Im Laufe der Jahrhunderte, während sich der Buddhismus entwickelte, wurden jedoch viele Lehren und Abhandlungen in Sanskrit verfasst, und viele der uns vertrauten buddhistischen Begriffe stammen aus dieser Sprache. Beide Sprachen sind eng verwandt, wie aus der Ähnlichkeit folgender Begriffe deutlich wird: Dharma/Dhamma, Sutra/Sutta, Bodhisattva/Bodhisatta, Nirvāna/Nibbāna. Zur leichteren Lesbarkeit verwende ich manchmal die bekannteren Sanskrit-Worte, außer wenn ich mich direkt auf Pali-Texte beziehe. So stehen manchmal beide Formen auf derselben Seite. Außer den sehr gebräuchlichen sind die meisten der Pali- und Sanskrit-Begriffe kursiv gesetzt.
Das Pali-Wort Bhikkhu wird in der Regel mit Mönch übersetzt, doch in den Kommentaren finden wir eine umfassendere Definition, welche uns alle, die wir auf dem Weg sind, einbezieht. Im Zusammenhang mit dem Satipaṭṭhāna Sutta steht Bhikkhu für jeden Menschen, der sich ernsthaft darum bemüht, die Praxis der Lehren zu verwirklichen: »Wer immer diese Praxis annimmt …, ist hier mit dem Begriff Bhikkhu gemeint.«
In manchen Übersetzungen der Suttas habe ich das maskuline Pronomen er durch eine geschlechtsneutralere Formulierung wie man ersetzt. Viele dieser Abhandlungen waren an die Mönche gerichtet, doch für westliche Leser und Leserinnen scheint mir diese andere Ausdrucksform, die sie einbezieht, nützlicher. Viele der Auszüge aus dem Satipaṭṭhāna Sutta sind Anālayos Buch Satipaṭṭhāna: Der direkte Weg entnommen. Im Anhang A finden Sie seine vollständige Übersetzung dieses Suttas. Manche Zitate habe ih unter Zuhilfenahme anderer Übersetzungen auch angepasst, um bestimmte Aspekte der Lehre zu betonen. Darauf wird jeweils in den Anmerkungen hingewiesen.
Dieses Buch folgt zwar dem Aufbau des Satipaṭṭhāna Sutta und kann der Reihe nach durchgelesen werden, doch die meisten Kapitel sind aus sich selbst heraus verständlich und vollständig. Sie können daher auch im Inhaltsverzeichnis nachschauen, welche Themen für Sie interessant sind, und diese Kapitel einzeln erkunden.
Beim Lesen der Worte des Buddha wird oft ein bestimmter Aspekt unserer kulturellen Aufmerksamkeitsstörung deutlich. Wenn ich die Suttas lese oder den Abhandlungen zuhöre, merke ich, dass mein Geist dazu neigt, Wiederholungen zu überspringen. »Ja, kenne ich schon«, denkt er dann und eilt zum nächsten Satz oder Absatz. Vielleicht sind diese Wiederholungen einfach Elemente der mündlichen Überlieferung, aber es könnte auch etwas anderes dahinterstecken: Womöglich versucht uns der Buddha mit diesen Wiederholungen zu sagen, dass dies wichtige Qualitäten des Geistes sind, die wir in unserer Praxis und in unserem Leben entwickeln und stärken sollten.
Können wir diese Worte des Buddha so lesen, als würde er direkt zu uns sprechen? Wenn uns das gelingt, haben sie die Kraft, uns neue Tore des Verstehens und neue Möglichkeiten der Freiheit zu eröffnen.
1. Kelly McGonigal,»Healing the Whole Person«, Shambhala Sun, Januar 2011, 60.
2. Bhikkhu Ñāṇamoli und Bhikkhu Bodhi, Übers., The Middle Length Discourses of the Buddha (Somerville, MA: Wisdom Publications, 1995), 145. Dt.: Die Lehrreden des Buddha aus der Mittleren Sammlung, übers. von Mettiko Bhikkhu (Kay Zumwinkel), Jhana Verlag, Uttenbühl, 2. Auflage 2012, Nr. 10. http://www.palikanon.com/majjhima/zumwinkel/m010z.html.
Die vier Qualitäten des Geistes
1. Unermüdlich
Der ausdauernde Geist
Nach der Behauptung, dass die Praxis der vier Wege, Achtsamkeit zu entwickeln und zu verankern, der direkte Weg zur Befreiung ist, finden wir im Satipaṭṭhāna Sutta eine präzise Definition dieses Weges und seiner wesentlichen Merkmale. Der Buddha verweist als Erstes auf die vier Felder zur Entwicklung der Achtsamkeit: Körper, Gefühle, Geist und Dhammas (Kategorien der Erfahrung). Haben wir in diesen vier Bereichen Achtsamkeit entwickelt und verankert, können wir sicher verweilen. Wenn wir nicht achtsam sind, nicht wach, verlieren wir uns in unheilsamen Reaktionen und erschaffen damit Leiden für uns selbst und für andere.
