Hier wird das Lebens- und Glaubensproblem des Pfarrers deutlich. Er will überdurchschnittliche Predigten liefern. Sie sollen äußerlich glänzen und vollmächtig den Hörer treffen. Er hadert mit Gott, dass er nicht ein vollkommener Prediger ist. Er hadert mit seinem Leben, dass er diese Vollkommenheit als Gemeindepfarrer nicht aufweisen kann. Er glaubt, ein Seelsorger und Verkündiger müsse ein tadelloses Vorbild für die Gemeinde sein.
f) Er ist oberhalb der Kanzelbrüstung einwandfrei angezogen
Pfarrer G. entdeckt selbst im Traum, dass er oberhalb der Brüstung »einwandfrei angezogen« ist.
»Wie verstehen Sie sich selbst oberhalb der Brüstung?«
Ihm fällt dazu ein, dass er mit dem Intellekt und mit der Vernunft nicht auf Kriegsfuß lebt. Diese Teile seiner Persönlichkeit helfen ihm, eine »glänzende Predigt« zu halten. Aber er will mehr. Er will nicht nur äußerlich beeindrucken. Er will die Herzen anrühren. Seine Vergangenheit in einem frommen christlichen Jugendverband legt ihm nahe, so zu predigen, dass Menschen sich bekehren. Ihm liegt daran, Menschen wachzurütteln und vor die Entscheidung für oder gegen Christus zu stellen.
g) Die Kanzel ist aus Glas
Pfarrer G. fühlt sich durchschaut. Er gibt eine komische Figur ab. Seine christliche Existenz ist nicht makellos. Die Gemeinde sieht, dass nicht alles in seiner Persönlichkeit stimmig ist. Er glaubt, die Gemeinde lache über seine bloßen Stellen. Er möchte hundertprozentig ernst genommen werden. Sein Eindruck ist, er stehe Gott und der Gemeinde im Wege, seine Blößen machten ihn für das Pfarramt untauglich.
h) Hilfreiche Träume
Pfarrer G. weint, als er aus dem Traum erwacht. Ich konfrontiere ihn mit den letzten Aussagen. »Was sagt der Traum?«
Er sei für die Gemeinde untragbar. Seine »komische Figur« sei eine Zumutung für die Gemeinde.
Wir fassen noch einmal seine Gedanken zum Traum zusammen und suchen den roten Faden, der Traum und Problem verbindet.
Da wird dem jungen Pfarrer deutlich:
Er glaubt, sich der Gemeinde nicht zumuten zu dürfen.
Er glaubt, Gott suche einen vollkommenen Seelsorger.
Sein persönliches Vollkommenheitsstreben, sein angestrebter Perfektionismus stehen ihm im Wege.
Er glaubt, die Gemeinde lache über ihn, weil er seine Blößen für unverzeihlich hält. In Wirklichkeit lieben ihn die Gemeindeglieder, aber er kann und will es nicht glauben.
Er glaubt, die Gemeinde erwarte einen Prediger, der über alle menschlichen Schwächen und Blößen erhaben ist.
Er produziert einen Traum, der ihm die Rechtfertigung liefern soll, für das Pfarramt untauglich zu sein. In Wirklichkeit deckt der Traum ein falsches Selbstbild, irrige Glaubensüberzeugungen und eine Erwartungshaltung auf, die völlig überzogen ist. Je mehr er sich zwingt und seine Vollkommenheit beweisen will und muss, desto mehr Blößen kommen ans Licht. Im Lichte des Traumes erkennt er seine Selbstrechtfertigung. Der Traum offenbart einen Lebensstil, der leider vielen ernsthaften Christen zu schaffen macht: Sie wollen selbst und aus eigener Kraft vollkommen sein.
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