Dürnsteiner Würfelspiel. Bernhard Görg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernhard Görg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783903200128
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lernen.

      Eigentlich hatte er gehofft, bereits in der Stellung des Gruppeninspektors mit seiner Kollegin die erfolgreiche Absolvierung ihrer Zeit als Polizeiaspirantin zu feiern, aber aus der Beförderung war noch nichts geworden. Warum, darüber konnte er nur rätseln.

      Julia hatte sich bei der Feier aber auch von ihm als Revierinspektor einen herzhaften Gratulationsschmatz geben lassen. Gestört hatte ihn bei dieser Zeremonie allerdings, dass sie sich gleich nach seinem Kuss die linke Wange mit ihrem rechten Handrücken abgewischt hatte. Zugegebenermaßen war sein Kuss ziemlich feucht gewesen.

      Als sie am Ende der Brücke auf den Kreisverkehr kurz vor Mautern fuhren, läutete das Telefon seiner jungen Kollegin. Nachdem sie abgenommen und kurz zugehört hatte, sprach sie nur das Wort »Verstanden« in den Hörer und legte auf.

      »Felix, ein Hilferuf aus Weißenkirchen, weil die dortigen Kollegen wegen eines schweren Verkehrsunfalls unabkömmlich sind. In einem Weingarten soll eine Leiche gefunden worden sein. Schon ziemlich verwittert. Alles Weitere erzähle ich dir auf der Fahrt.«

      Der Revierinspektor schaltete die Sirene ein und nahm im Kreisverkehr wieder die Ausfahrt Krems. Keine fünf Sekunden später war er erneut auf der Brücke. Diesmal warf er allerdings keinen Blick auf den Braunsdorfer.

      Nach nicht einmal sechs Minuten – durch den Dürnsteiner Tunnel war Felix Frisch mit mindestens hundertvierzig Stundenkilometern geprescht – sahen die beiden Beamten kurz vor Weißenkirchen einen Mann, der am Straßenrand winkte. Felix schoss auf den Mann zu und bremste so spät, dass seine Kollegin in ihrem Sitz nach vorn gedrückt wurde.

      Der Mann, der ihnen gewunken hatte, stellte sich als Max Nimmervoll vor und erklärte ihnen kurz, was seine beiden Kinder gefunden hatten. »Sie können da noch ein paar Meter hinein fahren. Dann müssen sie noch ein Stück zu Fuß gehen. Über die Bahn. Die da oben winken, das sind meine Kinder.«

      »Felix, du kannst allein fahren. Ich begleite Herrn Nimmervoll. Wir sind gleich bei dir.«

      Der Revierinspektor, der enttäuscht war, dass seine Kollegin bis jetzt nicht ein Wort über seine Fahrkünste gesagt hatte, stieg mit gesenktem Kopf ins Auto, startete und fuhr mit durchdrehenden Rädern den gesandeten Weg entlang, an dessen Ende man einen parkenden Geländewagen sehen konnte. Dort stieg er aus und nutzte die Gelegenheit, um seine immer dünner werdenden Haare, die ihm viel Kummer bereiteten, zu kämmen.

      Auch daran war seine Frau schuld, die ihm immer in den Ohren gelegen hatte, sich täglich die Haare zu waschen. Sonst würden sie immer gleich fettig werden. Woher hätte er wissen sollen, dass man vom häufigen Haarewaschen Haarausfall bekommen konnte?

      Als er fertig war, stieg er zusammen mit den beiden Fußgängern, die ihn in der Zwischenzeit erreicht hatten, über die Bahntrasse und dann auf einem schmalen, aber recht bequemen Steig zu den beiden Kindern empor.

      Anna und David kamen ihrem Vater und den beiden Polizisten entgegen. Felix Frisch schätzte den Buben auf zwölf und das Mädchen auf zehn Jahre. Der Bub schien recht vergnügt zu sein, während seine Schwester sichtlich verstört war. Was sie aber nicht daran hinderte, zuerst seiner Kollegin und dann ihm die Hand entgegenzustrecken. »Ihr habt also eine Leiche gefunden. Dann zeigt mal her!«

      Julia wandte sich an das Mädchen. »Dein Vater hat uns erzählt, dass du deinen geliebten Hund begraben wolltest.«

      Das Mädchen nickte verängstigt. »Mama hat es verboten. Hätte ich nur auf sie gehört.«

      Julia hatte die Kleine an der Hand genommen. »Wer weiß, wozu es gut ist. Vielleicht hilfst du dabei, ein Verbrechen aufzuklären. Dann wirst du noch berühmt.«

      Man konnte sehen, dass dieser Gedanke der Kleinen alles andere als unangenehm war. Ein kurzes Lächeln machte ihr trauriges Gesicht gleich freundlicher.

      In der Zwischenzeit hatten sie alle die kleine Grube erreicht. Neben ihr lag ein frischer, etwa siebzig Zentimeter hoher Erdhaufen. Felix Frisch bemerkte auch gleich die beiden Schaufeln und die Spitzhacke, die an einen nahen Weinstock angelehnt waren.

