EMOTIONALE REGULATION
Zwei Monate, nachdem wir mit unserer Einzelarbeit begonnen hatten, schaffte Nick es, eine extreme Welle der Agitation bei sich zu Hauseabzufangen. Er und Tara saßen auf dem Sofa und diskutierten, ob sie ein zweites Kind haben sollten, als plötzlich etwas in Nick auslöste. Er fühlte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss und sein Herzschlag sich beschleunigte. Dann überfluteten ihn die Erinnerungen: zum Beispiel das Bild, wie sein Vater seinen kleinen Bruder schlug. Hilflosigkeit und Panik fingen an, ihn zu umschließen und ein inneres Narrativ der Selbstbeschuldigung übernahm die Führung: „Ich konnte ihn nicht beschützen. Ich konnte ihn nicht beschützen.“
Nick stand auf und ging zum Fenster. Er konzentrierte sich auf das Gefühl seiner Füße auf dem Boden und war so in der Lage, präsent zu bleiben mit dem, was in ihm geschah, ja sogar in gewisser Weise neugierig darauf. Nach einigen Atemzügen realisierte er, dass er große Angst hatte. Sein sich zusammenkrampfender Magen und der plötzliche Gedankenstrom hatten es ihm signalisiert. Als er dies wahrnahm, reduzierte sich sein Bedürfnis zu schreien. Er drehte sich um und ging zu Tara zurück. „Ich möchte darüber reden“, sagte er sanft, den Augenkontakt mit ihr haltend. „Aber ich habe auch Angst. Ich habe plötzlich angefangen, an meinen Vater zu denken und daran, was es bedeutet, eine größere Familie zu haben. Der Druck macht mir Angst, und ich brauche etwas Zeit, mich da durchzuarbeiten.“ Tara stand auf und umarmte ihn. Wenn er sich auf diese Weise mitteilen konnte, war ihre Geduld endlos.
Nicks Fortschritt spiegelt die Verbindung von Achtsamkeit und emotionaler Regulation wider – unserer Fähigkeit, darauf Einfluss zu nehmen, wie wir Emotionen erfahren und wie wir sie ausdrücken. Wir können dies auf verschiedene Weise tun, angefangen bei der Entscheidung, wohin wir unsere Aufmerksamkeit lenken, bis zum tiefen, entspannenden Atemzug. Alle diese Modifikationen haben Einfluss darauf, wie wir unsere Emotionen erfahren und ausdrücken – und im Weiteren darauf, wie wir das Leben erfahren. Die Forschung hat bestätigt, dass Achtsamkeit emotionale Regulation auf vielfältige Weise unterstützt. Durch die besondere und nicht wertende Aufmerksamkeit, die Menschen mit einer aktiven Achtsamkeitspraxis ihrer inneren Welt schenken, antworten sie schneller auf ihre eigenen Emotionen an und sind dadurch weniger anfällig für emotionale Erschöpfung.65 Achtsamkeit erhöht darüber hinaus die Fähigkeit, mit herausfordernden Emotionen und Gedanken präsent zu bleiben, ohne überzureagieren.66 Wir üben, unseren emotionalen Zustand zu erkennen und ihm aus einer freien Entscheidung heraus statt reflexhaft zu begegnen.
Zusätzlich zu den drei Komponenten der Achtsamkeit – Aufmerksamkeitsregulation, Körperbewusstsein und emotionale Regulation – gibt es zwei weitere Vorteile für Traumaüberlebende, die ich mithilfe von Nicks Geschichte darstellen möchte: duales Gewahrsein und Konfrontation. Diese beiden Strategien sind eine Art emotionaler Regulation, bedürfen jedoch einer jeweils eigenen Erklärung.
DUALES GEWAHRSEIN
Wenn man unter traumatischem Stress leidet, ist es schwierig, sich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren. Durch den ständigen Beschuss mit Erinnerungen, zermürbenden körperlichen Empfindungen und traumatischen Triggern in der umgebenden Welt kann es dazu kommen, dass Traumaüberlebende übermäßig auf bestimmte Stimuli fokussiert sind, die dann anfangen, ihre Welt zu dominieren. Erinnern Sie sich an einen Moment in Ihrem Leben, in dem Sie sich den Knöchel verstaucht oder einen Zeh angeschlagen haben. Ich wette, dass Ihr Fokus größtenteils auf den pulsierenden Schmerz gerichtet war. Bei Traumaüberlebenden geschieht etwas Ähnliches. Sie fangen an, sich ausschließlich auf bestimmte Stimuli zu fixieren. Das kann ein bestimmtes Geräusch oder ein Geruch sein, der ein überwältigendes Gefühl der Gefahr auslöst. Plötzlich – und dann kontinuierlich – wird unsere Aufmerksamkeit in die Richtung dieser Bedrohung gezogen. Wenn dies geschieht, wird der Augenblick durch die Linse des Traumas erlebt, und unsere Aufmerksamkeit wird kurzsichtig.
