Baumwurzeln haben eine bemerkenswerte Fähigkeit, in die kleinsten Zwischenräume vorzudringen und sie zeigen auch eine hohe Sensibilität für potenzielle Nährstoff- und Wasserquellen. Die Wurzeln „testen aus“, wo das Kanalsystem seine Schwachstellen hat und die Wurzelspitzen wachsen dann in undichte Muffenverbindungen, Risse im Rohrmaterial oder in Übergangsbereiche hinein. Mit Übergangsbereich sind sowohl Übergänge zwischen Abwasserleitung und Einstiegsschacht als auch zwischen Hausanschluss- leitung und Grundleitung gemeint.
Baumwurzeln dringen auf unterschiedliche Weise ein, je nachdem, ob die Rohrleitung Schmutzwasser oder Regenwasser führt.
Durch Schmutzwasserkanäle fließt permanent Wasser mit hohem Nährstoffgehalt; gleiches gilt auch für die mancherorts noch vorhandenen Mischwasserleitungen. Dies macht solche Kanäle für Pflanzen besonders anziehend und deshalb befindet sich in Abwasserleitungen häufig auch ein von oben herunter hängender Vorhang von Wurzeln. Wenn an einer Abwasserleitung darüber hinaus an einem Leck Schmutzwasser austritt, bildet sich unterhalb des Lecks ein anaerober Bereich (Abbildung 2), in dem keine Wurzeln wachsen, was aber zu einem vermehrten Eindringen von der Seite und von oben in das Rohr führt, ausgehend von Substrat, das wahrscheinlich entweder feucht oder gesättigt, aber aerob ist. Mit dem Schmutzwasser können ebenfalls Phosphate oder andere Nährstoffe exfiltrieren, die das Wurzelwachstum stimulieren.
Abbildung 2: Im anaeroben Milieu unterhalb des Lecks ist kein Wurzelwachstum möglich
Reine Regenwasserleitungen führen nicht ständig Wasser und können in Perioden mit geringem Niederschlag komplett austrocknen. Daher dringen die Wurzeln häufig von der Unterseite in die Regenwasserleitung ein, da hier die Wachstumsbedingungen für die Wurzeln durch die Restfeuchtigkeit besonders günstig sind.
2.5 Alte und neue Rohrleitungen
Ältere Steinzeugrohre scheinen stärker von Wurzelwachstum befallen zu sein als neuere Rohrtypen. Es ist aber schwierig, den Einfluss der Materialermüdung bzw. des Alters von dem Einfluss der unterschiedlichen Dichtungstechnik in den früher verlegten Rohrverbindungen zu unterscheiden. Umfangreiche Kanalkontrollen mittels Kanal-TV, die bis 1999 in Großbritannien durchgeführt worden sind, haben ergeben, dass 12,5 % aller in Lehmböden verlegten Abwasser rohre und 15,1 % aller in sandigen Böden verlegten Abwasserrohre Wurzeleinwuchs aufwiesen. In fast allen Fällen waren die Wurzeln durch die Rohrverbindungen eingedrungen. Die Rohre wiesen ein durchschnittliches Alter von 80 Jahren auf, wobei einige neu und andere 120 Jahre alt waren.
Sowohl die Dauer der Beanspruchung als auch der Zeitpunkt der Verlegung beeinflussen den Wurzeleinwuchs. Dies bezieht sich hauptsächlich auf die Entwicklung der städtebaulichen Stile (Baumstandorte), auf die verwendeten Rohrverbindungen und auf die Fachkenntnisse der Monteure vor Ort.
Bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts war das vorherrschende Verfahren der Rohrverbindung das Abdichten mit Mörtel und Teerstrick (Abbildung 3).
Abbildung 3: Muffe mit Mörtel und Teerstrickdichtung
In den 60er und 70er Jahren ging man zu Elastomerdichtungen über, anfangs mit natürlichem Gummi in Form von Kautschuk-Elastomer-Ringen (Abbildung 4). Aufgrund der begrenzten Haltbarkeit von natürlichem Kautschuk verwendete man später EPDM-Dichtungen, die leichter vor Ort zu verarbeiten waren. Üblicherweise verwendete man Lippendichtringe oder Gleitringdichtungen (Abbildung 5).
