Dürnsteiner Würfelspiel. Bernhard Görg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernhard Görg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783903200128
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circa fünfundzwanzig Jahren gekauft. Er ist einer der ersten gewesen, die hier nach dem Weinskandal auf Qualität gesetzt haben. Hat sich für unsere Familie schwer ausgezahlt. Von der Riede da stammt unser berühmter Urgesteinsriesling. Achtzig Prozent der Flaschen gehen in den Export.«

      Malzacher war nicht sicher, ob die Gesichtsfarbe des Weinbauers auf reichlichen Konsum seines Rieslings zurückzuführen war oder darauf, dass er die letzten Wochen schon viel Zeit im Freien verbracht hatte.

      »Dann werden Sie ja wohl keine Flasche für mich übrig haben. Zum Glück, wegen meines Blutdrucks darf ich ohnehin keinen Alkohol trinken.« Er zwinkerte Max Nimmervoll zu. Der zwinkerte zurück.

      »Da kennen Sie aber meinen Urgesteinsriesling schlecht, Herr Chefinspektor. Der hat sogar blutdrucksenkende Wirkung.«

      Felix Frisch, der schnaufend fünf Meter vor Malzacher ging und sich sichtlich ausgeschlossen fühlte, drehte sich um. »Wir sind gleich da. Noch dreißig Meter.«

      »Da bin ich jetzt aber gespannt.«

      Keine Minute später standen sie vor der ausgehobenen Grube. Malzacher sah mit einem Blick, dass Frischs Einschätzung richtig war. Es handelte sich offensichtlich um das Skelett einer Frau. Einer ziemlich zierlichen Frau sogar.

      »Herr Nimmervoll, Sie sagen, dass sich dieser Weingarten seit fünfundzwanzig Jahren im Familienbesitz befindet. Ist er in diesen fünfundzwanzig Jahren einmal umgegraben worden?«

      »Schon, aber nicht hier am Rand. Da müssen wir allein schon wegen der Steinmauer aufpassen, dass sie uns nicht einstürzt.«

      Frisch beeilte sich, in das Gespräch einzusteigen. »Als gebürtiger Kremser kenne ich mich beim Terrassenweinbau aus. Da muss man beim Graben wegen der Steinmauern höllisch aufpassen.«

      »Das heißt aber, dass die Frau da schon seit hundert Jahren hätte begraben sein können.«

      »Habe ich auch gedacht. Bis mir die Sache mit der künstlichen Hüfte aufgefallen ist. Da, schau her.« Der Revierinspektor zeigte mit sichtlichem Stolz auf einen Abschnitt des Skeletts, der weißer war als die angrenzenden Teile und auch weniger verwittert aussah.

      Malzacher trat näher. »Schaut tatsächlich so aus. Gratuliere. Wer hat denn so auf die Hüfte da draufgehaut? Schaut ja ganz frisch aus.«

      Malzacher merkte, dass Max Nimmervoll einen roten Kopf bekam. »Das ist leider meinem David passiert. Wie er mit der Spitzhacke in den Erdboden geschlagen hat.«

      »Kein Grund zur Aufregung. Obwohl es natürlich schöner gewesen wäre, wenn wir das gute Stück völlig intakt in die Hände bekommen hätten. Dann hätten wir nämlich noch die Kontrollnummer der Prothese erkennen können.«

      Malzacher ging in die Knie, was ihm wegen seines Gewichts ziemlich schwerfiel, und beugte sich über das Skelett. Dann nahm er eine kleine Bürste aus seiner Sakkotasche und begann, sorgfältig die Knochen der linken Hand zu säubern. »Eigenartig. Der linke Ringfinger fehlt. Ich bin kein Pathologe, aber es schaut mir nicht danach aus, als ob der Finger fachgerecht von einem Chirurgen amputiert worden wäre. Soweit man das überhaupt noch feststellen kann.«

      Um aufstehen zu können, war er auf die Hilfe des Revierinspektors angewiesen.

      »Danke.« Jetzt schnaufte auch er. Nachdem er wieder zu Atem gekommen war, sagte er: »Wirklich schlau werde ich aus der Geschichte noch nicht. Ich habe zwar keine Ahnung, wann man zum ersten Mal künstliche Hüften eingesetzt hat, aber allzu lang kann das nicht her sein. Da müssten sich doch noch irgendwelche Reste von Kleidern finden lassen. Gummibänder zum Beispiel. Aber keine Spur davon. Und die Sache mit dem Finger gefällt mir auch nicht. Da könnte ein Ring dran gewesen sein, der sich nicht ohne Gewalt hat entfernen lassen. Ich sage es ungern, aber es bleibt mir gar nichts anderes übrig, als diesen Weingarten vorerst zu einem Tatort zu erklären. Heute können wir hier nichts mehr untersuchen. Dafür wird es bald zu dunkel.«

      Der Weingartenbesitzer unterbrach Malzacher aufgeregt. »Sie werden mir doch nicht den ganzen Weingarten umgraben lassen? Wissen Sie, wie lange es braucht, bis ich dann wieder Trauben auf den Stöcken habe?«

