Lassen Sie uns diese Definition im Kontext der individuellen Formen von Trauma aufschlüsseln.
Absichtsvolle Aufmerksamkeit
Die erste Komponente von Achtsamkeit ist, absichtsvolle Aufmerksamkeit zu schenken. Gemeint ist, dass wir lernen, unsere Aufmerksamkeit absichtsvoll zu steuern und ausdauernd aufrechtzuerhalten. Es verhält sich ähnlich wie mit einer Taschenlampe, die man in einen dunklen Raum hält: ohne Achtsamkeit driftet unsere Aufmerksamkeit ziellos von einer Ecke zur anderen. Mit Achtsamkeit können wir die Taschenlampe jedoch gezielt auf bestimmte Punkte richten. Dies kann Aufmerksamkeit auf Empfindungen sein, die durch unseren Atem entstehen, oder es kann die Beobachtung unserer Emotionen beinhalten. Absichtsvolle, achtsame Aufmerksamkeit hilft, einen wandernden Geist zu zügeln.
Traumatischer Stress hat weitreichende Auswirkungen auf die Aufmerksamkeit. Menschen mit posttraumatischem Stress reagieren oft reflexartig auf traumarelevante Stimuli in ihrer Umgebung – besonders Geräusche, Gerüche oder Anblicke, die sie mit dem traumatischen Erlebnis assoziieren. Nick wurde bei jedem Mann bange, der seinem Vater ähnlich sah, und sein Körper versteifte sich. Dies ist einer der Gründe, weshalb Achtsamkeit im Kontext von Trauma so kraftvoll sein kann: Mit Übung können Traumaüberlebende lernen, ihre Aufmerksamkeit auf eine zielgerichtete Art zu lenken, die ihnen dabei hilft, innerlich stabil zu bleiben. Statt ihrer Aufmerksamkeit ausgeliefert zu sein, können sie so ihre „Taschenlampe“ stabilisieren und ein Gefühl der Handlungsfähigkeit und Kontrolle zurückgewinnen.
Im gegenwärtigen Augenblick
Das zweite Element von Kabat-Zinns Definition der Achtsamkeit ist, dem Augenblick Aufmerksamkeit zu schenken. Wir üben uns darin, unsere Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt zu verankern, statt uns in Gedanken über die Vergangenheit oder Zukunft zu verlieren. Dies ist in der Tat der einzige Moment, den wir haben – eine „fortlaufende Welle vorüberziehender Zeit“. (Gunaratana, 1996, S. 152) Wie die buddhistische Lehrerin Sylvia Boorstein schrieb: „Achtsamkeit ist die bewusste, ausbalancierte Aufmerksamkeit für die augenblickliche Erfahrung. Komplizierter ist es nicht. Man öffnet sich dem gegenwärtigen Augenblick oder empfängt ihn, als angenehm oder unangenehm, so, wie er ist.“ (1995, S. 60).
Für Traumaüberlebende ist der Augenblick jedoch oft voll von Erinnerungen an die Vergangenheit. Wie Nick erfahren musste, können nicht integrierte Fragmente des Traumas – desorientierende Gedanken, qualvolle Erinnerungen oder irritierende physische Empfindungen – jederzeit in das Bewusstseinsfeld der Traumaüberlebenden vordringen. Diese Beeinträchtigungen können dazu führen, dass Traumaüberlebende den Augenblick durch die Linse einer schmerzhaften Vergangenheit wahrnehmen. Mithilfe von Achtsamkeit können sie jedoch lernen, ihre Aufmerksamkeit in der Gegenwart zu verankern. Wie die Traumaspezialistin Babette Rothschild in The Body Remembers, Volume 2: Revolutionizing Trauma Treatment schrieb: „Die Fokussierung der Achtsamkeit auf den Augenblick ist ein offensichtliches und natürliches Gegenmittel bei PTBS, ein Zustand, in dem Geist und Körper des Traumaüberlebenden kontinuierlich in Erinnerungen an die schreckliche Vergangenheit hineingerissen werden.“ (2017, S. 166) Natürlich macht das die Traumaheilung weder leichter, noch kann Achtsamkeit potenzielle Komplikationen verhindern, wie Rothschild selbst anmerkt. Aber zu lernen, in der Gegenwart verwurzelt zu bleiben, während man ein nicht integriertes Element des Traumas wiedererlebt, ist eine wesentliche Fähigkeit im Traumaheilungsprozess.