Abbildung 4: Muffe mit Gummidichtung
Abbildung 5: Gleitringdichtung bzw. Lippendichtring
Die Hauptkriterien bei der Entwicklung der Dichtungstechnik waren:
Einfache Handhabung auf der Baustelle
Dichtigkeit
Biologische/Chemische Beständigkeit.
Untersuchungen über den Wurzeleinwuchs in moderne Kanalrohre aus Beton oder PVC, wie sie zuletzt in Schweden, in Großbritannien und in Deutschland durchgeführt wurden, haben nahe gelegt, dass auch diese neuen Rohrtypen nicht völlig wurzelfest sind. Diese Vermutung beruht vor allem auf den Forschungsergebnissen aus Schweden (STÅL & ROSENLÖF 1995) und Deutschland (BOERESCH 1996; BENNER-SCHEIDT & SCHMIEDENER 2004) und Dänemark (RANDRUP 2000; RANDRUP et al. 2001). Hierbei wurden Untersuchungen an neuen Kanalrohren durchgeführt, die Wurzeleinwuchs aufwiesen. Diese Ergebnisse, die das ganze Ausmaß des Problems des Wurzeleinwuchses deutlich machen, haben Zweifel daran aufkommen lassen, dass moderne Rohrleitungstypen einen effektiven Schutz gegen Baumwurzeln bieten.
3 Bewertung und Prüfung von Beton- und PVC-Rohren
3.1 Bisherige Prüfverfahren
Früher ging es den Herstellern von Rohrverbindungen darum, wasserdichte Muffen zu produzieren, um Infiltrationen und Exfiltrationen zu verhindern; über das Wachstum von Baumwurzeln oder deren Durchwuchskraft hatten sie keinerlei Erkenntnisse. Einige Hersteller haben zwar in begrenztem Umfang ihre Produkte auf Wurzeldichtheit geprüft, aber diese Tests liefen häufig nur über kurze Perioden (meist 1 Jahr), und die verwendeten Pflanzenarten verhielten sich nicht so wie die Spezies, die in der Praxis die Probleme verursachen. So wurde sehr wahrscheinlich mit Grassorten und Lupinen getestet, während die meisten Wurzelschäden auf Weiden und Pappeln zurück zu führen sind.
Damit ein Prüfverfahren zur Produktionsnorm wird, muss es wiederholbar und einfach in der Durchführung sein. Tests auf Leckdichtigkeit sind simpel durchzuführen und können direkt gemessen werden. Tests auf biologische und chemische Beständigkeit sind schon schwieriger in der Durchführung, aber machbar. Bei Baumwurzeln allerdings gibt es einen beträchtlichen Zufallsfaktor, der eine direkte Auswertung problematisch macht (z. B. Sonnenlicht, Niederschlagsmenge, Temperatur, Stärke der Ursprungspflanze, etc.). Ein weiteres Problem ist das langsame Wachstum der Baumwurzeln.
Folglich gibt es bis heute in keiner technischen Norm für Kanalrohre einen direkten Test auf Wurzeldichtigkeit. Man verlässt sich auf Ersatzkriterien, die geeignet scheinen, um für Wurzeldichtigkeit herangezogen zu werden, hauptsächlich Dichtigkeit, Druckfestigkeit und Kontaktweite der Muffenkomponenten (Tabelle 1).
Die aktuellen technischen Anforderungen an die Druckfestigkeit von Kunststoffmuffen scheinen viel zu niedrig, um das Einwachsen von Wurzeln zu verhindern (BOERESCH 1996).
Man muss daher feststellen, dass die technische Entwicklung auch weiterhin – wie bisher – ohne hinreichende Kenntnis der biologischen Mechanismen erfolgt, die das Wurzelwachstum steuern.