      Felix Frisch stellte sich in Positur. »Dann hätten Sie den Köter Ihrer Tochter in die Donau schmeißen sollen. Wäre für alle Beteiligten ohnehin das Gescheiteste gewesen.«

      Malzacher ertappte sich bei dem Gedanken, dass der Revierinspektor gar nicht so dumm war, wie er immer gedacht hatte, versuchte aber, den Weinbauern zu beruhigen. »Keine Sorge. Mehr als zwei, drei Weinstöcke werden nicht dran glauben müssen. Und ich bin natürlich froh, dass Sie den Hund nicht in der Donau entsorgt haben. Mein Kollege hat nur Spaß gemacht. Das Skelett werde ich abtransportieren lassen. Und morgen schicke ich gleich in der Früh die Spurensicherung. Felix, soll ich mit deinem Chef reden, damit der Fleck über Nacht bewacht wird, oder reicht es, wenn du ihm einen schönen Gruß von mir ausrichtest?«

      »Ich werde mich darum kümmern, keine Sorge. Ich werde selbst Wache halten. Da braucht es einen sehr erfahrenen Mann.«

      3. April, 18:35 Uhr

      Seine Frau hatte ihn schon in der Früh gewarnt, dass sie es wegen des Besuchs ihres neuen Chefs möglicherweise nicht zum Elternsprechtag schaffen würde. Daher hatte sie ihn gefragt, ob er eventuell für sie einspringen könnte.

      Erich Lenhart war mit ihr schon zu Beginn der Schulzeit der älteren Tochter übereingekommen, Sprechtage nur im äußersten Notfall zu versäumen, weil deren Besuch auch eine Form der Wertschätzung für die Arbeit der Lehrer war. Er hatte aber Verständnis dafür, dass sie ihren neuen Vorgesetzten nicht gleich am ersten Tag sitzen lassen konnte. Er verschob seine Nachmittagstermine, um selbst in die Schule fahren zu können. Er war daher überrascht über den Anruf seiner Frau, dass sie den Sprechtag doch schaffen würde. Da er selbst schon zur Schule unterwegs war, kam er schnell mit ihr überein, sich die Arbeit zu teilen. Sie würde sich um die Lehrer ihrer Sechzehnjährigen kümmern, er um die ihrer elfjährigen Sophie.

      Als er knapp nach halb sieben in die Wohnung gegenüber der Hesser-Kaserne in der St. Pöltner Innenstadt zurückkehrte, war seine Frau noch nicht da. Das war für ihn keine Überraschung. Lehrer hatten in der Regel über Sechzehnjährige mehr zu erzählen als über Elfjährige, und Eltern mussten sich daher länger anstellen, um etwas über die Leistungen ihrer Sprösslinge aus den Oberstufenklassen zu erfahren.

      Er wusste, dass Sophie eine problemlose Schülerin war. Intelligent, fleißig und darüber hinaus anpassungsfähig. Zuhause war sie manchmal bockig, wenn sie sich in Konkurrenz zu ihrer Schwester Veronika fühlte, aber insgesamt bereit, einen elterlichen Rat anzunehmen. Es kam daher für ihn nicht unerwartet, dass die Lehrer in den Hauptgegenständen nur Gutes über sie zu berichten hatten.

      Aus einer reinen Laune heraus, die er auch mit zwei Stunden Abstand nicht erklären konnte, hatte er sich spontan entschlossen, der Turnlehrerin von Sophie einen Besuch abzustatten. Eigentlich war das völlig unnötig, weil seine Tochter die Sportlichkeit ihrer Mutter geerbt hatte. Alles andere als eine sehr positive Beschreibung durch die Lehrerin wäre für ihn eine Überraschung gewesen.

      Als er an der Tür zur 7a des Gymnasiums in der Hainfelderstraße klopfte, in der die Sportlehrerin auf nachfragende Eltern wartete, hörte er sofort ein sehr freundliches »Herein«. Beim Eintritt bot sich ihm ein für einen Elternsprechtag ungewohntes Bild. Eine sehr sympathische, sportliche Frau, die er auf Anfang fünfzig schätzte, lächelte ihn an. Sie hatte eine hellblonde Haarfarbe, bei der er nicht sicher war, ob sie natürlich oder Chemie war. Die Lehrerin saß mutterseelenallein in dem großen Zimmer, nicht etwa am Pult, sondern auf einem Sessel vor der ersten Bankreihe links vom Zwischengang. Das offene Lächeln, das sie ihm zeigte, erweckte den Eindruck, als ob sie nicht nur erfreut, sondern geradezu dankbar über seinen Besuch war.

      Nachdem er sich vorgestellt hatte, bat sie ihn mit freundlicher, erstaunlich jugendlich wirkender Stimme, Platz zu nehmen. Gleich darauf erlebte er die nächste Überraschung. Die Lehrerin verzichtete auf einen Blick in ihr Notizbuch, wie es sonst üblich war, sondern begann gleich, über Sophie zu sprechen. In Turnen und Sport konnte sie nur das Beste über sie sagen. Und dann setzte sie etwas hinzu,