Von Casanova bis Churchill. Barbara Piatti. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Barbara Piatti
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9783039199167
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Schweigen zu, dass der Hochwürdige Herr ganz entzückt war und mich fragte, in welchem Gasthof ich wohnte. Ich antwortete ihm: «Nirgends; denn ich bin von Zürich zu Fuss gekommen, und mein erster Besuch hat Ihrer Kirche gegolten.»

      Ich weiss nicht, ob ich vielleicht diese Worte mit einem Ausdruck von Zerknirschung vorbrachte, aber der Abt faltete seine Hände und hob sie zum Himmel empor, als wenn er Gott dafür danken wollte, dass er mein Herz gerührt und mich auf meiner Pilgerschaft geleitet hätte, um in diesem Heiligtum die Last meiner Sünden abzuwerfen.

      Dies erschien mir natürlich; denn ich weiss, dass ich stets wie ein grosser Sünder ausgesehen habe.

      Der Abt sagte mir, es sei bald Mittag und er hoffe, ich werde ihm die Ehre antun, mit ihm zu speisen; ich nahm dies mit verbindlichem Dank an. Ich wusste nicht, wo ich war, und wollte ihn nicht fragen; denn es war mir erwünscht, ihn bei dem Glauben zu belassen, dass ich zur Abbüssung meiner Sünden eine Pilgerfahrt machte.

      Unterwegs sagte der Abt mir, seine Ordensbrüder ässen an diesem Tage Fastenspeisen, wir aber würden Fleisch essen, da er von Benedikt XIV. einen Dispens erhalten hätte, der ihm erlaubte, das ganze Jahr hindurch mit drei Tischgenossen Fleisch zu essen. Ich antwortete ihm, ich würde gerne an seinem Vorrecht teilnehmen. Als wir in seinem Zimmer waren, das durchaus nicht einer Büsserzelle glich, zeigte er mir sofort den Dispensbrief, der unter Glas in einem schönen Rahmen dem Esstisch gegenüber an der Wand hing, damit die Neugierigen und Gewissenhaften Kenntnis davon nehmen könnten.

      Da auf der Tafel nur für zwei Personen angerichtet war, legte ein Bedienter in reicher Livree noch ein Gedeck auf, was dem bescheidenen Abt Gelegenheit gab, mir zu sagen: «Ich speise für gewöhnlich mit meinem Kanzler; ich muss nämlich eine Staatskanzlei halten, weil ich in meiner Eigenschaft als Abt von Einsiedeln auch Fürst des Heiligen Römischen Reiches bin.»

      Ich atmete auf; denn nun wusste ich endlich, wo ich mich befand, und dies war mir sehr angenehm. Von «Unserer Lieben Frau zu den Einsiedeln» hatte ich sprechen hören, dem Loreto1 nördlich der Alpen.

      Bei Tisch fragte der Fürstabt mich, aus welchem Lande ich wäre, ob ich verheiratet wäre und ob ich die schönen Gegenden der Schweiz zu besuchen gedächte; zugleich bot er mir Empfehlungsbriefe an für alle Orte, die ich aufzusuchen wünschte.

      Ich sagte ihm, ich wäre Venezianer, Junggeselle, und würde die mir angebotenen Briefe dankbar annehmen, nachdem ich ihm in einer Unterredung gesagt haben würde, wer ich wäre. Ich hoffte, er würde mir diese bewilligen, da ich den Wunsch hätte, ihm alles anzuvertrauen, was ich auf dem Gewissen hätte. So ging ich, ohne jeden Vorbedacht und ohne eigentlich zu wissen, was ich sagte, die Verpflichtung ein, diesem Abt zu beichten. Diese Plötzlichkeit der Entschlüsse war meine besondere Liebhaberei. Wenn ich einem plötzlichen Einfall folgte, wenn ich etwas tat, was ich vorher nicht überlegt hatte, so kam es mir vor, als wenn ich die Gesetze meines Schicksals befolgte und einem höchsten Willen nachgebe. […]

      Als das Mahl beendet war, machte der Kanzler eine ehrfurchtsvolle Verbeugung und entfernte sich. Gleich darauf führte der Abt mich im ganzen Kloster herum und zuletzt auch in die Bibliothek. […]

      Über den Anblick der Bibliothek würde ich laut aufgeschrien haben, wenn ich allein gewesen wäre. Sie enthielt nur Folianten, und die neuesten waren ein Jahrhundert alt. Alle diese dicken Bücher handelten nur von Theologie und religiösen Streitfragen: Bibeln, Kommentare, Kirchenväter, mehrere Legisten2 in deutscher Sprache, Annalen und das grosse Lexikon von Hoffmann.

      «Ohne Zweifel, hochwürdigster Herr», fragte ich ihn, «haben Ihre Mönche ihre Privatbüchereien, worin sich naturwissenschaftliche, geschichtliche Werke und Reisebeschreibungen befinden?» – «Nein; meine Mönche sind brave Leute, die sich nur um ihre Andachtspflichten kümmern und in süsser Unwissenheit friedlich dahinleben.»

      Ich weiss nicht, was mir in diesem Augenblick durch den Kopf fuhr, aber genug, mich wandelte eine unbegreifliche Laune an – nämlich Mönch zu werden. Ich sagte dem Abt zuerst nichts davon, aber ich bat ihn, mich in sein Kabinett zu führen, indem ich ihm sagte: «Ich wünsche, hochwürdigster Herr, Ihnen eine Generalbeichte aller meiner Sünden abzulegen, damit ich morgen, rein von allen Verbrechen, das heilige Abendmahl empfangen kann.»

