»Mein Wochenende ist bisher ein wenig anders als ursprünglich gedacht verlaufen. Aber ich bin froh, dass es so ist«, flüsterte Robert danach leise und nahm meine rechte Hand in seine beiden Hände.
»Bleib heute Nacht hier«, bat ich ihn spontan, als mir bewusst wurde, wie wenig Zeit uns tatsächlich nur noch blieb.
»Nichts lieber als das!«, antwortete er sichtlich bewegt und küsste mich liebevoll und schützend zärtlich.
9
Eng aneinandergekuschelt lagen wir lange wach und genossen einfach nur die Nähe zueinander. Irgendwann müssen wir beide dann doch eingeschlafen sein, denn ich wurde wach, als ich im Unterbewusstsein hörte, wie sich ein Schlüssel im Schloss der Wohnungstür geräuschvoll drehte und nur Augenblicke später Gepäck geräuschvoll im Flur zu Boden plumpste. Da außer mir und Kristin aber niemand einen Schlüssel zu unserer Wohnung hatte, musste ich wohl geträumt haben.
Robert schlief noch tief und fest. Er lag auf dem Bauch, sein Gesicht zu mir gewandt und hatte seinen linken Arm locker über meinen Bauch gelegt. Ich lächelte gerührt. Diesen Anblick würde ich nie wieder vergessen! Es war so einladend, sein schlafendes, schönes Gesicht aus dieser unmittelbaren Nähe zu studieren. Wie es wohl wäre, mit den Fingerspitzen seine Wangenknochen nachzuzeichnen, seine vollen Lippen zu berühren …? Schon hob ich meine Hand, um diesen Gedanken Taten folgen zu lassen, als im Flur plötzlich jemand laut meinen Namen rief.
OH GOTT!
Kristin war zurück.
Wie spät war es eigentlich? Was machte sie hier? Sie wollte doch erst am Sonntagabend kommen? Was sollte ich jetzt tun? Wenn sie in mein Zimmer kam? … ja und … wäre das so schlimm? Mein Herz raste durch den unmittelbaren Adrenalinschub. Was sollte ich nun tun? Meine Gedanken überschlugen und wiederholten sich.
Totale Panik!
Aber warum?
Leise und vorsichtig öffnete sich meine Zimmertür und Kristin steckte ihren Kopf herein: »Bist du da?«
»Eli?« Sie klang alarmiert. »Bist du krank? Du bist ja noch im Bett!«
Ich winkte ihr verlegen zu und deutete auf Robert, der immer noch halb auf mir liegend schlief. Offensichtlich konnte man das Haus um ihn herum abtragen. Wenn er schlief, schlief er, wie es aussah.
Statt die Tür wieder diskret zu schließen, kam Kristin noch einen Schritt näher und stand nun mitten im Raum. Feingefühl wie ein Trampeltier! Also wirklich!
»DU BIST NICHT ALLEIN?«, Kristin schaffte es einfach nicht, ihre totale Überraschung über das Bild, das sich ihr bot, zurückhaltend zum Ausdruck zu bringen.
Sie starrte mich mit aufgerissenen Augen und weit geöffnetem Mund an.
»Könntest Du vielleicht ein bisschen lauter schreien? Die Nachbarn haben dich eventuell nur schlecht verstanden!«, zischte ich verärgert und beschämt zugleich.
»Wer ist das?«
Anstatt die Gelegenheit zu nutzen und stillschweigend aus dem Zimmer zu flüchten, fragte sie mich nun auch noch aus. Ich konnte es nicht fassen, musste aber auch etwas amüsiert feststellen, dass ich Kristin, die mich nach Luft schnappend anschaute, wie ein Fisch auf dem Trockenen, noch nie sprachlos gesehen hatte. So grotesk diese Situation gerade war, sie war doch auch sehr unterhaltsam und ich schwankte zwischen purer Wut und einem drohenden Lachanfall. Oder vielleicht auch beidem auf einmal.
»Sorry. Ich … ich lasse euch dann mal wieder allein.« Dunkelrot anlaufend verließ Kristin, nun endlich aus ihrer Schockstarre aufgewacht, eilig das Zimmer. Na bitte, dachte ich, geht doch. Und Kristin war rot geworden! Allein der Gedanke daran war für mich ziemlich unterhaltsam und einzigartig.
