Kein Wesen wünsche einem anderen
aus Ärger oder feindlicher Gesinnung
je Kummer oder Leid!
Wie eine Mutter mit ihrem Leben
ihr Kind, ihr einziges Kind schützt,
so sollen auch wir mit grenzenlosem Herzen
alle Lebewesen lieben;
unsere Güte soll
das ganze Universum durchdringen:
sich nach oben zu den Himmeln erstrecken
und nach unten in die Tiefen,
nach außen, unbehindert überall hin, von Haß und Feindseligkeit befreit.
Ob wir stehen oder gehen, sitzen oder liegen,
von Schläfrigkeit frei,
stets sollen wir in dieser Achtsamkeit sein.
Dies nennen wir das erhabene Verweilen.
Wenn er keinen festen Ansichten anhängt,
wird der Tugendhafte, dem Erkenntnis eigen,
von Gier und sinnlichem Verlangen befreit,
nicht mehr in diese Welt geboren.
Worte des Buddha
über Liebende Güte (Metta Sutta)
Vorwort
Über dem Eingangsportal der Insight Meditation Society in Barre, Massachusetts, wo Sharon Salzberg lehrt, steht in großen Lettern METTA, das Pali-Wort für „Liebende Güte“. Man mag sich fragen, warum gerade dieses Wort gewählt wurde und nicht, um nur einige zu nennen, Achtsamkeit, Einsicht, Gleichmut, Weisheit oder Mitgefühl. Für mich sind alle diese Eigenschaften, die wir in langen Meditations-Klausuren an Orten wie der Insight Meditation Society oder in unserem Alltag üben, in dieser schlichten Eigenschaft des Herzens vereint. Die entscheidende Frage ist, ob und wie wir sie in den scheinbar nebensächlichen Alltäglichkeiten leben, und zwar sowohl uns selbst wie anderen gegenüber.
Der Dalai Lama sagt: „Meine Religion ist die Güte.“ Wenn alle so dächten und danach handelten, entstünden sofort innerer und äußerer Frieden, die ja in Wirklichkeit niemals verschwunden sind; sie sind nur verborgen und warten auf Wiederentdeckung. Dies ist das Werk und die Kraft der Liebenden Güte, in der es keine Trennung gibt zwischen dem Ich, den anderen und dem, was geschieht – sie bekräftigt und ehrt das Gute, mit dem wir alle geboren wurden. Die praktizierte Liebende Güte ist in der Tat die Grundlage der Achtsamkeits-Meditation, sie verlangt die gleiche nicht wertende, nicht besitzergreifende, nicht urteilende Orientierung am gegenwärtigen Erfahrungsaugenblick, eine Orientierung, durch die Ruhe, Klarheit des Geistes und des Herzens sowie Verstehen möglich werden und sich entwickeln können.
Sharon zeigt in diesem Buch, wie wir die Liebende Güte in unserem Leben systematisch pflegen können. Angesichts des Schmerzes und der Verwirrung, die wir oft erleben, des tiefgreifenden Irrtums im menschlichen Denken darüber, wer und was wir sind, sowie der Art, wie wir auf Belastungen und Leid in unserem Leben reagieren, ist das Praktizieren Liebender Güte schwierig – ebenso schwierig, wie auf den eigenen Atem zu achten oder den Fluß der eigenen Gedanken zu beobachten. Aber es ist ein überaus wirkungsvoller Weg, ein fundamentaler Weg, um Geist und Herz zu öffnen. Aus dieser Saat erwachsen wahres Glück, inneres Wohlbefinden und Genesung für uns und für alle Lebewesen, menschliche und andere – ein jedes ein Wunder, mit denen wir diesen zerbrechlichen Planeten Erde teilen. Möge Sharons Buch dazu beitragen, diese Entwicklung überall zu fördern.
JON KABAT-ZINN
Juli 1994
Danksagung
Im Laufe meines Lebens haben mir so viele Lehrer, Freunde und Schüler geholfen, etwas über Liebende Güte zu lernen, daß ich sie hier nicht alle einzeln aufzählen kann. Daher nenne ich nur jene namentlich, die mir bei diesem Buch halfen:
Steve Smith und Alan Clements, die mich zu meiner ersten Birma-Reise* anregten. Rand Engel, der vorschlug, ich solle ein Buch über Liebende Güte schreiben. Joseph Goldstein, der jeden Schritt des Weges mit mir gegangen ist und der mir in letzter Zeit beibrachte, was man mit schwierigen Kapiteln macht.
