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DELFT, REPUBLIK DER VEREINIGTEN NIEDERLANDE; UM 1656
Die Magd sitzt an einem Esstisch, den Kopf auf ihren rechten Arm gestützt. Sie schläft. Ein Obstteller, eine verschlossene Karaffe und ein umgekipptes Weinglas befinden sich auf der Tischdecke vor ihr. Durch eine halb geöffnete Tür kann ich in einen zweiten, dahinterliegenden Raum hineinsehen. Wer auch immer vor Kurzem hier war, ist gegangen und hat die junge Frau mit ihren Träumereien allein gelassen. Selbst wenn ihr Liebhaber gerade hinausgestürmt und dabei das Glas umgestoßen haben sollte, ihr Gesicht sieht einfach nur müde aus.
Jan Vermeer wandte sich immer wieder Szenen im häuslichen Umfeld zu, in denen Menschen mit sich allein sind. Eine Milchmagd steht in einer Küche und gießt Milch aus einem Tonkrug in eine Tonschale auf einem Tisch. Ihre Augen und ihr Körper sind exakt so ausgerichtet, dass das Rinnsal weißer Flüssigkeit das gewünschte Ziel trifft. Sie wirkt gleichmütig und gelassen bei der Erfüllung einer alltäglichen Aufgabe. Wie sie, weiß auch ich, wie es ist, Milch aus einem Krug zu gießen und sich dessen bewusst zu sein, Milch aus einem Krug zu gießen.
Etwa zu dieser Zeit malte Vermeer auch eine Straßenszene in Delft, der Stadt, in der er geboren wurde, lebte und starb. Er dürfte Ende zwanzig gewesen sein, war verheiratet und hatte eine ständig wachsende Familie. Eine Frau sitzt in einem Hauseingang und stickt: zwei Kinder knien auf dem Boden mit dem Rücken zum Betrachter – möglicherweise lassen sie einen Kreisel drehen oder spielen mit einem Kätzchen –, und in einer Gasse beugt sich eine Dienstmagd zu einem Besen hin. Diese menschlichen Momente verlieren sich nahezu inmitten des abbröckelnden roten Backsteinmauerwerks, des bewölkten Himmels und der gepflasterten Straße. Ganz in ihre Aufgaben vertieft, bewohnen diese Menschen ihre eigene persönliche Welt, ohne einander zu beachten.
Eine Frau sitzt hinter einem Tisch und stimmt eine Laute. Ihre Augen sind auf ein Fenster gerichtet, aber ihre Aufmerksamkeit ist irgendwo anders. Ich beobachte, wie sie einem Geräusch lauscht, das nur sie hören kann. Eine Frau steht neben einem Tisch, auf dem ein silberner Wasserkrug auf einem Tablett steht. Mit ihrer linken Hand hält sie den Henkel des Krugs; mit ihrer rechten öffnet sie ein Fenster. Sie ist mitten in der Bewegung, darauf vorbereitet, dass die Sonne sie blenden wird. Eine Frau in einem blauen Kittel hält einen Brief in beiden Händen. Ein blasses Licht enthüllt, wie sie den Brief mit ihren Augen verschlingt, ihre Lippen sind leicht geöffnet, während sie die Bedeutung der Worte in sich aufnimmt.
Vermeer fängt von innen heraus ein, wie es ist, Mensch zu sein. Er zeigt, wie es für jede dieser Frauen ist, in einem stillen, arglosen Gespräch mit sich selbst zu sein. Der rumänische Philosoph Emil Cioran nannte Vermeer den »Meister der Intimität und des vertraulichen Schweigens«, der »die Auswirkungen der Einsamkeit in einer Atmosphäre vertrauter Innenräume abmildert«. Diese Frauen sind keine Nonnen oder Einsiedlerinnen. Sie sind für kurze Zeit in einem Zustand der Ruhe in einer Welt bürgerlichen Komforts und häuslicher Routinen. Sie sind allein, wirken aber nicht einsam.
Zwischen dem Zeigefinger und dem Daumen ihrer rechten Hand hält eine Frau eine zierliche Waage über einem Tisch. Die Finger ihrer linken Hand ruhen auf der Tischplatte. Zwei offene Kisten, ein gelbes Band, Perlenketten und Goldmünzen sind auf dem Tisch ausgebreitet. Ihr Blick ruht auf den leeren Waagschalen. Sie lächelt leicht. Ihre sanften Gesichtszüge sind in ein strahlend helles Licht getaucht, das sich nicht durch die matten Sonnenstrahlen erklären lässt, welche durch die mit Vorhängen abgedunkelten Fenster dringen. Diese weltliche Madonna scheint völlig gleichgültig gegenüber den vor ihr ausgebreiteten Reichtümern zu sein.