Robert neben mir regte sich langsam und fragte mich mit noch immer geschlossenen Augen: »Wer oder was war das denn gerade?«
»Kristin, meine Mitbewohnerin. Sie ist etwas früher zurückgekehrt als erwartet, wie es scheint.«
»Du hättest mich der Dame ja vorstellen können!«, grinste Robert mich nun breit an.
»Wie bitte???«, fragte ich irritiert. Das konnte er doch unmöglich ernst meinen?!
»Kleiner Scherz, mein Schatz. Guten Morgen!« Er küsste mich liebevoll auf die Wange. Hatte er gerade Schatz gesagt? Juhu!!!
»Sehr lustig! Ich glaube, ich sollte mit ihr bei Gelegenheit mal das Thema Privatsphäre ansprechen …«
»Gute Idee!«, kicherte Robert sichtlich amüsiert.
»Auch guten Morgen, übrigens.« Ich wandte Robert, der immer noch in der gleichen Position neben mir lag und mit seiner linken Hand nun meinen Bauch streichelte, mein Gesicht zu und gab ihm einen leichten Kuss auf die Nasenspitze.
»Wir sollten, glaube ich, aufstehen und die offizielle Vorstellung tatsächlich nachholen. Ich fürchte nämlich, sonst platzt Kristin in ein paar Minuten vor Neugier. Und ich will hier ja nicht allein wohnen, vor allem wenn ich in den nächsten Wochen jemanden brauche, der meine Sehnsucht nach dir und alle damit verbundenen emotionalen Ausbrüche aushält«, sagte ich mit so viel Galgenhumor, wie ich gerade noch zusammenbekam und schauderte beim dem Gedanken an diese leider sehr reale nahe Zukunft.
»Das klingt überzeugend, aber nicht schön!« Robert drehte sich auf den Rücken, zog mich gleichzeitig mühelos mit und hob mich auf sich.
Welch unbeschreibliches Gefühl! Ich lag plötzlich völlig unverhofft auf ihm und spürte seinen gesamten Körper so eng wie nie zuvor an meinem. Selbst seinen Herzschlag konnte ich fühlen. Tausend verschiedene Empfindungen überfielen mich auf einmal und überraschten mich mit ihrer schieren Intensität. Es fiel mir mit einem Mal schwer, klar zu denken oder überhaupt zu denken. Mein Herz überschlug sich und hatte Mühe, seinen eigentlichen Rhythmus auch nur annähernd wieder zu finden.
Robert schaute mich absolut überrascht an und schien überhaupt nicht mehr zu atmen. Empfand er etwa auch so intensiv wie ich? War er auch so überrascht von der Wucht der Gefühle, die diese körperliche Nähe auslöste? Ich wagte kaum zu hoffen, dass es für Robert ein genauso überwältigendes Empfinden war, wie für mich.
Als es plötzlich laut in der Küche klapperte, atmete er scharf ein und drängte mich sanft von sich herunter.
Oh Kristin! Sie war gerade Fluch und Segen zugleich.
Was wollten wir gerade tun?
Mir gelang immer noch kein zusammenhängender Gedanke. Robert blickte mich mit seinen intensiv grünen Smaragdaugen auf eine Weise an, die mich noch inkohärenter und auch etwas nervös werden ließ.
Es klopfte leise an der Tür.
Meine Güte, Kristin! Sie hatte echt Nerven! Wir hielten beide die Luft an und lauschten. Hoffentlich konnte sie der Versuchung widerstehen, noch einmal hereinzuplatzen.
»Eli, ich gehe zum Bäcker. Ich laufe auch langsam, versprochen. Und ich bringe genug Brötchen für drei mit. Also, bis dann …«, rief sie betont laut durch die geschlossene Zimmertür und gleich darauf fiel die Wohnungstüre wieder ins Schloss. Glück gehabt!
»Okay, diese Chance sollten wir wohl oder übel nutzen«, brummte ich leicht verstimmt.
Ich krabbelte äußerst ungern aus dem Bett und öffnete meinen Kleiderschrank. »Ein großes und ein kleines Handtuch?«, frage ich Robert, der sich aufgerichtet hatte und mir zusah.
»Du bist wunderschön!«, sagte er.
»Wie bitte?«, mit dieser Antwort hatte ich nun gar nicht gerechnet. Zudem mir ein flüchtiger Blick in den Spiegel an meiner Schranktür ein zerzaustes Irgendwas in blauweiß karierter Pyjamahose und weißem Trägershirt gezeigt