Dürnsteiner Würfelspiel. Bernhard Görg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernhard Görg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783903200128
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mit ihrem rechten Bein einen kleinen Schwung und lächelte ihren Stellvertreter an.»Du willst wohl wissen, wie es mit dem Marbolt gelaufen ist?«

      »Auch.« Ohne eine Aufforderung seiner Chefin abzuwarten, fläzte er sich in den Holzsessel, der vor dem Schreibtisch stand.

      »Ich bin neugierig, wie lange der Sessel dein Gewicht aushält. Aber sag nicht, dass ich dich nicht gewarnt hätte.«

      »Komm, lenk nicht ab. Wie war’s?«

      »Was erwartest du denn? Du hast ihn doch beim Rundgang erlebt. Interessiert. Gescheit. Und wirklich sehr freundlich. So war er auch im Gespräch mit mir. Von dir hält er übrigens sehr viel.« Sie bemühte sich, ihren Stellvertreter besonders freundlich anzuschauen, in der Hoffnung, dadurch glaubhaft zu wirken.

      »Komm, Doris! Ich sehe dir doch an der Nasenspitze an, dass du mir einen Scheiß erzählst. Der Mann war schon ein Schleimer, als er noch im Büro unseres hochverehrten Herrn Landeshauptmanns gearbeitet hat. Und glaub mir, in der Schule des Innenministers steht auch nicht ›Charakterbildung‹ als Hauptfach auf dem Stundenplan.«

      Malzacher wuchtete seinen Körper von der linken auf die rechte Seite. Der Sessel ächzte und knarzte, als würde er jeden Moment zusammenbrechen. Malzacher schien das nicht im Geringsten zu stören.

      »Spencer, du bist wieder einmal völlig auf dem Holzweg. Er mag dich. Und mich mag er auch.«

      »Dass er dich mag, überrascht mich nicht einmal. Weil du für seine Karriere nützlicher bist als ich. Aber an deiner Stelle würde ich ihm auch nicht über den Weg trauen. Ich weiß nicht, ob es ein Rasierwasser gibt, das sich ›Falscher Hund‹ nennt. Wenn ja, dann wäre er dafür ein ideales Testimonial oder wie das heißt.«

      Malzacher, der die abwehrende Handbewegung seiner Chefin bemerkte, sagte: »Ja, ich bin schon still. Und ich werde ihm selbstverständlich mit aller Loyalität, zu der ich fähig bin, dienen. Aber wegen dem Marbolt allein bin ich gar nicht da. Stell dir vor, wer mich gerade angerufen hat.«

      »Keine Ahnung.«

      »Dieser Unglücksmensch mit Namen Frisch, der sich als Revierinspektor verkleidet hat.«

      »Der hat mir gerade noch zu meinem Glück gefehlt. Wo drückt ihm denn der Schuh?«

      »Er behauptet, in einem Weingarten bei Weißenkirchen zu stehen, in dem Kinder angeblich ein weibliches Skelett gefunden haben.«

      »Der lässt auch nichts unversucht, um auf sich aufmerksam zu machen«, sagte Doris mit einem Kopfschütteln.

      »Vielleicht macht ihm seine Frau die Hölle heiß, weil er noch nicht Gruppeninspektor ist.«

      »Dann muss er entweder gescheiter werden oder sich eine andere Frau suchen. Sag ihm jedenfalls, dass wir für Skelette nicht zuständig sind. Er soll seinen Fund den Archäologen melden. Und du geh nach Hause und mach dir einen schönen Abend.« Sie blickte auf ihre Uhr. »Vielleicht schaffe ich es noch zum Elternsprechtag.« Doris versuchte, ihre Stirnfransen aus dem Gesicht zu blasen, und stand auf. Ihr Stellvertreter blieb sitzen.

      »Da gibt es nur einen Haken. Er behauptet, dass das Skelett eine künstliche Hüfte hat. Ich habe noch nie gehört, dass sich Archäologen für Gelenke aus Kunststoff interessieren.«

      Die Chefinspektorin setzte sich wieder. »Dieser Frisch kann doch nicht einmal ein Knie von einer Hüfte unterscheiden. Wie will so jemand erkennen, ob ein Knochen aus Kunststoff ist?«

      Malzacher feixte. »Vielleicht hat er den Tipp von den Kindern bekommen.« Er stand auf. »Wird mir nichts anderes übrig bleiben, als hinzuschauen. Ich nehme an, dass du keine Lust hast, mich zu begleiten?«

      »Diesmal liegst du mit deiner Annahme ausnahmsweise richtig. Wenn das mit der künstlichen Hüfte wirklich stimmt, kann es ja nicht so schwer sein, die Person zu identifizieren. Meines Wissens haben künstliche Gelenke alle eine Kontrollnummer. Wegen eventueller Haftungsfragen.«

      »Donnerwetter. Was du alles weißt.«

      »Vielleicht kannst du dir bei der Gelegenheit wenigstens einen guten Urgesteinsriesling mitnehmen. Der vom Jamek ist besonders zu empfehlen.«