Barbara Gates, die mit außerordentlicher Eleganz und Fachkenntnis redigiert und die mich einige Grundbegriffe des Schreibens lehrte. Ann Barker, Sarah Doering, Catherine Ingram, Kate Wheeler, Judith Stanton und Dorothy Austin, die mich unermüdlich unterstützten und denen ich Verbesserungsvorschläge und kreative Ratschläge verdanke. Die Angestellten und Lehrenden der IMS, die sich diesen Lehren widmen.
Eric Kolvig, der das Projekt mit mir begann, dessen außerordentliche Fähigkeiten als Lektor dies alles möglich machten und der einige Kapitel durch seine Anregungen bereicherte. David Berman, der mir sechs der sieben Sachen beibrachte, die ich auf dem Computer kann, der heroisch mitten im Winter zurückflog, um mir zu helfen, und der mir bis zum Schluß unbeirrbar eine Stütze war.
Der Writers’ Club: Tara Bennet-Goleman, Susan Harris, Dan Goleman, Ram Dass, Kedar Harris und Joseph Goldstein, die eine ständige Anregung für mich waren und gelegentlich produktiven kollegialen Druck ausübten. Susan Harris für den Computer, den sie mir ebenso schenkte wie eine revolutionäre Freundschaft. Tara Bennet-Goleman und Kate Wheeler, die großzügig zahllose Stunden in die Titelsuche steckten. Anasuya Weil, die viel transkribierte und sich unablässig nach dem Fortgang des Buches erkundigte.
Kedar Harris, der mir furchtlos seine Meinung sagte und dessen Kommentare über frühere Fassungen des Buches leider genau zutrafen. Jack Kornfield, der mir Mut machte. Shoshana Alexander, die ihre eigene Arbeit liegenließ, um mit ihrem großen editorischen Talent den Fortgang meiner Arbeit auf wunderbare Weise zu erleichtern. Surya Das bugsierte meinen Computer durch LaGuardia und brachte mich mit Menschen zusammen, denen ich ein neues Verständnis von Liebe und Mitgefühl verdanke.
* Birma heißt seit 1989 Myanmar. Der Einfachheit halber wird das Land im Text weiterhin als Birma bezeichnet.
Einleitung
Wir sehnen uns ein Leben lang danach, uns selbst mehr lieben zu können und uns mit anderen tiefer verbunden zu fühlen. Statt dessen ziehen wir uns oft in uns zurück, fürchten Nähe und leiden unter einem bestürzenden Gefühl von Getrenntsein. Wir sehnen uns nach Liebe und sind doch einsam. Die Ursache dieses Schmerzes ist die Täuschung, wir seien voneinander und von allem, das uns umgibt, getrennt. Welcher Weg führt uns hinaus?
Meditieren entzieht dem Mythos des Getrenntseins die Basis, enthüllt das strahlende, fröhliche Herz, das jede und jeder von uns hat, und läßt die Welt an diesem Strahlen teilhaben. Hinter dem schmerzhaften Konzept von Trennung finden wir eine Verbindung zu uns selbst und allen Lebewesen. Wir finden eine Quelle großen Glücks, das jenseits aller Vorstellung und Konventionen ist. Wenn wir uns von der Illusion des Getrenntseins befreien, können wir in einer natürlichen Freiheit leben, statt von vorgefaßten Meinungen über unsere Grenzen und Beschränkungen getrieben zu werden.
Der Buddha sah den Weg zu dieser Freiheit in der vollkommenen Befreiung des Herzens, in der Liebe, und er lehrte, wie man das Herz systematisch aus einer isolierenden Enge zu wahrer, tiefer Verbundenheit führen kann. Dieser Pfad wird noch heute in einer Meditations-Tradition gepflegt, die Liebe, Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut übt. Diese vier gehören zu den schönsten und kraftvollsten Gefühlen, die wir haben können. In Pali, der Sprache des Buddha, heißen sie die brahma-viharas. Brahma bedeutet „himmlisch“ oder „erhaben“, vihara „Heimstatt“, „Heimat“. Durch diese Meditationsübungen werden Liebe (Pali: metta), Mitgefühl (karuna), Mitfreude (mudita) und Gleichmut (upekkha) zu unserer Heimat.
1971, als ich in Indien den Buddhismus kennenlernte, begegnete ich den brahma-vihara-Übungen das erste