Mein Beitrag zu diesem Buch erhebt nicht den Anspruch auf vollständige Wahrheit oder Unfehlbarkeit – ebenso wenig wie ich vedische Quellen über andere geisteswissenschaftliche Quellen erheben will. Vielmehr bitte ich die Leser dieses Buches zu ergründen, zu hinterfragen und konstruktiv zu kritisieren, wenn sie es für erforderlich halten.
Wenn ich mich auf alte traditionelle Quellen berufe, geschieht das zum einen aus meiner sentimentalen Verbundenheit zu diesen Traditionen, zum anderen aus dem Nichtvorhandensein modernerer Quellen, die diese Thematik behandeln.
Ayurveda ist eine traditionelle Lehre, die in unserer Zeit nicht nur eine Renaissance, sondern auch eine konstante Weiterentwicklung erlebt. Daher halte ich das Auseinandersetzen und Verknüpfen mit modernen Erkenntnissen für wichtig, um die geistige Entwicklung der Menschen unabhängig vom kulturellen, religiösen oder spirituellen Hintergrund voranzutreiben.
Mit guten Gedanken! Dominik Behringer
Alexander Pollozek und Dominik Behringer in der Küche
1 Einführung
Historische Quellen der Ayurveda-Medizin
Definition von Ayurveda als Methode
Definition der ayurvedischen Heilküche
Ayurveda in der westlichen Gesellschaft
Die Geschichte des Ayurveda muss genau genommen von zwei Seiten beleuchtet werden.
Es existieren die traditionelle Überlieferung aus vedischem Zusammenhang und eine wissenschaftlich geprüfte Historie.
Beide stehen in krassem Widerspruch zueinander. Da- mit sich jeder ein eigenes Bild machen kann, stellen wir
die beiden einander gegenüber und überlassen dem Leser die Entscheidung, welche Version er für wahrscheinlicher hält. Zuerst wenden wir uns der Darstellung innerhalb der Tradition zu.
In der ayurvedischen Tradition gibt es die Darstellung der Entstehung nur in philosophischem und mythologischem Kontext. Die Entstehung des Ayurveda historisch zu datieren ist ebenso unmöglich wie sinnlos. Er ist eine Wissenssammlung, die aus einem unbestimmten Zeitraum bis zum erstmaligen Niederschreiben vor ebenfalls unbestimmbarer Zeit stammt. Schätzungsweise wird die Wissenssammlung seit etwa 5.000 Jahren betrieben, mit Unterbrechung nach dem Zerfall der vedischen Hochkultur. Die ältesten bekannten Schriften sind ursprünglich etwa 3.000 Jahre alt, aber immer wieder abgeschrieben und heute nur noch aus jüngerer Zeit verfügbar. Das Prinzip der Mahabhutas (5 Elemente) findet sich allerdings schon auf Steinschriften aus Indien, die auf ein Alter von 11.000 Jahren datiert werden können (Die 4 Elemente – Der geheime Schlüssel zur geistigen Macht, Emil Stejnar, Ibera-Verlag, Wien, 2008).
Sämtliche Verfasser vedischer Texte weisen darauf hin, dass dieses Wissen universell und zeitlos ist und seit Anbeginn der Schöpfung existiert. Des Weiteren herrscht eine große Kluft zwischen schulgeschichtlicher, anthropologischer Forschung und der orientalischen asiatischen Geschichtsschreibung in Bezug auf historische Zeiträume.
Die vedischen Verfasser weisen auch immer wieder auf den zyklischen Aspekt der Zeit hin. Hiernach wird erst in diesem gegenwärtigen Zeitalter des Kaliyuga (astronomisches Zeitalter der Dunkelheit) das Niederschreiben gewisser Wissenskomplexe notwendig. Grund dafür ist der zunehmende Verlust der menschlichen Fähigkeit des Sruti-Siddha, dem Behalten aller einmalig gehörten Zusammenhänge. Das Kaliyuga begann vor 5.400 Jahren. Interessant ist, dass das Erscheinen der ersten komplexen Schriftart, dem Deva-Nagari (dem heutigen Sanskrit), in ebendiesen Zeitraum fällt.