      »Um Himmels willen. Sag das nicht so laut. Und vor allem nicht vor dem Marbolt. Sonst nützt dir dein ganzes Wissen um Kontrollnummern nichts. In deiner Personalakte wird nur stehen, dass du eine Säuferin bist.«

      3. April, 16:30 Uhr

      Gerhard Malzacher hatte sich entschlossen, zunächst ohne Begleitung durch die Kollegen der Spurensicherung nach Weißenkirchen zu fahren. Auch wenn ihm die Sache mit der künstlichen Hüfte eigenartig vorkam, glaubte er im Moment nicht wirklich an einen Fall für die Mordkommission. Zumal das Skelett auch keine Anzeichen von Gewalt aufwies, wie ihm Felix Frisch versichert hatte.

      Dennoch war der Chefinspektor gar nicht unglücklich über seine Fahrt. Er war nicht wie seine Chefin in der Wachau geboren, aber er liebte diese Gegend, seit er in seiner Schulzeit einen Klassenausflug auf die Ruine Aggstein unternommen hatte. Für ihn als gebürtigen Amstettner war das ein Erlebnis gewesen. Wandertag. Zuerst eine Fahrt mit dem Schiff von Melk nach Aggstein und dann ein Fußmarsch hoch zur Ruine. Er erinnerte sich noch, wie er während des Aufstiegs gestöhnt hatte, weil er schon als Dreizehnjähriger zu den Kindern gehörte, bei denen das Essen besonders gut anschlug. Aber kaum oben angekommen, hatte ihn sofort das Gefühl überkommen, dass sich die Mühe gelohnt hatte. Dabei hätte er gar nicht sagen können, warum.

      Sein Klassenvorstand hatte eine Führung durch die Ruine organisiert. Allerdings mit einem Führer, dem auch ein Halbwüchsiger anmerkte, dass er schon zum neunhundertfünfzigsten Mal den gleichen Text in der gleichen Tonlage herunterleierte. Dennoch hatten die Geschichten vom Rosengärtlein, von dem aus so viele Gefangene in den Tod gestürzt waren, und von den Burgherren, die eine Kette über die Donau gespannt und Handelsschiffe ausgeplündert hatten, die sich darin verfingen, ihre Wirkung auf den kleinen Gerhard nicht verfehlt.

      Die Zeit der Raubrittergeschichten war für ihn allerdings längst vorbei. Ohne dass seine Faszination für die Wachau darunter gelitten hätte. Er fuhr deshalb nicht auf der neuen Brücke im Ostteil von Krems über die Donau. Er entschied sich, bis Mautern südlich der Donau zu bleiben und über die alte Brücke nach Stein und dann weiter in die Wachau zu fahren. Er mochte diese Brücke. Auch wegen ihrer unharmonischen Form. 1945 war sie von den deutschen Truppen, die sich auf dem Rückzug befanden, gesprengt worden. Das hatte ihm vor vielen Jahren ein Kremser Polizeikommandant erzählt. Glücklicherweise war sie wieder aufgebaut worden. Von ihr genoss man einen sagenhaften Blick auf die stromabwärts liegende, viele Jahrhunderte alte Häuserfront von Stein, die dem Namen der Stadt alle Ehre machte. Gleich vier Kirchtürme sprangen dem Betrachter ins Auge. Heute wurden sie von der untergehenden Sonne im Westen angestrahlt wie durch einen Scheinwerfer. Was für ein prachtvoller Anblick!

      Ein paar Minuten später sah er knapp vor Weißenkirchen den Revierinspektor, dem er vor zwanzig Minuten seine ungefähre Ankunftszeit durchgegeben hatte. Er wartete am Straßenrand in Begleitung eines Mannes im Alter von Mitte vierzig. Wahrscheinlich handelte es sich um den Besitzer des Weingartens. Mit einer betont ausladenden Geste bedeutete Frisch dem Chefinspektor, der sich durch seine Lichthupe zu erkennen gegeben hatte, nach rechts einzubiegen. Ohne anzuhalten, fuhr Malzacher bis zum Polizei-Golf, neben dem er einparkte. Er wurde wie ein alter Bekannter von Felix Frisch begrüßt, der ihn dann mit dem Besitzer des Weingartens bekannt machte.

      »Die Kinder des Herrn Nimmervoll habe ich nach Hause geschickt. Ich habe mir von ihnen ihre Geschichte genau erzählen lassen. Meine Kollegin Julia, die mich anfänglich begleitet hat, hat sie zu ihrer Mutter gebracht. Zu viele Leute auf einem Fleck stören nur.« Frisch blickte ganz beflissen auf den stellvertretenden Chef der Mordkommission. Malzacher hatte das Gefühl, dass er sich Lob für seine Umsicht erwartete. Den Gefallen wollte er ihm aber nicht tun.

      »Hätten mich zwar nicht gestört, aber passt schon. Können wir gleich zur Fundstelle gehen?«

      »Selbstverständlich. Wenn es dir recht ist, gehe ich voraus.«

      »Jaja, geh nur.«