Als besonders engagiert haben sich dabei Jugendliche erwiesen, im üblicherweise eher schwierigen Alter so um die 14 Jahre. Sie haben schon am Morgen, noch vor dem Gang in die Schule, „ihre“ Flüchtlinge besucht, Gebäck mitgebracht und ihnen beim Zubereiten des Frühstücks geholfen. Die Jungen waren das, was man wohl hoch motiviert nennen darf. Und nach der Schule führte ihr Weg oft nicht gleich nach Hause zum Mittagessen, Fernsehen oder zu You Tube, sondern wieder zu den Gästen von weit her, zum Fußballspielen, Plaudern oder, wie man altersgerecht sagen würde, Chillen. So sind rasch gute Bekanntschaften entstanden, aus Flüchtlingen wurden schließlich Freunde, zumindest scheinbar.
Dann kam er schließlich doch, der zwar lang verdrängte, aber doch zu erwarten gewesene Tag des Abschieds. Den Flüchtlingen wurde von Behörden und Hilfsorganisationen anderswo ein Quartier zugewiesen, sie mussten weiterziehen. Als die Österreicher, wie das eben üblich und durchaus naheliegend ist, die Smartphones in die Hand nahmen, um Telefonnummern mit ihren neuen, ungefähr gleichaltrigen muslimischen Freunden auszutauschen, reagierten die plötzlich ganz anders, als zu erwarten war – irgendwie verstört und distanziert. Warum nur? Ihre Entschuldigung, die sie für die staunenden katholischen Österreicher parat hatten: „Wir dürfen mit Christen nicht befreundet sein, nur mit Muslimen.“
Diese Geschichte hat sich in Österreich tatsächlich ereignet. Der Ort tut nichts zur Sache. Sehr wohl etwas zur Sache tut hingegen die Erkenntnis, die daraus gewonnen werden kann: Der Islam, wie er zumindest außerhalb Europas offenbar breitflächig verstanden, gelehrt und gelebt wird, hat noch großen Nachholbedarf, was die Implementierung in eine säkulare, pluralistische Gesellschaft betrifft. Darin kommt nun dieser Religionsgemeinschaft kein Alleinstellungsmerkmal zu. Denn auch die katholische Kirche hatte jahrzehntelang ihre Probleme mit einer Anpassung an eine sich grundlegend verändernde Gesellschaft – und hat sie im Grunde noch heute dann und wann. Auch das Verständnis von Religionsfreiheit und die Akzeptanz, dass es Heil auch außerhalb der katholischen Kirche gibt, musste in einem schwierigen Prozess reifen. Selbst hohe und höchste katholische Würdenträger sind gelegentlich auch heute noch nicht davor gefeit, zu Missverständnissen zu provozieren.
Entrüstung über den Kardinal
Wir erinnern uns an die Wellen, die eine unglückliche Aussage Kardinal Christoph Schönborns national wie international und bis tief in die muslimische Welt geschlagen hat. Ausgerechnet jenes Schönborn, der zur Islamischen Glaubensgemeinschaft gute Kontakte pflegt, der Reisen in muslimisch geprägte Länder absolviert, mit den Sternsingern Wiens erste Moschee in Floridsdorf besucht hat und als erster Kardinal überhaupt mit den weltlichen und religiösen Spitzen der Islamischen Republik Iran zusammengetroffen ist. Eben dieser sorgte für gehörige Irritationen. Schönborn, der sich in Österreich mit Verweis auf das Recht der freien Religionsausübung trotz Gegenwinds klar für den Bau von Moscheen und Minaretten ausgesprochen hat, meinte bei der Maria-Namen-Feier an jenem 11. September 2016 wörtlich: „Heute vor 333 Jahren ist Wien gerettet worden. Wird es jetzt einen dritten Versuch einer islamischen Eroberung Europas geben? Viele Muslime denken und wünschen sich das und sagen: Dieses Europa ist am Ende.“
Nach einem Sturm der Entrüstung von islamischer Seite und vielen besorgten Anfragen im Wiener Erzbischöflichen Palais aus der halben Welt sah sich der Kardinal zu einer Klarstellung genötigt. Er habe in seiner Predigt ein glaubwürdiges, lebendiges Christentum eingemahnt, dieses brauche den Islam nicht zu fürchten. Und, so Schönborn weiter: Dass der Islam als Religion immer mehr Einfluss in Österreich gewinne, bereite vielen Menschen Sorge. Aber, wie er sich hinzuzufügen beeilte, das sei eben nicht als ein Vorwurf an Muslime zu verstehen, sondern als eine ernste Anfrage an Österreich.