Die klassischen Schulen
Die ältesten uns bekannten Texte gehen direkt auf zwei Verfasser zurück, die auch als Begründer der zwei führenden Schulen gelten: Caraka und Sushruta. Ältere Texte, die der mythischen Figur Dhanvantari1 zugeordnet werden, sind heute nicht mehr existent oder vor der Öffentlichkeit verborgen.
Die genaue Lebenszeit beider Ärzte ist nicht genau zu bestimmen. Laut den ayurvedischen Revitalisierungsaktivisten haben sie definitiv gelebt, wenn auch ungewiss ist, wann und wo.
Sushrutas Leben und Wirken wird auf etwa 800 v. Chr. datiert. Naheliegend ist, dass Caraka und Sushruta, wenn überhaupt, in zwei verschiedenen Jahrtausenden gelebt haben.
Historische Quellen der Ayurveda-Medizin
Die ältesten uns bekannten handschriftlichen Texte werden auf die Zeit zwischen 300 v. Chr. und 200 v. Chr. datiert. Zwischen 300 v. Chr. und 600 n. Chr. muss eine Art Kanonisierung der vorliegenden Texte durch damalige Verantwortliche für den medizinischen Bildungsbereich geschehen sein. Das geht eindeutig aus Zeitzeugenberichten und späteren Quellen hervor.
Der Meisterchirurg Sushruta2 lebte der Legende nach etwa 800 v. Chr. Den Überlieferungen zufolge war er, Sohn des Vishvamitra, von seinem Vater an die Schule des Divodasa Kasi Raja Dhanvantari in Varanasi (Benares) geschickt worden, um die Grundlagen der Medizin zu studieren. Während seines Studiums spezialisierte er sich auf Shalya (Chirurgie) und machte es zu seinem Lebensinhalt. Über seine Erfahrungen schrieb er ein Buch. So entstand die Sushruta Samhita, das berühmte anatomische Standardlehrwerk des Altertums. Bemerkenswert an dieser Schrift ist, dass sie im Altertum sowohl ins Arabische als auch ins Griechische übersetzt wurde. Sie wird in allen medizinischen Quellen der Antike erwähnt – sowohl in Europa als auch im restlichen Mittelmeerraum.
Sushruta hatte sich auf das Behandeln von Kampfwunden auf den Schlachtfeldern der damaligen Zeit spezialisiert. Dies garantierte seinerzeit reichlich Arbeit. So erwarb er sich weit über die Grenzen seines Landes hinaus einen Ruf als Wundarzt und Feldchirurg. Diese Tätigkeit kann als Schlüssel dazu angesehen werden, warum Sushruta über so exakte anatomische Kenntnisse verfügte, was in diesem Zeitalter eher ungewöhnlich war. Diese Kenntnisse waren für die damalige Zeit so präzise, dass sie in unserer bekannten Antike bis ins Spätmittelalter in Südeuropa als anatomisches Standardlehrwerk galten.
In der Sushruta Samhita wird erwähnt, dass das niedergeschriebene Wissen eine Abschrift der Lehren Dhanvantaris ist. Gleichzeitig wird erwähnt, dass Mitschüler Sushrutas wie Aupadhenava, Aurabhra und Skalavat Paua ebenfalls schriftliche Abhandlungen über plastische Chirurgie geschrieben haben. Diese Schriften existieren nicht mehr. Daher nahm Sushrutas Werk den Platz des Standardlehrwerks ein. Ebenso interessant ist Sushrutas Bericht über das Anfertigen einer eisernen Beinprothese nach der Amputation bei einer jungen Frau.
Neben der Anatomie Sushrutas ist das nächste Hauptwerk des Ayurveda das von Caraka – die Caraka Samhita. Sie ist das zentrale Werk ayurvedischer Heilkunde und Standardliteratur an ayurvedischen Universitäten in Indien. Caraka definiert