Warum Deutschland seinen frühen, guten Start und Vorsprung gegenüber Frankreich und Italien nicht nutzen und weiter ausbauen konnte, versuchte Peter Willet in seinem Buch wie folgt zu begründen: „Die damals wichtigsten und reichen Leute unterstützten die Züchter zu wenig; kalte Winter und sandiger Boden in Teilen Deutschlands waren nicht hilfreich, und Baron Biel kein Tesio.“ Und weiter, „dass manche Züchter auch geglaubt hätten, dass ein Vollblut-Stallion neben der Aktion eines Arabers auch die Konstitution eines Halbblüters haben müsste, was dann auch zu falschen Selektionsmethoden geführt haben könnte.“
Die Situation änderte sich jedoch, als Graf Lehndorf gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts hochklassige Hengste aus England und Frankreich importierte, zu denen auch die beiden Franzosen Caius und Nuage (1907) zählten. Dieser stammte von dem St. Simon-Sohn Simonian, während Caius (Reverend) sieben Jahre älter und von Edmond Blanc gezogen war. Lehndorff importierte gleichzeitig auch qualitätsvolle Stuten wie Orsova (1888; Bend Or; Urgroßmutter von Oleander), Festa (1893; St. Simon), deren Kinder Anfang des 20. Jahrhunderts die deutschen Zuchtrennen beherrschten, oder Alveole (1889), die den Kisber-Sohn Crafton zum Vater hatte und Urgroßmutter von Alchimist (3x3 auf Ard Patrick ingezogen) wurde…
Zwischen den beiden Weltkriegen zeigte sich das Deutsche Vollblut erheblich verbessert. Derbysieger Sturmvogel schlug 1935 im Großen Preis von Berlin Frankreichs Admiral Drake, der im Vorjahr den Großen Preis von Paris gewonnen hatte, und 1936 bezwang Nereide, die deutsche Oaks- und Derbysiegerin, die große Französin Corrida im Braunen Band von München. Später im Jahr setzte sich Corrida im Prix de l’Arc de Triomphe durch und wiederholte diesen Sieg ein Jahr später.
1955 standen nur noch ca. 520 Stuten in westdeutschen Gestüten – etwa zwei Drittel von denen, die 100 Jahre früher gezählt worden waren – und rund 330 Fohlen. Zwanzig Jahre später registrierte das Gestütsbuch wieder 1.991 Zuchtstuten und 954 Fohlen, während 2015, als für 341 Flachrennen (sieben davon auf höchster Gruppen-Ebene) und 18 über Hindernisse 21,2 Millionen Euro Preisgeld verteilt werden konnten, 61 Stallions, 1.425 Zuchtstuten und 748 Fohlen in deutschen Gestüten standen.
Im 20. Jahrhundert entstanden aber auch neue Gestüte, von denen der von Walter J. Jacobs 1964 etablierter Fährhof, der deutschen Zucht gewaltig unter die Arme greifen sollte. Der erste deutsche Vollblüter, der in der absoluten internationalen Spitze wieder mitreden konnte, war jedoch der vom Gestüt Röttgen auf dessen irischer Dependance gezogene Appiani-Sohn Star Appeal, der 1975 als Fünfjähriger u. a. den Großen Preis von Mailand und die Eclipse Stakes in England gewann, als auch den ersten Sieg eines deutschen Pferdes im Prix de l’Arc de Triomphe feiern konnte. Fährhofs Surumu-Sohn Acatenango (1982) war, über Birkhahn, ein weiteres Bindeglied zwischen Dark Ronald und der Zukunft, und zu seinen sieben Siegen auf höchstem Gruppenlevel zählte auch der Grand Prix de Saint Cloud. Acatenango’s 1990 geborener Sohn, der Derby-Sieger Lando (Gestüt Hof Ittlingen) zeigte sich ebenfalls von bester Seite und gewann u. a. zweimal den Großen Preis von Baden-Baden, und in Italien den Großen Preis des Italienischen Jockey Clubs und den Grand Prix von Mailand. Sein Meisterstück machte er jedoch 1975 im Japan Cup, den er als erstes deutsches Pferd gewann.