»Welche vier? Hier, ihr Bhikkhus, verweilt ein Bhikkhu hinsichtlich des Körpers den Körper betrachtend, unermüdlich, wissensklar und achtsam, frei von Verlangen und Betrübtheit hinsichtlich der Welt. Hinsichtlich der Gefühle verweilt er die Gefühle betrachtend, unermüdlich, wissensklar und achtsam, frei von Verlangen und Betrübtheit hinsichtlich der Welt. Hinsichtlich des Geistes verweilt er den Geist betrachtend, unermüdlich, wissensklar und achtsam, frei von Verlangen und Betrübtheit hinsichtlich der Welt. Hinsichtlich der Dhammas verweilt er die Dhammas betrachtend, unermüdlich, wissensklar und achtsam, frei von Verlangen und Betrübtheit hinsichtlich der Welt.«1
In dieser Definition stellt der Buddha auch die mentalen Voraussetzungen für den Weg dar: Wir müssen unermüdlich sein, wissensklar und achtsam sowie frei von Verlangen und Trauer hinsichtlich der Welt. Unermüdlich verweist auf eine ausgeglichene, nachhaltige Anwendung des Bemühens; es geht damit jedoch auch eine gewisse Wärme einher, jene Begeisterung oder Hingabe, die daraus entstehen, dass wir den Wert und die Bedeutung von etwas erkannt haben.
Wenn der Buddha sagt, ein Bhikkhu (das heißt wir alle auf dem Weg) verweile unermüdlich, ruft er uns zu großer Sorgfalt auf, mit Beständigkeit und Beharrlichkeit bei unserem Tun zu bleiben.
Der große chinesische Ch’an-Meister Hsu Yun erlangte im Alter von 56 Jahren Erleuchtung und lehrte dann 64 Jahre lang. Er verstarb im Alter von 120 Jahren. Er nannte diese Qualität der Unermüdlichkeit den »ausdauernden Geist«. Dieser trägt uns durch all das Auf und Ab der Praxis.
Spirituelle Unermüdlichkeit ist die Quelle eines mutigen Herzens. Sie schenkt uns die Kraft, alle Schwierigkeiten der Reise durchzustehen. Daher stellt sich die Frage, wie wir Unermüdlichkeit praktizieren und kultivieren können, sodass sie in unserem Leben eine starke und vorwärtsführende Kraft wird.
BETRACHTUNG DER KOSTBARKEIT DES DHARMA
Eine Möglichkeit, Unermüdlichkeit zu kultivieren, besteht darin, über den Sinn und Zweck unserer Praxis nachzusinnen und die ungeheure Kostbarkeit des Dharma zu erkennen. Recht verstanden ist der Dharma der Ursprung jeglichen Glücks. Ajahn Mun, ein hoch anerkannter Meditationsmeister der thailändischen Waldtradition, erinnert uns daran, dass ein Verständnis des Geistes einem Verständnis des Dharma entspricht und die Erkenntnis der tiefsten Wahrheiten des Geistes zur Erleuchtung führt.
Wir können unsere Unermüdlichkeit auch stärken, indem wir uns bewusst machen, wie selten wir in unserem Leben mit Lehren in Berührung kommen, die Herz und Geist befreien. Dilgo Khyentse Rinpoche, einer der großen tibetischen Dzogchen-Meister des vergangenen Jahrhunderts, erinnert uns daran mit den Worten:
»Fragt euch, wie viele der Milliarden von Erdbewohnern auch nur eine Ahnung davon haben, wie selten es ist, als Mensch geboren zu sein. Wie viele von jenen, die die Seltenheit der menschlichen Geburt begreifen, denken je daran, diese Chance zu nutzen, um den Dharma zu praktizieren? Wie viele von jenen, die daran denken, den Dharma zu praktizieren, tun es auch? Und wie viele von denen, die damit beginnen, machen auch weiter? … Doch wenn ihr einmal die einzigartige Möglichkeit erkannt habt, die das menschliche Dasein euch bietet, werdet ihr zweifellos mit aller Kraft danach streben, sie voll und ganz zu nutzen, indem ihr den Dharma praktiziert.«2
Diese Gedanken erzeugen große Achtung für den Dharma, für unsere Mitpraktizierenden und für uns selbst. Diese Achtung lässt uns in jedem Augenblick sorgfältiger und unermüdlicher werden.
BETRACHTUNG DER UNBESTÄNDIGKEIT
Wir können die Qualität der Unermüdlichkeit auch durch die Betrachtung der Vergänglichkeit aller Phänomene stärken. Betrachten wir nur all die Dinge, an denen wir anhaften – seien es Menschen, Besitztümer, Gefühle oder körperliche Zustände. Nichts von dem,