      Ohne mir zu antworten, führte er mich in ein hübsches Gartenhaus, wo er mir sagte, er sei bereit, mich anzuhören; doch litt er nicht, dass ich niederkniete.

      Ihm gegenübersitzend, erzählte ich ihm drei Stunden hintereinander eine Menge anstössiger Geschichten; aber ich erzählte sie ohne Salz, denn ich war in einer asketischen Stimmung und musste in einem Stil der Zerknirschung reden, die ich in Wirklichkeit nicht empfand; denn wenn ich meine tollen Streiche wieder durchging, fand ich die Erinnerung daran durchaus nicht unangenehm. […]

      Um glücklich zu sein, brauchte ich, so schien es mir, nur eine Bibliothek nach meinem Geschmack, und ich bezweifelte durchaus nicht, dass der Abt mir erlauben würde, mir nach meinem Belieben alle Bücher anzuschaffen, wenn ich ihm verspräche, sie nach meinem Tode dem Kloster zu schenken, vorausgesetzt, dass mir bei Lebzeiten die freie Benutzung zustände.

      Was die Gesellschaft der Mönche anbelangte, Zwietracht, Neid und alle gegenseitigen Quälereien, die von solchen Vereinigungen unzertrennlich sind, so fühlte ich mich sicher, dass ich sie nicht zu fürchten haben würde, da ich nichts wollte und keinen Ehrgeiz hatte, der ihre Eifersucht hätte erregen können. Obgleich ich mich in einer Art von Verzauberung befand, sah ich aber doch die Möglichkeit der Reue voraus, und mir schauderte davor; aber ich hoffte dagegen ein Mittel finden zu können. Indem ich um das Kleid des heiligen Benedikt bitte, sagte ich zu mir, werde ich ein zehnjähriges Noviziat verlangen; kommt die Reue nicht während dieser zehn Jahre, so kann sie unmöglich später kommen. Übrigens wollte ich in aller Form erklären, dass ich nach keinem Amte, nach keiner geistlichen Würde strebte. Ich wollte nur Frieden mit hinlänglicher Freiheit, um nach meinen neuen Neigungen leben zu können, ohne zu irgendeinem Skandal Anlass zu geben. Die Schwierigkeit, die die erbetene lange Dauer meines Noviziats vielleicht verursachen könnte, gedachte ich dadurch zu heben, dass ich im Falle einer Sinnesänderung die vorausbezahlten zehntausend Taler preisgäbe.

      Ich schrieb vor dem Schlafengehen diesen ganzen schönen Plan nieder, und da ich am nächsten Tage mich noch ebenso fest entschlossen fand, so übergab ich nach dem Abendmahl meine Schrift dem Abt, der mich in seinem Zimmer erwartete, um mit mir die Morgenschokolade zu trinken.

      Er las sofort meine Eingabe und legte sie, ohne ein Wort zu sagen, auf den Tisch; nach dem Frühstück las er sie noch einmal, wobei er im Zimmer auf und ab ging, und sagte mir dann, er werde mir nach dem Mittagessen eine Antwort geben.

      Nach dem Mittagessen sagte der liebenswürdige Abt zu mir: «Mein Wagen erwartet Sie vor der Tür, um Sie nach Zürich zurückzubringen. Reisen Sie ab, und gönnen Sie mir vierzehn Tage Zeit zur Antwort. Ich werde sie Ihnen persönlich überbringen. Einstweilen bitte ich Sie, diese beiden versiegelten Briefe selber abzugeben.»

      Ich antwortete ihm, er habe zu befehlen; ich würde seinen Auftrag pünktlich ausführen und ihn im Gasthof «Zum Schwert» erwarten, in der Hoffnung, dass er meine Wünsche erfüllen würde. Ich ergriff seine Hand, die er sich küssen liess, und fuhr ab. […]

      Am Tage vor dem angekündigten Besuch des Abtes stand ich gegen sechs Uhr abends an meinem Fenster, das nach der Brücke hinausging, und unterhielt mich damit, die Vorübergehenden zu betrachten, als ich plötzlich in scharfem Trabe einen vierspännigen Wagen daherkommen sah, der vor der Tür des Gasthofes hielt. Es sass kein Bedienter darauf; infolgedessen öffnete der Kellner den Schlag, und ich sah vier gutgekleidete Damen aussteigen. An den drei ersten bemerkte ich nichts Besonderes, aber die vierte, die als Amazone gekleidet war, fiel mir durch ihre Eleganz und ihre Schönheit auf. Es war eine junge Brünette mit schön geschnittenen, grossen Augen, über denen sich kühn geschwungene Brauen wölbten; sie hatte eine Haut wie Lilien und Wangen wie Rosen, trug eine Kappe aus blauem Satin mit einer Troddel, die ihr auf das Ohr herabfiel und ihr ein sieghaftes Aussehen gab, dem ich nicht zu widerstehen vermochte. Ich beugte mich soweit wie möglich mit dem Oberkörper aus dem Fenster vor, um zehn Zoll höher zu sein, da hob sie den Kopf und sah mich an, als wenn