Elwert sieht die „Gewaltmärkte“ direkt als „eine Form von Modernisierung“ und stellt damit halbwegs diesen demokratischen Modebegriff in Frage, obwohl er selbst noch in der demokratischen Ideologie befangen ist: „Die Gewaltmärkte als Teil von Modernisierung anzusprechen, unterstreicht die Fragilität unseres eigenen Projektes von ‚Moderne‘ und erinnert daran, dass sich in Bosnien nicht die von Atavismen besessenen Relikte vergangener Zeiten schlagen, sondern Menschen aus einem bürokratischen Industriestaat, dessen führende Akteure fast durchgängig als Industriearbeiter oder Intellektuelle ins hochindustrialisierte Westeuropa migriert waren“ (Elwert 1996).
Diese Argumentation ist sachlich-empirisch zutreffend und hebt sich positiv vom ideologischen Rechtfertigungsschema der Weltdemokraten ab. Sie bleibt aber insofern inkohärent, als sie die Phänomenologie der „Gewaltmärkte“ nur vage als eine mögliche (vielleicht falsche, durch eine bessere Alternative innerhalb desselben Horizonts ersetzbare) Version der Modernisierung identifiziert, ohne sie systematisch in Beziehung zur Entwicklung und Krise des warenproduzierenden Weltsystems zu setzen. Diese Inkohärenz kann nur durch eine zureichende krisentheoretische Fundierung überwunden werden, in der die „Modernisierung“ endgültig ihren falschen Heiligenschein verliert: Aus einer solchen weiter reichenden Sicht handelt es sich bei den heutigen „Gewaltmärkten“ nicht etwa um einen bedauerlichen Nebenpfad dieser ewigen „Modernisierung“ und auch nicht um eine bloße Analogie zu ähnlichen Versionen anderswo und zu anderen Zeiten, sondern um ihre Konsequenz und ihr desaströses Ende; denn die gegenwärtige globale Plünderungsökonomie steht nicht mehr wie die frühmodernen Transformationskrisen am Anfang, sondern am Ende der Modernisierungsgeschichte. Sie bildet heute im größeren Teil der Welt das Resultat der gescheiterten „nachholenden Modernisierung“ und verweist auf die Grenzen des modernen warenproduzierenden Systems überhaupt.
Deshalb wäre es an der Zeit, die Begriffe von „Arbeit“ und „Markt“ nicht nur ihrer positiven emotionalen Besetzung verlustig gehen zu lassen und sie auch nicht mehr als neutrale, beliebig zu füllende ontologische Begriffe zu akzeptieren, sondern ihre grundsätzliche Negativität und ihren repressiven, zerstörerischen Charakter auf einer Meta-Ebene jenseits der alten staatssozialistisch-staatskapitalistischen Orientierung neu zu bestimmen.
Um den wahren Charakter der Weltkrise weiter verdrängen zu können, hat der weltdemokratische Konsens in den letzten Jahren das ethno-religiöse Erklärungsmuster mit seinen falschen Zuschreibungen gewissermaßen ökonomietheoretisch erweitert und flankiert. Zu diesem Zweck wird der postmoderne Kulturalismus mit einer bestimmten Richtung innerhalb der Volkswirtschaftslehre verbunden, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts als sogenannter „Institutionalismus“ bzw. als „Institutionenökonomie“ firmiert und lange Zeit eher ein Schattendasein geführt hatte. Ursprünglich verstand sich dieser von Thorstein Veblen begründete Ansatz als eine pragmatische Kritik am Ökonomismus der klassischen Volkswirtschaftslehre: Der Mensch sollte nicht einseitig als „homo öconomicus“ verstanden werden, sondern in einem umfassenderen Sinne als soziales Wesen; und demzufolge erschien es als notwendig, die ökonomische Theorie mit anderen Sozialwissenschaften anzureichern, um das ökonomische Handeln und seine Institutionen in der Wechselwirkung mit anderen sozialen Organisationsformen, Motiven und Handlungsmustern (Recht, Traditionen, Ideologien, Religionen, außerökonomischen Normen, Lebens- und Verhaltensweisen etc. - und eben „Kultur“ im weitesten Sinne) zu untersuchen.
So richtig diese Kritik am eindimensionalen Ökonomismus im Prinzip auch war, sie griff insofern zu kurz, als sie keinen kritischen Begriff des Gesamtsystems entwickelte, sondern die verschiedenen sozialen Handlungsformen und ihre jeweiligen Institutionen nur äußerlich nebeneinander stellte. Deshalb wurde der von Veblen kritisch gemeinte Institutionalismus auch anfällig für eine system-konformistische Instrumentalisierung.
