In einer zweiten Studie war die Wahrscheinlichkeit, einer bestimmten Aufforderung Folge zu leisten, bei den Zweijährigen am höchsten, deren Eltern „sehr klar sagten, was sie wollten, sich jedoch nicht nur die Einwände ihrer Kinder anhörten, sondern darüber hinaus noch auf eine Weise, die Respekt für die Autonomie und Individualität der Kinder ausdrückte, darauf eingingen“8.
Eine dritte Studie erhöhte quasi das Risiko, indem sie sich auf Vorschulkinder konzentrierte, die als besonders aufsässig galten. Einige ihrer Mütter wurden gebeten, so mit den Kindern zu spielen, wie sie es gewöhnlich taten, während die anderen aufgefordert wurden, „sich auf jede Beschäftigung einzulassen, die das Kind wählte, und die Art und Regeln der Interaktion vom Kind bestimmen zu lassen“. Sie wurden gebeten, dem Kind nichts zu befehlen, es nicht zu kritisieren und nicht zu loben. (Beachten Sie, dass auch Loben neben anderen Formen der Manipulation eingeschlossen wurde.) Nach dem Spiel richteten die Mütter auf die Bitte der Versuchsleiter an ihre Kinder eine Reihe von Aufforderungen, die mit dem Wegräumen der einzelnen Spielsachen zu tun hatten. Das Ergebnis: Die Kinder, über die weniger Kontrolle ausgeübt worden war – das heißt diejenigen, die mehr über ihr Spiel hatten bestimmen dürfen –, neigten mehr dazu, die Anweisungen ihrer Mütter zu befolgen.9
So bemerkenswert diese Versuchsergebnisse auch sein mögen – die Probleme, die mit traditioneller, auf Kontrolle beruhender Erziehung verbunden sind, werden noch deutlicher, wenn wir uns ansehen, was Kinder tun, nachdem der Erwachsene das Zimmer verlassen hat. Ein Forscher fragte sich nicht nur, welche Kleinkinder wohl eine Bitte, etwas zu tun (aufzuräumen), befolgen würden, sondern auch, welche Kinder die Bitte, etwas nicht zu tun (nämlich mit bestimmten Spielsachen zu spielen), befolgen würden, wenn sie alleine im Raum wären. Die Antwort auf beide Fragen war dieselbe: Die Kinder, die sich nach den Anweisungen richteten, waren die, deren Mütter sie im Allgemeinen unterstützten, liebevoll waren und gewaltsame Kontrolle vermieden.10
Es gibt noch viel mehr Beweismaterial. Zwei Psychologen untersuchten, was die aufrichtige, „engagierte“ Folgsamkeit im Gegensatz zur widerwilligeren, „situationsbezogenen“ Folgsamkeit fördert. Zwei andere wollten wissen, was ein Kind dazu bewegt, die Anweisungen eines Erwachsenen, der nicht seine Mutter oder sein Vater ist, zu befolgen.11 In beiden Fällen waren die Ergebnisse besser, wenn Kinder bei Eltern aufwuchsen, die sie mit Respekt behandelten und auf sie eingingen, als bei solchen, die den Schwerpunkt auf Kontrolle legten.
Ein Grund, weshalb ein strenger, autoritärer Erziehungsstil meist nicht besonders gut funktioniert, ist, dass wir unsere Kinder letzten Endes nicht steuern können – jedenfalls nicht dort, wo es darauf ankommt. Es ist sehr schwierig, ein Kind dazu zu bewegen, dieses Lebensmittel statt jenem zu essen oder hierhin statt dorthin zu pinkeln, und es ist einfach unmöglich, ein Kind zu zwingen, einzuschlafen, mit dem Schreien aufzuhören, uns zuzuhören oder zu respektieren. Diese Dinge sind für Eltern am anstrengendsten, eben weil wir hier an die natürlichen Grenzen dessen stoßen, was ein Mensch einem anderen aufzwingen kann. Besonders bei Säuglingen und dann wieder bei Jugendlichen erweist sich das Ziel der Kontrolle letztlich als Illusion.12 Doch leider hindert uns das nicht, neue, schlauere oder gewaltsamere Strategien auszuprobieren, um Kinder zum Gehorchen zu bewegen. Und wenn diese Methoden versagen, wird das oft als Beweis dafür angesehen, dass … noch mehr davon nötig sei.
Gegensätzliche Extreme
Es hat etwas Paradoxes, dass gerade die Eltern, denen das Kontrollieren ihrer Kinder am wichtigsten ist, letztlich oft am wenigsten Kontrolle über sie haben. Doch das ist noch nicht alles. Viel bedeutender ist die Tatsache, dass dieser machtzentrierte Ansatz nicht nur ineffektiv ist, sondern auch furchtbaren Schaden anrichtet, selbst wenn er zu funktionieren scheint. Wie der verstorbene Thomas Gordon, Begründer des Parent Effectiveness Training, einmal zu mir sagte: „Eine autokratische Umgebung macht die Menschen krank.“
Natürlich werden nicht alle Menschen auf die gleiche Art krank. Psychotherapeuten haben schon lange erkannt, dass eine einzige Ursache zu ganz unterschiedlichen Ergebnismustern führen kann. So setzen manche Menschen, die Zweifel an ihrem eigenen Wert haben, sich ständig selbst herab und verhalten sich unsicher, während andere mit den gleichen Zweifeln arrogant und selbstgefällig wirken, weil sie offenbar versuchen, ihr geringes Selbstwertgefühl durch ihr Auftreten auszugleichen. Diese anscheinend gegensätzlichen Persönlichkeiten können demselben Ursprung entstammen.