Auch im dritten Jahrtausend zeigten deutsche Vollblüter, dass sie bei internationalen Großereignissen auf höchster Ebene wieder als Sieger mitreden können. So gewann der von Dietrich von Bötticher (Gestüt Ammerland / Starnberger See) gezogene Montjeu-Sohn Hurricane Run (2002), der die Surumu-Tochter Hold On zur Mutter hat, 2005 den Prix de l’Arc de Triomphe, doch war der Sieger im Irish Derby wenige Monate vorher an das irische Collmore-Syndikat verkauft worden, und in dessen Farben sicherte sich der Vierjährige auch noch die King Georg VI and Queen Elizabeth Stakes und den Tattersalls Gold Cup auf höchster Ebene. Damit war er 2005 das am höchsten eingeschätzte Rennpferd der Welt. Die von Peter Schiergen in Köln trainierte Lomitas-Tochter Danedream, 2008 vom Gestüt Brümmerhof gezogen, brillierte 2011 zunächst in Rekordzeit unter Andrasch Starke im „Arc“, dem wichtigsten Rennen der Welt, und ein Jahr später ebenfalls in den King George VI.and Queen Elizabeth Stakes, die auch der von Dr. Christoph Berglar 2009 gezogene Monsun-Sohn Novellist zu Ascot als Vierjähriger gewann. Der gleiche Besitzerzüchter durfte sich 2014 auch über den Erfolg mit Protectionist (Monsun) im weltberühmten Melbourne Cup (2016: 6,2 Millionen AU$) über zwei Meilen freuen, den vorher noch kein deutsches Pferd gewonnen hatte. Sein Vater, der im Gestüt Schlenderhan deckte, hatte bereits ein Jahr früher an Fiorente den Sieger gestellt, und komplettierte 2016 ein Melbourne Cup Tripel, als sein Sohn Almadin gewann. Gestüt Fährhofs Silvano (1996; Lomitas) setzte sich bereits 2001 in den zur Gruppe I zählenden Rennen Arlington Million (USA), Singapore Cup, Audemars Piguet QEII Cup (Hongkong) durch, und belegte in den amerikanischen Man O’War Stakes noch einen Ehrenplatz. Silvano wurde in Südafrika im Familiengestüt der Familie Jacobs ein erfolgreicher Beschäler; Danedream und Novellist wechselten für großes Geld in die Japanische Zucht.
Während die deutsche Vollblutzucht in der Lage ist, internationale Spitzenpferde zu produzieren, steht es um den heimischen Rennsport eher schlecht als recht. Flossen 2000 noch 120 Millionen Euro durch die Totokassen, so waren es 2015 nur noch dreißig, und die deutschen Medien, inklusive der „Öffentlich-Rechtlichen“ betrachten den Galopprennsport schon seit Jahrzehnten praktisch als nicht existent. Und das trägt dazu bei, dass bei den üblichen hohen Geboten aus dem Ausland das Beste verkauft wird, denn die Investitionen, die ein Züchter trägt, sind keine Kleinigkeit. Bei der geringen Popularität, die der Galopprennsport in Deutschland dank der Medien hat, sind aber kaum neue Sponsoren, noch höhere Totoumsätze und bessere Rennpreise zu erwarten, sodass sich einerseits der „Ausverkauf der Spitzenprodukte“ wohl fortsetzen wird, und die Möglichkeiten, auf den großen internationalen Auktionen bestes Zuchtmaterial zur Blutsauffrischung zu erwerben, weiterhin eingeschränkt und die Ausnahme bleiben, wenn es um das Beste geht. In der Besetzung der deutschen Gruppe-I-Rennen zeigt sich das ebenfalls. Was momentan auf höchster Ebene aus heimischen Trainingsquartieren gesattelt werden kann ist, bis auf die Ausnahme Protectionist, der jedoch australische Farben trägt, und 2017 in der deutschen Zucht debütiert, international gesehen, bestenfalls zweitklassig. Diese Situation unterstich auch der deutsche Hengst Iquitos im Japan Cup 2016. Er erreichte zwar einen achtbaren 7. Platz und erhielt fürs „Mitlaufen“ mit umgerechnet 175.350 Euro mehr als für seinen Sieg im Großen Preis von Baden-Baden, war jedoch chancenlos.
Da bleibt nur die Hoffnung auf den jüngsten Jahrgang und darauf, dass sich vielleicht der eine oder andere Dreijährige 2017 als Vierjähriger noch verbessern könnte. Ob das jedoch noch einigen deutschen Rennbahnen helfen wird zu überleben, oder ob deren Flächen bebaut werden, wie das derzeit in Frankfurt und Bremen angedacht ist und anderswo als Frage kursiert, bleibt abzuwarten. Passend dazu war auch die Meldung, dass am 22.11.2016 der französische Jockey Pierre Boudot zu Chantilly auf Firouzeh Peter Schiergens Europarekord von 273 Siegen in einer einzigen Rennsaison ausgelöscht, und an jenem Tag mit einer „Viererserie“ die vorerst neue Marke auf 276 schraubte. Und am Ende des Jahres 2016 stand der neue Rekord bei 300 Siegen. Damit ist auch die Marke von Sir Anthony McCoy übersprungen, der auf der Hindernisbahn 2001/2002 in einer Saison 290 Siege schaffte. Auf ein Kalenderjahr umgerechnet waren das 2002 sogar 307 erfolge. Den Saison-Weltrekord wird jedoch kein europäischer Jockey brechen, denn der steht bei 597 Siegen, die Kent Desormeaux 1989 in Nordamerika ritt.
Peter Schiergen, der 1995, als es in Deutschland noch 3.181 Rennen gab und mehr als 5.000 Pferde im Training waren, brauchte für seine 273 Saisonsiege damals 1.161 Ritte (Boudot für 276 Siege und 670 Plätze 1.193 starts), um Gordon Richards Rekord von 269 Erfolgen zu brechen. 1932 hatte der Engländer schon einmal 259 Siege geschafft, was bei den damaligen Transportmöglichkeiten schon mehr als erstaunlich war. Der gebürtige Tscheche Filip Minarik gewann 2016 sein drittes deutsches Jockey-Championat mit 66 Siegen bei 540 Starts, wobei seine Ritte 730.828 Euro verdienten.
Vergleicht man die Entwicklung der letzten zehn Jahre