Wenn wir an die Wurzel der schlimmsten Selbstzerstörung und der grauenhaftesten Gewalttaten in dieser Welt gehen, finden wir irgendwo immer diese Sehnsucht nach Nähe, nach Glück. In irgendeiner Form ist sie immer da, auch wenn sie sich manchmal auf die verzerrteste und widerwärtigste Art äußert. Das können wir berühren. Wir können näherkommen und uns öffnen. Wir können Verbindung aufnehmen mit unseren schwierigen Seiten, mit den unterschiedlichen Erfahrungen unseres Lebens. Wir können die Ideen durchbrechen, die uns voneinander trennen. Dies ist das wahre Wesen der Liebe, dies ist die Quelle der Gesundung für uns und unsere Welt. Auf diesem Boden kann Freiheit wachsen.
Metta ist die Fähigkeit, alle Aspekte unseres Wesens ebenso gutzuheißen wie alle Aspekte der Welt. Die metta- Meditation läßt unsere innere Einheit erstrahlen, weil sie uns des Zwangs enthebt, einige Aspekte unseres Selbst zu leugnen. Mit der heilenden Kraft der Liebe können wir uns allem öffnen. Wenn wir lieben, sind wir so aufnahmefähig und so weit offen, daß wir bei vollem Bewußtsein das Leben in seiner Gänze umschließen, die Freuden wie die Schmerzen. Wir fühlen uns vom Schmerz weder betrogen noch überwältigt und können daher ungeachtet der jeweiligen Situation mit dem Ort in uns Verbindung aufnehmen, der heil ist. Metta erlaubt uns zu sehen, daß unsere Einheit unzerstörbar ist, in welcher Lebenssituation wir uns auch befinden. Wir brauchen nichts zu fürchten. Wir sind ganz; unser größtes Glück liegt schon in uns und kann weder durch Ungewißheit noch durch Wandel zerstört werden.
Wenn wir lieben, beherzigen wir eine der wichtigsten Wahrheiten, die der Buddha lehrte – der Geist ist von Natur aus strahlend und rein. Unser Leiden ist die Folge vorübergehender Befleckung.
Die gängige deutsche Übersetzung des Pali-Wortes kilesa ist Unreinheit, Befleckung oder Grundübel, präziser wäre es allerdings mit Seelenqual übersetzt. Wir wissen aus unmittelbarem eigenem Erleben, daß uns bestimmte Zustände wie Wut, Angst, Schuld und Gier quälen können. Wenn sie anklopfen und wir sie einlassen, verlieren wir die Verbindung mit der reinen Natur unseres Wesens, und dann leiden wir.
Wenn wir uns mit diesen Unreinheiten oder Qualen nicht identifizieren, begreifen wir, daß sie nur Besucher sind. Sie sind uns fremd, gehören nicht zu uns. Sie spiegeln nicht, wer wir wirklich sind. Die Befleckungen oder kilesas sind eine zwangsläufige Folge unserer Konditionierungen. Doch deswegen müssen wir uns nicht verurteilen. Unsere Aufgabe besteht darin, sie als das zu erkennen, was sie sind, und an unsere wahre Natur zu denken.
Wir können das Leuchten und die Reinheit unseres Geistes verstehen, wenn wir metta verstehen. Wie der Geist wird auch metta nicht von dem verzerrt, was ihr begegnet. Dem Ärger, der in uns oder anderen aufsteigt, können wir mit Liebe begegnen; Liebe wird durch Ärger nicht zerstört. Metta nährt sich selbst und ist daher unabhängig von unsicheren äußeren Umständen. Der liebevolle Geist kann in einem Moment Freude und Frieden wahrnehmen und im nächsten Kummer, ohne von solchem Wechsel überwältigt zu werden. Er ist mit dem Himmel vergleichbar, über den verschiedenartige Wolken ziehen – einige leicht und wattig, andere dunkel und bedrohlich. Was immer geschehen mag, der Himmel wird von den Wolken nicht beeinflußt. Er ist frei.
Der Buddha lehrte, daß Kräfte, die Leid verursachen, die positiven Kräfte wie Liebe oder Erkenntnis zwar zeitweilig unterdrücken, nicht aber vernichten können. Die negativen Kräfte können die positiven Kräfte niemals völlig ausrotten, wohingegen die positiven die negativen tatsächlich auf immer besiegen können. Liebe kann Angst, Wut oder Schuldgefühle besiegen und ausrotten, denn sie ist die größere Macht.