Ähnlich verhält es sich bei Kindern, deren Eltern auf absoluter Kontrolle bestehen. Manche dieser Kinder werden übermäßig folgsam, andere übermäßig aufsässig. Betrachten wir beide Reaktionen nacheinander.
Viele Eltern träumen davon, Kinder zu haben, die stets tun, was man ihnen sagt, doch wie ich schon in der Einleitung erläutert habe, ist es eigentlich kein gutes Zeichen, wenn Kinder durch Einschüchterung zum Gehorsam bewegt werden. Bei Erwachsenen machen wir uns über „Ja-Sager“, die immer derselben Meinung sind wie ihr Chef, lustig – wie kommen wir dann auf den Gedanken, „Ja-Sager-Kinder“ wären ideal?
1948 wurde in der Zeitschrift Child Development eine der ersten Studien zu diesem Thema veröffentlicht. Das Ergebnis der Studie war, dass Kinder im Vorschulalter, deren Eltern starke Kontrolle über sie ausübten, dazu neigten, „ruhig zu sein, sich gut zu benehmen und sich nicht aufzulehnen“. Jedoch interagierten sie nur wenig mit anderen Kindern, und es schien ihnen an Neugier und Originalität zu mangeln. „Autoritäre Kontrolle… führt zu Konformität, jedoch auf Kosten der persönlichen Freiheit“, schloss der Forscher aus seinen Beobachtungen.13
Über vier Jahrzehnte später erschien in derselben Zeitschrift eine Studie an rund 4100 Jugendlichen. Wieder lautete das Ziel der Studie, das psychische und soziale Wohlergehen dieser Jugendlichen zu untersuchen und dies dazu in Bezug zu setzen, wie sie erzogen wurden. Es stellte sich heraus, dass diejenigen, die autoritäre Eltern hatten, oft ein hohes Maß an „Gehorsam und Übereinstimmung mit den Erwartungen der Erwachsenen“ aufwiesen. Jedoch fügten die Forscher hinzu: „Diese Jugendlichen scheinen einen Preis hinsichtlich ihres Selbstbewusstseins bezahlt zu haben – sowohl, was ihr Selbstvertrauen angeht, als auch im Hinblick darauf, wie sie ihre eigenen sozialen und akademischen Fähig keiten wahrnehmen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine Gruppe junger Menschen zum Gehorsam gezwungen wurde.“14
Übermäßige Folgsamkeit ist also eine mögliche Folge übermäßiger Kontrolle. Jedoch treibt derselbe Erziehungsstil manche Kinder auch in das andere Extrem – dazu, dass sie sich gegen alles und jedes auflehnen. Ihr Wille, ihr Urteilsvermögen, ihr Bedürfnis, etwas Selbstbestimmung über ihr Leben zu haben, sind unterdrückt worden, und sie können nur dadurch ein Gefühl von Autonomie wiederbekommen, dass sie sich übermäßig viel auflehnen.
Wenn wir Kinder dazu bringen, sich machtlos zu fühlen, weil wir sie zwingen, sich unserem Willen zu unterwerfen, löst das oft heftige Wut aus, und nur weil diese Wut in dem Augenblick nicht zum Ausdruck gebracht werden kann, bedeutet das nicht, dass sie verschwindet. Was mit der Wut geschieht, hängt von der Persönlichkeit des Kindes und den genauen Umständen ab. Manchmal kommt es zu weiteren Gefechten mit den Eltern. Wie die Autorin Nancy Samalin bemerkt: „Selbst wenn wir ‚gewinnen‘, verlieren wir. Wenn wir Kinder durch Gewalt, Drohungen oder Strafen zum Gehorchen bewegen, fühlen sie sich hilflos. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit können sie nicht ausstehen, daher provozieren sie eine weitere Konfrontation, um zu beweisen, dass sie noch eine gewisse Macht haben.“15 Und von wem lernen sie, diese Macht zu benutzen? Von uns. Ein autoritärer Erziehungsstil macht sie nicht nur wütend, sondern lehrt sie auch, diese Wut gegen andere Menschen zu richten.16
Es kann passieren, dass solche Kinder ständig das Bedürfnis verspüren, Autoritätsfiguren eine lange Nase zu machen. Manchmal bringen sie die ganze Feindseligkeit mit in die Schule oder auf den Spielplatz. (Studien lassen darauf schließen, dass Kinder stark kontrollierender Eltern – sogar Kinder, die erst drei Jahre alt sind – besonders dazu neigen, sich Gleichaltrigen gegenüber