Darum ist ein duales Gewahrsein – also die Fähigkeit, gleichzeitig mehrere Perspektiven aufrechtzuerhalten – eine so wichtige Fertigkeit für Traumaüberlebende. Stellen Sie sich einen Moment vor, in dem Sie mit einem schwierigen Gefühl zu kämpfen hatten, aber in der Lage waren, auch noch eine andere Perspektive aufrechtzuerhalten. Vielleicht waren Sie wütend, als ein anderer Autofahrer Sie schnitt, kontrollierten aber den Impuls zu hupen, weil Sie ein schlafendes Kind auf dem Rücksitz hatten.
Das ist, was Traumaüberlebende brauchen, wenn sie sich mit einem nicht integrierten Trauma auseinandersetzen. Sie müssen in die Lage versetzt werden, ihre Aufmerksamkeit auf fordernde Stimuli zu richten und gleichzeitig ein gewisses Maß an Gewahrsein für den größeren Kontext zu behalten. Wenn sie einen Flashback erleben, müssen sie wissen, dass sie in diesem Augenblick lediglich ein vergangenes Trauma wiedererleben, statt tatsächlich wieder in der betreffenden Situation zu stecken. Der so geschaffene innere Raum kann gerade ausreichen, um kontinuierliche Überforderung zu vermeiden.
Lassen Sie uns zu Nick zurückkehren. Wenn er von seinem Vater sprach, fing sein Herz an, unkontrolliert zu rasen. Nach einer Minute war er nicht mehr in der Lage, sich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren. Seine Atmung beschleunigte sich, er konnte keinen Augenkontakt mehr herstellen, er fühlte sich überwältigt und in Gefahr. Er war in einer anderen Zeit, in einer Situation, die ihn in Panik versetzte. Ich bat Nick, sich im Raum umzusehen und verschiedene Objekte zu benennen – das Gemälde an der Wand, das Bücherregal in der Ecke, die Grünpflanze neben dem Fenster. Dies ist eine Orientierungsübung, um Traumaüberlebenden wieder in die Gegenwart zurückzuhelfen. Dann forderte ich Nick auf, wahrzunehmen, dass sein Vater nicht im Raum war. Sobald er das getan hatte, ließ ich Nick eine Reihe von Sätzen wiederholen, die sein duales Gewahrsein unterstützen sollten. „In diesem Augenblick“, sagte Nick schließlich, „spüre ich, dass mein Herz rast, weil ich an meinen Vater denke. Gleichzeitig sehe ich mich um und erkenne, dass mir in diesem Zimmer, in diesem Moment, keine direkte Gefahr droht.“* Schließlich nahm er wieder Augenkontakt zu mir auf, und ich konnte erkennen, dass er zurückgekehrt war. Er wusste, dass er sich in der Gegenwart befand und dass er einen Flashback erlebt hatte. „Genau das passiert mir zu Hause“, sagte er, „aber nie schaffe ich es, innezuhalten und zu realisieren, was tatsächlich geschieht.“
In ihrer Beschreibung des dualen Gewahrseins unterscheidet Rothschild zwischen dem beobachtenden Selbst und dem erlebenden Selbst. Das erlebende Selbst ist unser inneres Gefühl des Traumas – für Traumaüberlebende häufig die starken viszeralen Anzeichen von traumatischem Stress.67 Also Nicks erlebendes Selbst im Alarmzustand, mit rasendem Herz und flachem, schnellem Atem. Das beobachtende Selbst hat währenddessen etwas Abstand zum Erlebnis. Wir werden Zeuge des Ereignisses, statt von ihm überwältigt zu werden. Nicks beobachtendes Selbst meldete sich zurück, als er verstand, was mit ihm geschah. Er wusste, dass er nicht vor seinem Vater stand, sondern in meiner Praxis war und eine traumatische Erinnerung durchlebte.
Achtsamkeit stärkt das beobachtende Selbst und darüber hinaus die Kapazität des dualen Gewahrseins. Mit Übung können Traumaüberlebende lernen, Zeuge ihrer Erfahrung zu werden, ohne sich mit ihr zu identifizieren. Durch das Gewahrsein zweier simultaner Dinge – und mithilfe erfahrener Anleitung – können sie traumatische Stimuli erleben, während sie mit einem Fuß fest im gegenwärtigen Augenblick verwurzelt bleiben.
KONFRONTATION
Wenn wir uns selbst überlassen sind, neigen wir typischerweise dazu, uns vom Schmerz ab- und den angenehmen Dingen zuzuwenden. Aber ein Teilaspekt beim Üben von Achtsamkeit besteht darin, sich gezielt dem auszusetzen, was in unserem Bewusstseinsfeld geschieht, sei es angenehm oder unangenehm. Egal ob wir Tagträumen über unsere nächste Mahlzeit nachhängen oder ob wir einen stechenden Schmerz in unserer Schulter spüren, wir bleiben präsent. Wir lassen, was auch immer gerade geschieht, Einfluss auf uns nehmen – hier und jetzt. Für viele Meditationsanfänger kann sich das sperrig anfühlen, aber Achtsamkeit funktioniert anders. Wir wenden uns dem Entstehenden zu und nicht von ihm ab.
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