Er ist nicht nur extrem ehrgeizig, ihn ärgert zudem das sture Festhalten an überlieferten Gedanken, ob sie nun von Aristoteles oder aus der Bibel stammen. Er kämpft unermüdlich gegen alles, was einen Denkzwang ausübt – was ganz sicher zu Brechts Zuneigung ihm gegenüber beigetragen hat. Bei dem geschilderten Charakter muss es Galilei deshalb 1632 ein diebisches Vergnügen bereitet haben, seinen heute so berühmten Dialog über die beiden hauptsächlichen Weltsysteme zu verfassen, womit das neue Kopernikanische und das alte geozentrische Bild gemeint sind, die miteinander zum Nachteil kirchlicher Lehren verglichen werden.
In seinem in vielen Teilen polemischen Text zeigt Galilei, dass ein toskanischer Bauer leichter das Geschehen am Himmel versteht als ein aristotelischer Philosoph, und er macht sich höchst vergnüglich über alle Zeitgenossen lustig, „die trotz guter Augen nicht sehen, was andere mit ihrer Erfahrung an Wahrem und Irrigem aufgedeckt haben“.
Mit diesem Dialog hat Galilei zwar der Nachwelt eine große Freude, sich selbst aber leicht angreifbar gemacht. Die Kirche sollte sich bald rühren und ihre unchristliche, menschenverachtende Macht zeigen.
Der Konflikt mit der Kirche
Galileis Konflikt mit der Kirche hatte um 1614 begonnen, als er sich in Briefen und Gesprächen dahingehend äußerte, dass es doch für Astronomen nicht um die Frage gehen könne, ob einzelne Bibelstellen in Einklang mit dem Kopernikanischen System stünden oder nicht. Es gehe in der Wissenschaft seiner Tage vielmehr um die Aufgabe, das ganze Denken über den Kosmos von der ihm überholt erscheinenden Philosophie des Aristoteles zu lösen und für eine Epoche neu zu entwerfen, der ein Teleskop zur Verfügung stand, das den Himmel näher holte und genauer Beobachtung zugänglich machte.
Nun hatte sich die Kirche schon seit langem entschieden, das Denken des großen Griechen nicht nur als zufällige Ergänzung einer durchweg christlichen Weltanschauung zu betrachten, sondern sich zu dem wissenschaftlichen Inhalt seiner Schriften zu bekennen. Zwar gab es einzelne Bemühungen in katholischen Kreisen, vorsichtig zu begründen, warum die Bibel dem historischen Schritt von Aristoteles zu Kopernikus kein Hindernis in den Weg lege. Aber im Jahre 1616 verkündete das Heilige Offizium unbeirrt und stur in Form eines Dekrets, dass die Behauptung, die Sonne stehe im Zentrum der Welt, „irrtümlich im Glauben“ sei.
Natürlich hinderte dieses Wissen einen Kämpfer wie Galilei nicht, weiter in dieser Wunde zu bohren. So publizierte er in seinem bereits erwähnten Dialog über die beiden Weltsysteme die erste populäre Darstellung des Kopernikanischen Systems. Damit geriet er in das gnadenlose Räderwerk der Inquisition. Nach einem unwürdigen Prozess wurde Galilei am 22. Juni 1633 dazu verurteilt, der heliozentrischen Lehre auf Knien abzuschwören und ihre Behauptungen als bedauerlichen Irrtum zu bezeichnen – worauf er sehr viel später mit seinem berühmten „Und sie bewegt sich doch“ rhetorisch reagiert hat.
Galilei hat sich seine Verurteilung zielsicher persönlich mit eingebrockt, und zwar dadurch, dass er in seinem Dialogo einen Gesprächspartner mit dem wenig schmeichelhaften Namen „Simplicio“ auftreten lässt, dem er – für alle Leser seiner Zeit unmittelbar ersichtlich – die eigentlich gar nicht so schlichten Ansichten des amtierenden Papstes in den Mund legt. Es handelt sich um Urban VIII., der damals schon genug Niederlagen im weltlichen Raum hinnehmen musste und dem jetzt wohl der Geduldsfaden gerissen war, wobei eine genaue Darstellung zeigen könnte, wie sehr der Papst mit manchen Vorwürfen gegenüber Galilei recht hatte. Dazu gehört die Verwerfung von Galileis übertriebenem Anspruch, die Kopernikanische Lehre beweisen zu können. Urban VIII. meinte, in der Mathematik gebe es Beweise, am physikalischen Himmel nur Beobachtungen mit plausiblen Erklärungen.
Doch wie dem auch sei, mit dem Urteil gegen Galilei war ein in vielen Kreisen willkommener Märtyrer geboren worden. Es dauerte viele hundert Jahre bis zum Herbst 1992, bis die Kirche durch Papst Johannes Paul II. Galileis Verdammung endlich aufgehoben und seine Verurteilung als unglückliches Ergebnis „eines tragischen wechselseitigen Unverständnisses zwischen dem Pisaner Wissenschaftler und den Richtern der Inquisition“ bezeichnet hat.
