Sterbliche, versetzt euch an meine Stelle und widersteht, wenn ihr könnt, einer so unerwarteten Begegnung, und ihr Fanatiker beharrt, wenn ihr den Mut habt, bei dem lächerlichen Plan, euch in einem Kloster zu begraben, wenn ihr gesehen habt, was ich am 23. April in Zürich sah!
Ich war so aufgeregt, dass ich mich auf mein Bett werfen musste, um wieder ruhig zu werden. Nach einigen Minuten stand ich wieder auf, ging halb willenlos an das Flurfenster und sah den Kellner aus dem Zimmer der Damen kommen.
«Kellner, ich werde im Speisesaal essen.» – «Wenn Sie dies tun, um die Damen zu sehen, so ist es zwecklos, denn diese lassen sich das Abendessen im Zimmer auftragen. Sie wollen früh zu Bett gehen, weil sie in aller Frühe abreisen.» – «Wohin reisen sie?» – «Nach Einsiedeln, wo sie ihre Andacht verrichten wollen.» – «Woher kommen sie?» – «Aus Solothurn.» – «Wie heissen sie?» – «Das weiss ich nicht.»
Ich legte mich wieder auf mein Bett und dachte darüber nach, wie ich an die schöne Amazone herankommen könnte.
Soll ich nach Einsiedeln gehen? Ja, was soll ich aber dort tun? Die Damen wollen dort beichten, kommunizieren, mit Gott, den Heiligen und den Mönchen Zwiesprache halten, was sollte ich dabei. Und wenn ich unterwegs dem Abt begegnete – was bliebe mir anders übrig, als wieder umzukehren? Hätte ich einen treuen Freund bei mir, so könnte ich mich in einen Hinterhalt legen und die Amazone entführen; dies wäre leicht gewesen, denn es war kein Mann bei ihr, um sie zu verteidigen. Wie wäre es, wenn ich sie ganz dreist zum Abendessen einlüde? Ja, aber diese schrecklichen drei Frauenzimmer! Man würde mich zurückweisen. Mir schien, die schöne Amazone könne nur oberflächlich fromm sein; denn aus ihrem Gesicht sprach Liebe zum Vergnügen, und ich hatte mich seit langer Zeit daran gewöhnt, die Frauen nach ihrem Mienenspiel zu beurteilen.
Ich wusste nicht, was ich anfangen sollte, als ich einen höchst glücklichen Einfall hatte. Ich stellte mich an das Flurfenster und blieb dort so lange, bis der Kellner vorüberkam. Ich liess ihn in mein Zimmer eintreten, drückte ihm zur Einleitung ein Goldstück in die Hand und sagte ihm, er möchte mir seine grüne Schürze leihen, denn ich wolle den Damen bei ihrem Abendessen aufwarten.
«Du lachst?» – «Ja, gnädiger Herr, über Ihre Laune, deren Zweck ich ahne.» – «Du bist ein Pfiffikus.» – «So sehr wie Sie einer. Ich werde Ihnen eine schöne, ganz neue Schürze holen. Die Hübsche hat mich gefragt, wer Sie seien.» – «Das kann sein, denn sie hat mich kurz gesehen, sicher wird sie mich nicht wiedererkennen. Was hast du ihr geantwortet?» – «Sie seien Italiener, weiter nichts.» – «Sei verschwiegen, und ich werde das Goldstück verdoppeln.» – «Ich habe Ihren Spanier gebeten, mir beim Aufwarten zu helfen, denn ich bin ganz allein und muss zugleich unten bedienen.» – «Schön; aber er darf nicht ins Zimmer kommen, denn der Bursche würde sich das Lachen nicht verhalten können. Er kann in die Küche kommen, du gibst ihm die Schüsseln, und er reicht sie mir an der Türschwelle.»
Der Kellner ging und kam gleich darauf mit einer Schürze und mit Leduc wieder, dem ich sehr ernst auseinandersetzte, was er zu tun hätte. Er lachte wie verrückt, versicherte mir jedoch, ich würde mit ihm zufrieden sein. Ich liess mir ein Vorlegemesser geben, tat mein Haar in einen Haarbeutel, schlug den Halskragen herunter und band die Schürze über meine scharlachrote goldbestickte Weste. Hierauf betrachtete ich mich im Spiegel und fand mit Befriedigung, dass ich gemein genug aussah, um die bescheidene Persönlichkeit vorzustellen, die ich spielen sollte. Ich war in freudiger Stimmung; denn ich sagte mir, da sie aus Solothurn wären, so müssten sie doch Französisch sprechen.
Leduc meldete mir, dass der Kellner gleich kommen werde. Ich ging in das Zimmer der Damen, musterte die gedeckte Tafel und sagte zu ihnen: «Man wird sofort auftragen, meine Damen.»