Liebe gelangt überall hin. Nichts kann sie aufhalten. Das Buch I Am That, Gespräche mit Nisargadatta Maharaj, enthält eine Unterhaltung zwischen Nisargadatta und einem Mann, der oft über seine Mutter klagte. Er meinte, sie sei ihm keine gute Mutter gewesen, und sie sei kein guter Mensch. Nisargadatta riet ihm, sie zu lieben. Der Mann antwortete: „Das würde sie nicht zulassen.“ Und Nisargadatta sagte: „Sie kann dich nicht daran hindern.“
Nichts Äußeres kann Liebe verhindern; nichts und niemand kann sie aufhalten. Das Entstehen von Liebe ist nicht davon abhängig, daß die Dinge auf eine bestimmte Weise sind. Wie die wahre Natur des Geistes, ist auch metta von nichts abhängig; sie ist bedingungslos. Wenn wir beim Meditieren dieses Gefühl spüren, kommen wir unmittelbar mit dem tiefsten Wesen von metta in Verbindung. Die Folge ist ein gravierender Wandel unserer Weltsicht. Anfangs scheinen wir am Ufer zu sitzen und zuzusehen, wie auf der Oberfläche des Meeres Wellen tanzen. Bei fortgeschrittener Meditation ist es, als seien wir unter Wasser, in den ruhigen, reglosen Tiefen, und als beobachteten wir, wie sich die Wellen über uns bewegen. Noch später erkennen wir, daß wir das Wasser sind, nicht anders und nicht getrennt, und daß Wellen geschehen. Und so umfaßt auch metta alles.
Das Pali-Wort metta hat zwei Wurzeln. Eine ist das Wort für „sanft“. Metta wird mit einem sanften Regen verglichen, der auf die Erde fällt. Der Regen wählt nicht aus – „Hierhin regne ich, dorthin nicht.“ Er fällt, ohne Unterscheidungen zu treffen.
Die andere Wurzel des Wortes metta ist „Freund“. Wer die Macht und Kraft von metta versteht, versteht Freundschaft. Der Buddha hat recht ausführlich erläutert, was er unter „ein guter Freund“ versteht. Er nannte ihn einen Menschen, der in unseren glücklichen Zeiten da ist, und auch dann, wenn es uns schlechtgeht und wir unglücklich sind. Ein Freund verläßt uns nicht, wenn wir in Schwierigkeiten sind, und er freut sich nicht über unser Unglück. Der Buddha beschrieb den wahren Freund als Helfer, als jemanden, der uns beschützt, wenn wir nicht auf uns selbst aufpassen können, der ein sicherer Hafen für uns ist, wenn wir Angst haben.
Ein Mann beschrieb einmal dem Dalai Lama, wieviel Angst er beim Meditieren empfinde. Der Dalai Lama sagte: „Wenn Sie Angst haben, betten Sie Ihren Kopf in Buddhas Schoß.“ Buddhas Schoß steht für die Sicherheit der wahren Freundschaft. Metta gipfelt darin, sich selbst und allen Lebewesen ein solcher Freund zu werden.
Die metta-Meditation, also die Entdeckung, wie die Kraft der Liebe Furcht, Wut und Schuldgefühle ausmerzen kann, beginnt damit, daß wir uns mit uns selbst anfreunden. Die Grundlage der metta-Praxis ist das Wissen, wie wir uns selbst ein Freund sein können. Der Buddha sagt: „Durchsuche das Universum nach einem Wesen, das deine Liebe und Zuneigung mehr verdient als du, du wirst es nirgends finden. Du selbst verdienst deine Liebe und Zuneigung ebensosehr wie jedes andere Wesen im gesamten Universum.“ Wie wenige von uns akzeptieren sich so! Mit der metta-Praxis entdecken wir die Möglichkeit, uns selbst wirklich zu respektieren. Wir entdecken, wie Walt Whitman es formulierte, „Ich bin größer und besser, als ich glaubte. Ich habe nicht gedacht, daß so viel Gutes in mir ist.“
Sehen wir, wie strahlend unser Geist von Natur aus ist, lehrt uns dies auch, unsere eigene Liebenswürdigkeit zu erkennen. Um einen Satz aus dem Zen-Buddhismus zu zitieren: Dies ist unser Gesicht, bevor wir geboren wurden – bevor wir in unsere Identifizierung mit einem getrennten, begrenzten Ich hineingeboren wurden. Das Erkennen unserer Liebenswürdigkeit zeigt uns den direkten Weg zum Erkennen dieses angeborenen Strahlens.
Wenn wir auf unser Potential vertrauen, als Mensch zu lieben, fördert dies die Entwicklung von metta. Unsere Fähigkeit zu lieben ist real, und sie ist unzerstört, was wir auch erleben: Trotz all der Fehler, die wir vielleicht machen, all der Male, die wir in Reaktionen gefangen sind, all der Male, die wir Schmerzen zugefügt haben, all der Male, die wir gelitten haben. Von allem unberührt, bleibt unsere Fähigkeit zu lieben unversehrt und rein. Indem wir metta in der Meditation und im Alltagsleben praktizieren, kultivieren wir diese Fähigkeit. Liebe und unsere Motivation verbinden sich, gemeinsam heilen sie uns und die Welt.
Unser wichtigster Verbündeter ist in mancherlei Hinsicht unser Wunsch, glücklich zu sein. Er führt uns unfehlbar zur Freiheit, wenn wir ihn mit der Einsicht verbinden, was uns tatsächlich Glück beschert. Manchmal glauben wir allerdings, Glück nicht wirklich zu verdienen, ja wir schämen uns fast schon wegen des Wunsches. Und doch gehört dieser Wunsch zum Besten an uns, denn er öffnet uns die Tür zur Transzendierung unseres begrenzten Lebens.
Bestimmte