Die innere Muße dieser Frauen offenbart sich gleichermaßen in der kompositorischen Harmonie der Gemälde, den gedämpften Farben und dem Spiel mit dem Licht, wie in jedem Gesichtsausdruck oder jeder Körperhaltung. An ihrer Weise, mit sich allein zu sein, ist nichts Statisches. Ein fast fotografischer Realismus fängt die Figur ein, während sie zwischen dem, was gerade passiert ist, und dem, was unmittelbar bevorsteht, in der Schwebe ist. Ich erhasche einen flüchtigen Moment in einer Geschichte, die ich nicht kennen kann. Es gibt keine harten Linien und Konturen in diesen Werken. Vermeer verwendet die Sfumato-Technik: Grenzen werden rauchartig verwischt, indem eine Farbe (die eines Ärmels) unmerklich in eine andere (die einer Wand) übergeht. Dieses Verschwimmen verstärkt die Illusion von Tiefe und verstärkt die ergreifende Dehnung der Zeit.
Eine junge Frau in einer gelben, mit Hermelin besetzten Jacke steht im Raum und betrachtet sich in einem Spiegel, während sie eine Perlenkette anprobiert. Ich beobachte sie dabei, wie sie sich beobachtet. Ich spüre die Freude, die sie an sich hat. Eine andere Frau in der gleichen Jacke sitzt an einem Tisch und schreibt mit einem Federkiel einen Brief. Sie schaut in Gedanken vertieft zur Seite auf der Suche nach dem richtigen Wort oder Satz. Ich sehe sie im stummen Selbstgespräch. Ein Mädchen beugt sich beim Nähen eines Stücks Spitze über ihren Arbeitstisch. Ich teile ihre stille Freude an ihrer Handarbeit. Diese Frauen sind selbstgenügsam in ihrem Fürsichsein, jede fühlt sich wohl in ihrer Haut und ihrem Los im Leben.
Die Bürger der Niederländischen Republik des 17. Jahrhunderts waren so wohlhabend, dass sie sich Gemälde leisten konnten, die die vornehme Muße zeigten, nach der sie strebten. Die Szenen häuslicher Zufriedenheit waren aber auch tröstende Ablenkungen von einer instabilen und gewaltsamen Lebenswirklichkeit. 1654, als Vermeer 22 Jahre alt war, explodierten in Delft dreißig Tonnen Schießpulver, zerstörten ein Stadtviertel, kosteten mehr als hundert Menschenleben (auch das seines Künstlerkollegen Carel Fabritius, Maler des Der Distelfink) und verletzten Tausende. Im Rampjaar [Katastrophenjahr], 1672, befanden sich die Niederländer gleichzeitig im Krieg mit Frankreich, England und den Fürstbischöfen von Münster und Köln. Als Verteidigungsmaßnahme gegen die Invasion öffneten sie die Deiche und überfluteten das tieferliegende Land, was zu einem weitreichenden wirtschaftlichen Zusammenbruch führte. Vermeers Witwe Catharina hat schriftlich festgehalten, dass ihr Mann danach kein einziges Werk mehr verkaufen konnte. Drei Jahre später starb er plötzlich und unerklärlich im Alter von 43 Jahren. Er hinterließ elf Töchter.
Abgesehen von 35 erhaltenen Gemälden und flüchtigen Erwähnungen in Gemeinde-, Rechts- und Handelsregistern wissen wir nichts über Jan Vermeer. Trotz ihres Naturalismus zeigen seine Werke keineswegs das, was Vermeer sah; sie zeigen, was seine Gönner oder seine Kunden uns sehen lassen wollten. Wenn ich sie heute in Museen von Wien bis New York studiere, bin ich auf der Suche nach Vermeer. Er muss viele Stunden lang gestanden oder gesessen haben oder auf und ab gegangen sein, bevor diese Leinwände auf ihr hölzernes Stützgerüst gespannt wurden. Diese Elemente aus seiner Welt werden flüchtig ein Teil von meiner. Er fertigte diese Dinge, umsorgte sie, kämpfte mit ihnen. Als ich mir seine Frauen in ihrem Fürsichsein genau ansehe, sehe ich, wie sie ihn sehen. Ihre Gesichter werden zu einem Spiegel, das sein Bildnis zurückwirft.
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Über die Achtsamkeit
Gotama, der Buddha
Ausgewählte Passagen aus dem Pali-Kanon
Wenn Anhänger anderer Traditionen fragen: »Wie verweilte der Mendikant Gotama vorwiegend während des dreimonatigen Regenzeit-Retreats?«, solltet ihr sagen: »Während der Regenzeit, Freunde, verweilte er vorwiegend in der Sammlung, die Achtsamkeit auf den Atem ist.«
Wenn man von irgendetwas gänzlich sagen könnte: »Das ist ein edles Verweilen, das ist ein heiliges Verweilen, das ist das Verweilen eines Vollendeten«, so kann man das von der Sammlung sagen, die Achtsamkeit auf den Atem ist.
Die Praktizierende geht in einen Wald, zur Wurzel eines Baums oder zu einer leerstehenden Hütte. Sie setzt sich nieder, verschränkt ihre Beine, richtet ihren Rücken auf und verankert die Achtsamkeit an der Öffnung ihres Mundes und ihrer Nasenlöcher. Achtsam atmet sie ein, achtsam atmet sie aus. Tief einatmend weiß sie: »Ich atme tief ein«; tief ausatmend weiß sie: »Ich atme tief aus.« Flach einatmend