      Als sein Blick in die Grube fiel, schien er enttäuscht zu sein. »Das ist keine Leiche. Das ist ein Skelett«, sagte der Revierinspektor im Ton eines Oberlehrers. Er wandte sich an David. »Gibst du mir eine Schaufel her?«

      Es dauerte keine Minute, bis er das Skelett zumindest an der Oberseite völlig freigelegt hatte. »Auf die Schnelle würde ich sagen, das Skelett einer Frau. Schmale Schultern, breites Becken. Keine Spuren von Gewaltanwendung.«

      »Es gibt hier auch keine Spuren von Kleidung. Jemand muss die Frau hier nackt vergraben haben.« Die Polizistin zupfte nachdenklich mit ihrem rechten Zeigefinger an ihrer Unterlippe.

      Felix lächelte wissend. »Gut beobachtet, Julia. Schaut nach Sexualverbrechen aus.«

      Julia warf dem Revierinspektor einen kritischen Blick zu. »Eine Frau mit einer künstlichen Hüfte kommt sicher nicht hierher, um sich auszutoben«, antwortete sie knapp.

      Felix Frisch war zu überrascht, um das maliziöse Lächeln seiner jungen Kollegin zu bemerken. »Wie kommst du denn darauf, dass die Frau eine künstliche Hüfte hat?«

      Julia, die in der Zwischenzeit Latex-Handschuhe übergestreift hatte, beugte sich über die Grube und wischte an der linken Hüfte des Skeletts etwas Erde beiseite. »Da schau. Das Stück da ist viel heller. Und viel weniger verwittert oder zerfressen.«

      Felix Frisch, der sich schnell wieder gefasst hatte, wandte sich an den Besitzer des Weingartens. »Da können Sie einmal sehen, was eine junge Polizistin unter der sachkundigen Führung eines alten Hasen wie mir lernt. Ist schon toll, unsere Julia. Und nachdem eine künstliche Hüfte ein klarer Hinweis darauf ist, dass die Frau nicht schon seit hundert Jahren hier liegt, werde ich jetzt unsere Kollegen von der Mordkommission in St. Pölten verständigen.«

      3. April, 15:50 Uhr

      Die Chefinspektorin saß in ihrem schmucklosen Büro, in das sie heute früh Blumen gebracht hatte, und starrte aus einem der sechs schießschartenartigen Fenster. Sie dachte über das Gespräch mit ihrem neuen Boss nach. Was für ein himmelhoher Unterschied zu seinem Vorgänger. In der Sekunde, in der er sie über seinen Schritt in die Pension informiert hatte, war ihr klar gewesen, dass sie ihn vermissen würde. So klug, kompetent und im persönlichen Umgang angenehm wie er war. Sie hätte sich jedoch nie träumen lassen, dass ihre Sehnsucht nach ihm bereits nach drei Tagen unter neuer Führung so groß sein würde. Schon möglich, dass dem Innenminister ihre gute Arbeit aufgefallen war. Die Morde, die dank ihrer Hilfe im letzten Jahr aufgeklärt worden waren, hatten immerhin auch in den überregionalen Medien viel Staub aufgewirbelt. Aber warum sollte er ihr deswegen einen Schreibtischjob in Wien anbieten wollen? Ihm musste außerdem klar sein, dass sie daran nicht sonderlich viel Interesse hatte. Sie war sicher, dass ihr möglicher Wechsel nach Wien eine Idee ihres neuen Chefs war. Er wollte sie loswerden, damit er sich mit seinen eigenen Leuten umgeben konnte. Und er hatte offensichtlich schon ihren Nachfolger im Auge.

      Seine Taktik war ihr klar. Zuerst würde er in der Person ihres Stellvertreters den schwächeren Turm beschießen und, sobald der sturmreif geschossen war, sie selbst als eigentliches Ziel attackieren. Die Adresse des Landeskriminalamts hieß »Schanze 7«, früher hatte ihr Name »Auf der Bauernschanze« gelautet. Wie passend für ein Gefecht. Sie würde die Rolle der Scharfschützin übernehmen. Im Fall des Falles würde sie auch keine Skrupel haben, auf den Kredit zu setzen, den ihr die Zeitungen wegen ihrer spektakulären Erfolge eingeräumt hatten. Ihr kam entgegen, dass der »Niederösterreichische Tag« einen kritischen Kommentar über ihren neuen Vorgesetzten verfasst hatte, in dem es hieß, er verdanke seine Ernennung vor allem parteipolitischem Kalkül.

      Ein kurzes Klopfen an ihrer Tür, und schon ging sie auf, ohne dass die eintretende Person auf ein »Herein« gewartet hätte. Obwohl sie ihren Schreibtischsessel so gedreht hatte, dass sie mit dem Gesicht zum Fenster saß, was sie immer tat, wenn sie nachdachte, wusste sie sofort, wer da gleich seinen massigen Körper ins Büro schieben würde.

      Es konnte nur Gerhard Malzacher sein, den alle im Büro wegen seiner Ähnlichkeit mit