Die österreichischen Bischöfe haben mittlerweile, von der Öffentlichkeit bisher weitgehend unbemerkt, zuletzt auch insgesamt eine interessante Korrektur vorgenommen. Man soll derartige strukturelle Dinge nicht überbewerten, aber ein bemerkenswertes Faktum ist es schon, dass die Österreichische Bischofskonferenz eine „Kommission Weltreligionen“ gegründet hat. Vor allem dann, wenn man weiß, dass es gar noch nicht so lange her ist, dass die Kontaktstelle für Weltreligionen der Bischofskonferenz aus Kostengründen eingestellt wurde. Bischof Werner Freistetter – Chef von Österreichs zehnter Diözese, jener für das Bundesheer nämlich, und im Episkopat referatsmäßig für den Dialog mit den Weltreligionen zuständig – wurde mit der Leitung der neuen Kommission beauftragt. Sie setzt sich aus den in den einzelnen Diözesen dafür abgestellten Spezialisten und aus anderen Experten zusammen. Dabei sollen an der Basis gemachte Erfahrungen auf der Österreich-Ebene ausgetauscht, überregionale Initiativen gefördert und, nicht zu vergessen, Rückmeldungen über Erfolge und Probleme an die Bischöfe gegeben werden, die dadurch eine zusätzliche Sensibilisierung für das Thema erfahren. Durch die Etablierung dieser neuen Kommission sind zwar im Dialog zwischen Christen und Muslimen jetzt auch keine Wunder zu erwarten, sie zeugt aber wenigstens von einem Bewusstseinswandel in der katholischen Hierarchie.
Einer, der diesen Dialog seit mehr als zehn Jahren in Österreich wohl am intensivsten pflegt, ist der Wiener Martin Rupprecht. Er ist – angesichts der nationalen Verteilung der Muslime in Österreich durchaus hilfreich –, der türkischen Sprache mächtig, katholischer Pfarrer im 15. Wiener Bezirk und nach vieljähriger Tätigkeit als Islambeauftragter der Erzdiözese Wien nun offiziell persönlicher Islamberater Kardinal Schönborns. Er erinnert sich: „Als wir im Jahr 2001 im Vikariatsausschuss Weltreligionen über Möglichkeiten des Dialoges nachdachten, da stellten wir fest, dass uns deutsch sprechende, theologisch kompetente Ansprechpartner in Wien fehlen. 15 Jahre später hat sich das komplett gewandelt. Es ist also ein großer Reifeprozess im Gange. Es gibt einen unglaublichen Lernprozess auch in der Community.“
Aber Rupprecht sieht und benennt gleichzeitig auch Schwächen, indem er an die Community appelliert: „Eine echte Suche nach den Ursachen des Islamismus ist unbedingt erforderlich. Man muss sich fragen: Wo sind die Wurzeln, was hat sich in der Theologie zu ändern, um nicht zu diesen faulen Früchten zu kommen. Wenn immer gegen Ungläubige gehetzt wird, dann gehören auch die faulen Früchte zu mir.“ Er verweist selbstkritisch auf die Geschichte der katholischen Kirche, die 1.800 Jahre gebraucht habe, eine positive Linie zum Judentum zu finden. Rupprecht: „Sie hat sich jahrhundertelang antisemitisch geäußert, da war es logisch, dass es grausame Folgen gibt.“ Da Christen wie Muslime, sinnbildlich wie höchst real, im selben Haus lebten, gebe es auch nur eine gemeinsame Zukunft. Der Islamexperte schlussfolgert daraus: „Da braucht es die Ehrlichkeit in dieser Suche und nicht automatisch die Abwehr und das Einnehmen der Opferrolle. Damit tut sich die islamische Community noch schwer.“ Die Rede über Islamophobie halte er in diesem Zusammenhang für alles andere als hilfreich.
Muslime in einer säkularen Welt
Gehört der Islam also nun zu Österreich? Rupprechts Antwort: „Ja, wenn 600.000 oder 700.000 Muslime in Österreich leben und hier ihre Religion in Ruhe ausüben wollen, dann gilt das genauso wie für die Beantwortung der Frage, ob die Sikhs zu Österreich gehören.“ Andere Theologen wiederum sehen diese Frage an sich falsch gestellt. Österreich verfüge zweifellos über eine seit Jahrhunderten gebildete starke christliche Prägung, habe aber keine Staatsreligion, sondern ein kooperatives Verhältnis zu allen Religionsgemeinschaften. Selbstverständlich gehörten daher alle hier lebenden Menschen zu Österreich, völlig unabhängig davon, woran sie glauben – oder auch nicht glauben.
Völlig unabhängig davon bleibt die Grundfrage, die sich besonders für den Islam stellt: Wie nun als Gläubiger in einer multikulturellen, pluralistischen, säkularen Welt leben? Für die Mehrheit der Muslime stellt das ganz offensichtlich kein großes Problem dar. Dennoch: Studien, die dann und wann erscheinen, alarmieren. Als Beispiel sei die Studie „Muslimische Milieus in Österreich“ des Instituts für Islamische Studien der Universität Wien unter Leitung von Ednan Aslan aus dem Jahr 2017 genannt, wonach jeder dritte nicht in einem Moscheeverein organisierte Muslim über – laut den Autoren – „hoch fundamentalistische“ Einstellungen verfüge. Das legt den Verdacht nahe, dass da noch einiges zu tun bleibt, theologisch zu reflektieren, danach Seelsorger entsprechend auszubilden und schließlich in die Praxis umzusetzen.
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