Die hässlichste von den vieren sagte mir: «Beeilen Sie sich nur, wir wollen schon vor Tagesanbruch aufstehen.» Ich rückte Stühle an den Tisch und sah die Schöne von der Seite an. Sie blickte mich an, als wenn sie versteinert wäre. Ich half dem Kellner die Schüsseln auf den Tisch setzen, und hierauf sagte er zu mir: «Hör mal, du, bleib hier; ich muss unten bedienen.»
Ich nahm ein Vorgericht und stellte mich meiner Amazone gegenüber hinter einen Stuhl, von wo aus ich sie unauffällig vorzüglich sehen konnte. Besser gesagt: ich hatte nur für sie Augen. Sie war erstaunt; die anderen beehrten mich nicht einmal mit einem Blick, und dies war das beste, was sie tun konnten. Nach der Suppe eilte ich zu ihr und wechselte ihren Teller; denselben Dienst verrichtete ich auch bei den anderen, worauf sie sich selber bedienten.
Während sie assen, nahm ich einen gepökelten Kapaun vor und zerlegte ihn kunstgerecht.
«Dieser Kellner», sagte meine Schöne, «bedient sehr gut. Sind Sie schon lange in diesem Gasthof?» – «Erst seit wenigen Wochen, Madame.» – «Sie servieren ausgezeichnet.» – «Madame sind sehr gütig.»
Ich hatte meine Manschetten von prachtvoller englischer Spitze in meine Ärmel hineingesteckt; aber die Hemdenkrause sah ein wenig aus der Weste hervor, die ich nicht sorgfältig zugeknöpft hatte. Sie bemerkte diese und rief: «Warten Sie, warten Sie!»
«Was wünschen Sie, Madame?» – «Lassen Sie doch mal sehen. Da haben Sie ja prachtvolle Spitzen.» – «Ja, Madame, das hat man mir gesagt; aber sie sind alt. Ein vornehmer italienischer Herr, der hier wohnte, hat sie mir geschenkt.» – «Haben Sie auch solche Manschetten?» – «Ja, Madame.»
Mit diesen Worten streckte ich meine Hand aus und knöpfte mit der anderen den Westenärmel auf. Sie zog langsam die Manschetten hervor und schien sich absichtlich so vorzubeugen, dass meine Blicke sich an ihrem Gesicht berauschen konnten. Welch köstlicher Augenblick! Ich wusste, dass sie mich wiedererkannt hatte, und als ich sah, dass sie darüber schwieg, empfand ich eine wirkliche Qual bei dem Gedanken, dass ich mit dieser Maskerade nur bis zu einem gewissen Punkt gehen konnte.
Als sie die Spitzen ziemlich lange betrachtet hatte, sagte ihre Nachbarin zu ihr: «Aber, meine Liebe, was für eine Neugier! Man sollte meinen, du hättest in deinem Leben noch keine Spitzen gesehen.»
Meine liebenswürdige Neugierige errötete.
Nach dem Essen zogen sich alle vier in eine Ecke zurück, um sich auszukleiden, während ich den Tisch abräumte, und meine Schöne begann zu schreiben. Ich gestehe, es fehlte nicht viel daran, so hätte ich in meiner Eitelkeit mir eingebildet, dass sie an mich schriebe; ich hatte aber doch eine zu gute Meinung von ihr, um nicht diesen Gedanken sofort zu verwerfen. Als ich abgedeckt hatte, stellte ich mich neben die Tür.
«Worauf warten Sie?» fragte die Schöne mich. – «Auf Ihre Befehle, Madame.» – «Ich danke Ihnen; ich brauche nichts.» – «Sie tragen Stiefel, Madame, und wenn Sie sich nicht etwa gestiefelt zu Bett legen wollen …» – «Da haben Sie allerdings recht; aber ich möchte Ihnen nicht die Mühe machen.» – «Bin ich denn nicht dazu da, Sie zu bedienen, Madame?»
Mit diesen Worten kniete ich vor ihr nieder und schnürte langsam ihre Halbstiefel auf, während sie ruhig weiter schrieb. Ich ging aber noch weiter: ich löste die Schnalle ihres Hosenbandes, um ihre Strümpfe herunterzuziehen, und weidete mich am Anblick und noch mehr am Betasten ihrer wundervoll geformten Waden; aber zu früh für meine Wünsche hörte sie auf zu schreiben, wandte den Kopf um und sagte: «Nun ist es aber genug, ich bemerkte gar nicht, dass Sie sich zu viel Mühe gaben; gehen Sie! Morgen abend werden wir uns wiedersehen.»
«Sie werden also hier zu Abend speisen, meine Damen?» – «Ja, gewiss.»
Ich nahm ihre Stiefel mit, indem ich sie fragte, ob ich die Tür verschliessen solle. «Nein, mein Lieber», antwortete sie, «lassen Sie den Schlüssel von innen stecken.»
Als Leduc die Stiefel der Fee mir abnahm, lachte er wie ein Besessener und sagte: «Sie hat