ende seiner Kraft. Anselms Stimme unterbrach das lange Schweigen:

      »Bruder Raphael?«

      »Entschuldige, ich war in Gedanken versunken.«

      »Du suchst nach einem Ausweg.«

      Nicht einmal dazu reichte seine Energie.

      »Auch ich habe lange nachgedacht«, fuhr Anselm weiter. »Am Ende sehe ich keinen andern Weg aus der Schuldenfalle als den, über den wir uns schon einmal gestritten haben.«

      »Der Verkauf an den Chemiekonzern.«

      »Der Verkauf eines Streifens Land an die NAPHTAG«, präzisierte Anselm. »Die 20‘000 Quadratmeter kann unser Gut ohne große Einschränkungen verkraften, und der Preis, den die NAPHTAG dafür zu zahlen bereit ist, würde all unsere finanziellen Probleme auf einen Schlag lösen. Mariafeld wäre gerettet. Das ist es doch, was zählt.«

      Er blickte seinem Cellerar tief in die Augen, versuchte zu ergründen, was Bruder Anselm sich dabei dachte. Hatte die Aussicht auf den zweifelhaften Geldsegen am Ende den Dämon Gier geweckt? In Anselms Augen lag nichts als bange Hoffnung auf eine Zukunft für das Kloster, ihr Zuhause und das ihrer Brüder.«

      »Hundert Euro für den Quadratmeter sind ein fürstlicher Preis für Ackerland«, gab Anselm zu bedenken.

      Dieses ungewöhnlich großzügige Angebot der NAPHTAG war nicht zuletzt ein Grund, weshalb er den Verkauf bisher kategorisch abgelehnt hatte. Wenn ein gewinnorientierter Konzern bereit war, zwei Millionen für 20‘000 Quadratmeter zu bezahlen, musste er entschlossen sein, alles aus dem Streifen Land zu pressen, was menschenmöglich war. Maria Herzogs Warnung vor Umweltschäden und giftigen Nebenwirkungen für das Klostergut überschattete für einen Augenblick alle andern Gedanken. Schlimmer noch: Musste er wirklich in letzter Not ausgerechnet mit einem Unternehmen Geschäfte machen, das Marias junge Firma sabotierte?

      »Zwei Millionen Euro«, sagte Anselm eindringlich. »Eine solche Gelegenheit, unser Kloster zu retten, gibt es wohl nie wieder. Das sollten wir bedenken.«

      Eine lange Pause entstand, bis das Marienglöcklein zur Vesper rief.

      »Lass uns eine Nacht darüber schlafen«, sagte er.

      »Wir haben nicht mehr viel Zeit.«

      »Ich weiß – eine Nacht noch. Morgen werden wir uns mit Gottes Hilfe entscheiden. Gelobt sei Jesus Christus.«

      »In Ewigkeit, amen.«

      Sie verließen das Arbeitszimmer des Priors, um sich mit den andern Brüdern in die Kapelle zu begeben.

      Luc Kaiser beobachtete vom winzigen Fenster seiner Zelle aus, wie die Mönche in die Kapelle strömten, und schüttelte den Kopf. Was zum Geier sollte am Klosterleben weniger strapaziös sein als die Arbeit am Handelspult?, fragte er sich. Die Glocken läuteten ununterbrochen wie sein Telefon, und die Brüder fanden kaum Zeit, richtig zu scheißen zwischen den vielen Gebeten und Gesängen. Um keinen Preis würde er mit denen tauschen, selbst wenn er an all die Märchen und Wunder der Kirche glaubte.

      Naserümpfend dachte er ans bevorstehende Mahl im Refektorium, das ihn schon das erste Mal ans einzige Ferienlager auf der schwäbischen Alb erinnert hatte. Die Eltern glaubten damals, sein Interesse an der Natur zu wecken, erreichten allerdings nur, dass er sich mehr denn je nach seinem Computer sehnte, bis er es nicht mehr aushielt, ausbüxte und eine Großfahndung auslöste. Er hatte seinen Punkt gemacht, und der galt bis heute. Die paar Tage als Gast im Kloster Mariafeld waren dennoch seinem kranken Hirn entsprungen. Die drei Kollegen, die er zu diesem Extrem-Urlaub überredet hatte, Aktienhändler verschiedener Banken, mit denen er sonst nur am Computer verkehrte, fanden den Trip in die Steinzeit anfangs ganz unterhaltsam. Nach zwei Tagen ohne Telefon und stummen Essens am langen Holztisch statt vor dem Bildschirm zeigten sich allerdings auch bei ihnen erste Ermüdungserscheinungen. Nein, von Erholung konnte hier keine Rede sein. Das Klosterleben war selbst für Laien wie sie der pure Stress. Sein »Selbstfindungs-Wochenende« war ein Flop, eine ausgewachsene Schnapsidee.

      Das Essen verlief in stummer Eintracht, wie es die Brüder offenbar liebten. Die Gäste kommunizierten über ironische Blicke, die ausnahmslos nur eines zum Ausdruck brachten: Wir müssen raus hier. Beim Verdauungsspaziergang im Kreuzgang fiel die Entscheidung.

      »Heute Nacht brechen wir aus«, sagte Luc.

      Ein Kollege hatte den Fluchtweg über die Lücke in der Mauer des Klostergartens entdeckt.