Diese apologetische Wende besorgte die so genannte „Neue Institutionenökonomik“ nach dem Zweiten Weltkrieg, vertreten vor allem durch den Hardcore-Neoliberalen James M. Buchanan, der dafür 1986 den Nobelpreis erhielt - gerade rechtzeitig, um den umfrisierten Institutionalismus als Waffe von hohem Renommée (und im Verbund mit dem kulturalistischen Ansatz) im politökonomischen Erklärungsnotstand der 90er Jahre einsetzen zu können. Buchanan und andere Ökonomen seiner Richtung interpretierten das Problem der außerökonomischen Institutionen im Gegensatz zu Veblen ganz im Sinne des ökonomischen Totalitarismus: Rechtsformen, Traditionen, Regeln, Lebenseinstellungen und kulturelle Muster etc. werden nicht neutral in ihrem Wechselverhältnis zur kapitalistischen Ökonomie betrachtet, sondern normativ unter dem Aspekt bewertet, ob sie dem „homo öconomicus“ als dem „eigentlichen Menschen“ freie Bahn geben oder nicht.
Mit anderen Worten: Die Beachtung außerökonomischer Handlungsformen dient allein dem Zweck, optimale institutionelle Rahmenbedingungen für die Entfesselung des totalen Marktes zu bestimmen. Dazu gehören laut Buchanan vor allem verfassungsrechtliche Regeln zum Schutz der betuchten Individuen gegen den „öffentlichen Sektor“, die juristische Sicherheit kapitalistischer Transaktionen und die Garantie der privaten Eigentumsrechte (Property-Rights), also die Möglichkeit der Besitzenden, andere Personen von der Nutzung angeblich „knapper Güter“ auszuschließen.
Aus dieser Sicht des „neuen Institutionalismus“ kann es gar kein Marktversagen geben, sondern nur mangelnde juristische, kulturelle und sonstige institutionelle Rahmenbedingungen, sprich: eine mangelnde kulturelle Ausrichtung des gesamten Lebens auf den ökonomischen Totalitarismus. In Verbindung mit dem postmodernen Kulturalismus wurde nun daraus im Laufe der 90er Jahre das neue Paradigma einer größeren oder geringeren Höhe der „ökonomischen und politischen Kultur“ zusammengeschustert.
Neben dem Rückgriff auf Buchanan spielt dabei die einschlägige Theorie des Ökonomen Mancur Oison eine herausragende Rolle. Oisons spezifische Weiterentwicklung des Institutionalismus kapriziert sich auf das Modell der größeren oder geringeren Möglichkeit von kapitalistischen „Interessenkoalitionen“, Kompromiss-Strukturen und Aushandlungen etc., die vor dem Hintergrund des Marktmechanismus eine Art „zweite unsichtbare Hand“ konstituieren sollen; in diesem Sinne sei die unproduktivste Wirtschaftsform die „instabile Diktatur“, einigermaßen produktiver die „stabile Diktatur“ und am produktivsten natürlich die wunderbare Demokratie kapitalistischer Wirtschaftssubjekte, weil sie am wenigsten „marktwidriges Verhalten“ impliziere. Neben den Property-Rights und anderen institutionellen Voraussetzungen sei es also die Rahmenbedingung demokratisch verhandelbarer Interessenstrukturen, die den größeren oder geringeren Erfolg des an sich richtigen und „natürlichen“ Marktmechanismus ausmache (vgl. Olson 2000).
Im Zusammenhang mit diesen Konstrukten der institutionalistischen ökonomischen Theorie konnte das neue Paradigma kapitalistischer Rechtfertigungsideologie angesichts der weitergehenden Weltkrise entfaltet werden, ohne sich dem Versagen des globalen Marktmechanismus stellen zu müssen. Es wurde Mode, von einer betriebswirtschaftlichen „Unternehmenskultur“ oder von einer nationalen „Kultur des Unternehmerischen“ zu reden, von der „Aktienkultur“ oder der „Kultur der Rechtssicherheit“ eines Landes, von einer „Kultur des Aushandelns“ und schließlich von der „demokratischen Kultur“ schlechthin nicht nur als weltweit zu verankerndem Leitbild, sondern als institutioneller Voraussetzung ökonomischen Wachstums, ohne die der segensreiche Marktmechanismus leider nicht funktionieren könne.
Und alsbald konnte man dieses ideologische Amalgam von Institutionenökonomie und Kulturalismus mit dem neuen globalen Feindbild des Westens verbinden; Huntington lieferte mit seinem Schlagwort vom „Kampf der Kulturen“ den passenden Rahmen der Interpretation. Wie sehr Huntington sich vom postmodernen Kulturalismus nährt, zeigt seine einschlägige Definition von Gesellschaft und Geschichte, die dem Konstrukt des Feindbilds als Axiom zugrunde liegt: „Die menschliche Geschichte ist die Geschichte von Kulturen. Es ist unmöglich, die Entwicklung der Menschheit in anderen Begriffen zu denken (!)… Zu allen Zeiten waren Kulturen für die Menschen Gegenstand ihrer umfassendsten Identifikation“ (Huntington, a.a.O., 49). Der Begriff der „Kultur“ oder „Zivilisation“ wird von seinem materiellen reproduktiven Zusammenhang gelöst, um einerseits die (ursprünglich vom Westen ausgegangene) kapitalistische Reproduktionsform ahistorisch auf die Ebene von Naturprozessen und Naturgesetzlichkeiten zu bringen und andererseits die kulturellen