Galileis Glaube
Keine Frage, Galilei ist heftig mit der Kirche in Konflikt geraten. Lag das mehr an seiner Streitlust oder mehr an seinem Glauben? Was kann man überhaupt über Galileis Gott sagen?
Die Antwort auf die letzte Frage fällt sehr enttäuschend aus und heißt: „Wenig!“ Zwar findet man in der Literatur Hinweise auf den gläubigen Christen Galilei oder gar auf einen frommen Katholiken, aber ein Bekenntnis, in dem Galilei anderen etwas über den konkreten Inhalt seines Glaubens verrät, ist nicht überliefert. Der Astronom hat – siehe oben – Gott offenbar als Mathematiker und nicht als Dichter eingestuft. Im Übrigen hat er oft betont, dass der Allerhöchste vor allem erwarte, dass wir ihn lieben, was man aber auch als rhetorische Floskel verstehen kann, die in seiner Zeit üblich war.
Was Galileis persönliches Dasein anging, so lebte er „in Sünde“, was konkret bedeutete, dass er mit einer Venezianerin namens Maria Gamba in einem Konkubinat zusammenlebte. Die beiden hatten drei gemeinsame Kinder, wobei die ärgerliche Tatsache bemerkenswert ist, dass Galilei nur seinen Sohn legitimierte, während er seine beiden Töchter ins Kloster schickte – vermutlich, um sich die teuren Hochzeiten zu ersparen.
Unabhängig davon war Galilei in Sachen Kirche und eines Gottes überraschenderweise ein eher schablonenhafter Denker, bei dem keinerlei Differenzierung zu finden ist und der Luther und Calvin bequem als Erzketzer diffamierte. In einem Brief vom 13. Oktober 1632 an den Kardinal Barberini bekundet Galilei ganz devot seine völlige „Ergebenheit gegenüber der Heiligen Kirche“, und er schreibt ganz brav von „Demut, Ehrerbietung, Untertänigkeit und Gehorsam“, wenn er auf seine Einstellung gegenüber der Kirche und ihren Repräsentanten zu sprechen kommt.
Galileis nach außen zwar rebellisch wirkende, tatsächlich aber höchst unterwürfige Einstellung der katholischen Kirche gegenüber kommt auch in seinen Ansichten zu Kepler zum Ausdruck, über den er sich in einem 1618 geschriebenen Brief an Erzherzog Leopold von Österreich beschwert, da der deutsche Astronom als „ein nicht zu unserer Heiligen Kirche Gehörender“ sich erdreiste, die Richtigkeit des Kopernikanischen Systems zu beweisen.
Offensichtlich ärgert es Galilei, dass da einer wissenschaftlich weiter gekommen war als er. An dieser Stelle hört bei ihm jeder Spaß auf. Heiterkeit und Freude sucht man in seinem Leben vergebens. Von heiliger Raserei oder weltlichen Freudentänzen keine Spur. Kein souveränes Gottesbild eines großen Geistes, nur das oftmals grummelnde und eigenbrötlerische Gehabe eines streitlustigen Genies.
Wie gesagt, Galileis Gott wirkt wie ein Mathematiker. Manchmal bekommt man den Eindruck, er habe trotz aller volkstümlichen Sprache viele Mitmenschen vom Wissen ausschließen und die Kenntnisse der Natur einer elitären Minderheit vorbehalten wollen. Auf jeden Fall hat er sich eher feige und ängstlich vor einem überzeugenden Gottesbild gedrückt. Man hat den Eindruck, dass Galileis Gott er höchst selbst war. Mit ihm muss er sich ausnehmend gut verstanden haben.
Ein Geheimnis bei Galilei
Übrigens – bei Galilei gibt es nicht nur wissenschaftliche Streitlust und theologische Bequemlichkeit, sondern tatsächlich auch einige Physik zu lernen, vor allem bei einigen Formen der Bewegung. Ihm wird zum Beispiel als erstem Forscher klar, dass es etwas bedeuten muss, wenn ein Gegenstand etwa auf einem gleichmäßig dahinfahrenden Schiff genauso zu Boden fällt wie am Hafen, von dem man das Ganze aus verfolgen kann. Er erhob aus dieser Beobachtung die Forderung, dass ein Naturgesetz sich nicht verändern darf – invariant bleibt –, wenn man es einmal für den ruhenden Beobachter im Hafen und ein zweites Mal für den seefahrenden Kollegen an Bord einer Jacht aufstellt. Physiker reden in dem Fall von verschiedenen Bezugssystemen. Galileis Entdeckung besagt, dass Gesetze unabhängig von gleichmäßig ablaufenden Verschiebungen sein müssen, denen solche Systeme unterliegen können.