Nicht wertende Aufmerksamkeit
Die dritte Komponente der Achtsamkeit ist nicht wertende Aufmerksamkeit. Dies bedeutet, unserer Augenblickserfahrung mit einer Haltung der Neugierde und Akzeptanz zu begegnen. Statt die Stimmung, in der wir sind oder Erinnerungen, die wir haben, zu werten oder abzutun, üben wir, offen und neugierig zu bleiben. Damit ist nicht gemeint, dass wir unser kritisches Denken aufgeben oder eine Laisser-faire-Haltung annehmen müssen. Stattdessen können wir Achtsamkeit dazu nutzen, weniger defensiv zu sein und uns den Dingen zu öffnen, die tatsächlich in der Welt geschehen. „Was auch immer wir erfahren mögen“, schrieb der buddhistische Mönch Bhante Gunaratana, „Achtsamkeit akzeptiert es eben. … Kein Stolz, keine Scham, nichts Persönliches steht auf dem Spiel – was da ist, ist da.“ (1996, S. 151)
Nicht wertende Aufmerksamkeit kann für Traumaüberlebende eine große Herausforderung sein. Wie gesagt, kann Trauma Scham und Selbstverurteilung verursachen. Bei Traumaüberlebenden kann es soweit kommen, dass sie sich selbst für ihr Trauma verantwortlich machen oder dass sie glauben, gebrochen und unfähig zur Heilung zu sein. Die Forschung hat belegt, dass, je stärker die Traumasymptome ausgeprägt sind, desto wahrscheinlicher es ist, dass der Traumaüberlebende selbstkritisches Verhalten zeigt.60 Obwohl Traumaüberlebende gerechtfertigte Wut, Ärger oder Rage gegenüber den Menschen oder Institutionen verspüren, die ihnen das Trauma zugefügt haben, ist es weitverbreitet, dass Traumaüberlebende die Kraft ihrer Emotionen nach innen, gegen sich selbst richten.
Achtsamkeit bietet Wege, mit dem wertenden Geist zu arbeiten. Wenn es Traumaüberlebenden gelingt, ihrer Erfahrung mit Neugierde zu begegnen – und vielleicht sogar mit Selbstmitgefühl –, öffnen sie sich der Möglichkeit, ihre Gegenwart und Vergangenheit mit offenem Herzen und Geist zu untersuchen. In einer Sitzung schlug ich vor, dass Nick seine Hand auf die Stelle legte, an der er die größte Wut spürte, und dass er versuchte, neugierig gegenüber den Empfindungen und Emotionen zu sein, die er dort vorfand. Oft schalt er sich dafür, diese Gefühle zu haben – als trüge er die Schuld an den Misshandlungen seiner Kindheit. Aber mithilfe von Achtsamkeit begann er, statt Frustration und Selbstabwertung mehr Liebe und Mitgefühl für sich selbst zu spüren. Das konnte der Auftakt zu einem stabileren und ausgeglichenen Leben sein. Eine Minute lang ruhte Nicks Hand auf seinem Bauch, er atmete ein und seine Stirn begann sich zu entspannen.
SELBSTREGULATION
Die oben zitierte dreiteilige Definition von Achtsamkeit erschien in hunderten von Forschungsstudien, die die Wirkung von Achtsamkeit untersuchten. Im Allgemeinen waren die Ergebnisse positiv: Es war nachzuweisen, dass Achtsamkeit bei der Behandlung verschiedener Erkrankungen, wie zum Beispiel Angstzuständen und Depressionen, chronischen Schmerzen und Essstörungen, hilfreich war.61 Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass sie das allgemeine körperliche und mentale Wohlbefinden verbesserte. Aber wenn man diese Studien liest, drängt sich eine einfache Frage auf: Was ist es, das Achtsamkeit so wirkungsvoll macht? Warum ist Achtsamkeit möglicherweise so vorteilhaft wie, sagen wir, rigoroses körperliches Training oder das Einnehmen eines bestimmten Medikaments?
Bei dem Versuch, diese Fragen zu beantworten, wird schnell klar, dass Achtsamkeit schlecht zu operationalisieren ist – das heißt, ihre Komponenten lassen sich schwer zu messbaren Größen auseinanderdividieren. So fassten die Achtsamkeitsforscher Kathleen Corcoran, Norman Farb, Adam Anderson und Zindel Segal zusammen: „Obwohl der Nutzen von Achtsamkeit allgemein anerkannt ist, bleiben die spezifischen Mechanismen und Prozesse, die bei deren Erzielung wirksam sind, weitestgehend unbekannt.“ (2009, S. 339) Nichtsdestotrotz haben Forscher versucht, einzelne Komponenten von Achtsamkeit für ihre Studien zu isolieren: reduzierte innere Erregung (Arousal) beispielsweise oder eine akzeptierendere Einstellung. Ein Projekt nutzte sogar eine vorgetäuschte Meditation, um bestimmte Variablen kontrollieren zu können, damit untersucht werden konnte, ob die eigene Körperhaltung oder die Beziehung zu einem fähigen Meditationslehrer mit dem Nutzen von Achtsamkeit korrelierten.62 Wissenschaftler versuchen noch immer zu entschlüsseln, was genau es ist, das Achtsamkeit so wirkungsvoll macht. Das Konzept, das ich in dieser Diskussion hervorheben möchte, ist die Idee, dass Achtsamkeit ein Prozess erhöhter Selbstregulation ist.63 Die Psychologieprofessoren Joan Littlefeld Cook und Greg Cook definierten Selbstregulation als „die Fähigkeit,