Spannung zwischen Staat und Religion
Die Auseinandersetzung mit Recep Tayyip Erdogans Türkei hat in den vergangenen Monaten auch die österreichische Politik maßgeblich beschäftigt. Und die Entwicklung der AKP ist symptomatisch für die zunehmende Radikalisierung im Spannungsverhältnis zwischen Staat und Religion. Am Anfang stand die schiitische Revolution im Iran 1979: Die sunnitischen Türken empfanden diese als Bedrohung. Sie fürchteten eine Ausbreitung und versuchten den nun offensichtlich zunehmenden Islamismus einzuhegen. Dies geschah zum einen durch Repression durch das Militär und die mit ihm verbundene laizistische Staatsführung. Zum anderen durch die Entstehung eines „islamischen Liberalismus“, wie der Soziologe Cihan Tugal, Autor des Buches „Das Scheitern des türkischen Modells“, das nennt.
Aus der „Wohlfahrtspartei“ Necmettin Erbakans, die in den frühen Achtzigern gegründet worden war, ging um die Jahrtausendwende eine Reformbewegung junger muslimischer Politiker hervor, die eine Verbindung aus Demokratie, freier Marktwirtschaft und moderatem konservativem Islam anstrebte – die AKP. Als Vorbild dienten unter anderem auch die USA, wo wirtschaftlicher Erfolg und Religiosität kein Widerspruch sind. In den Medien war damals auch die Rede von einer „türkischen CSU“, wenn es um Recep Tayyip Erdogans AKP in den ersten Jahren ihres Aufstiegs ging.
Und die AKP sorgte tatsächlich für Wirtschaftswachstum, ja sogar für ein Wirtschaftswunder, an dem nun breitere Bevölkerungsschichten partizipieren konnten. Gesellschaftspolitisch begann sich die Partei jedoch zusehends zu verhärten. Zum einen verlor sie das Vertrauen zum Westen, von dem sie glaubte, dass er etwa im Kurdenkonflikt zu einseitig, nämlich pro-kurdisch sei. Zum anderen standen Erdogan und seine Leute den zunehmenden Protesten gegen die AKP-Regierung, die in den Demonstrationen gegen ein geplantes Bauprojekt auf dem Gelände des Gezi-Parks einen ersten Höhepunkt fand, völlig verständnislos gegenüber. Sie betrachteten die Gezi-Bewegung als (linke) Gefahr, die man zum Wohle des Staates eindämmen müsse. Die Macht der linksgerichteten Gewerkschaften hatte die AKP schon in ihren Anfangszeiten gebrochen.
Was bedeutet das nun für Österreich? Wichtig sei es, diesen ausländischen Einfluss – ob durch ATIB (der österreichische Arm der türkischen Religionsbehörde Diyanet), Millî Görüs (eine türkisch-islamistische Bewegung) oder die Muslimbruderschaft – zurückzudrängen, meint Efgani Dönmez. „Das sind lauter Reaktionäre, die die Uhren zurückdrehen, den Islam nicht vorwärtsentwickeln, sondern Freiheiten demontieren wollen.“
Auch Asdin El Habbassi, den muslimischen Nationalratsabgeordneten der ÖVP, stört, dass die politische Führung der Türkei ständig versuche, Kritik an der Türkei mit Kritik an der muslimischen Welt insgesamt gleichzusetzen. Grundsätzlich hält er – wenn man von radikalen Strömungen absieht – den Islam mit der Demokratie für vereinbar: „FDP-Chef Christian Lindner hat einmal gesagt: ,Die Verfassung eines Landes ist heilig – egal an was man glaubt.‘“ Wichtig sei auch für ihn die Trennung von Staat und Religion.
El Habbassi ist Sohn eines gebürtigen Marokkaners und einer Salzburgerin. Diskriminierung habe er selbst nie erlebt, sagt der Betriebswirt und stellvertretende JVP-Chef. „Aber die Einstellung gegenüber der muslimischen Bevölkerung hat sich in den vergangenen Jahren schon verschlechtert.“ Die Zunahme der Kopftücher im öffentlichen Raum sieht er gelassen: „Ich halte Freiheit und Selbstbestimmung für sehr wichtig. Wenn kein Zwang dahintersteht und nicht in die Freiheit anderer eingegriffen wird, soll in einer freien Gesellschaft jeder tragen dürfen, was er möchte.“ Und was hat ihn, den gläubigen Muslim, in die christlich geprägte, katholisch dominierte ÖVP geführt? „Das politische Programm. Ich teile die christlich-sozialen Werte wie Solidarität, Subsidiarität und Eigenverantwortung.“
Der Islam ist in Österreich seit 1912 als Religionsgemeinschaft anerkannt. Der Grund dafür war die Annexion Bosnien-Herzegowinas im Jahre 1908. Das Gebiet wurde aus dem zusehends geschwächten Osmanischen Reich herausgelöst, das zuvor Jahrhunderte über den Balkan geherrscht hatte. Mit ihm gab es immer wieder Berührungspunkte und Konfliktfelder. Beide Reiche, das der Habsburger und das der Osmanen, grenzten aneinander, der Gebietsgewinn des einen war der Gebietsverlust des anderen. Im kollektiven historischen Bewusstsein Österreichs sind die beiden Türkenbelagerungen noch immer fest verankert. 1529 und 1683 wollten die Osmanen Wien erobern, konnten die Stadt jedoch letztlich nicht einnehmen. Im Ersten Weltkrieg waren Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich dann Verbündete. Danach gingen beide Reiche unter.
Das Thema lange der FPÖ überlassen
Mit dem Islam mussten sich die Österreicher erst wieder auseinandersetzen, als in Folge des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg türkische Gastarbeiter, vorzugsweise aus Anatolien, nach Österreich kamen. Die zweite große islamische Zuwanderungsgruppe waren Muslime aus Bosnien-Herzegowina, die ebenfalls als Gastarbeiter, später dann als Flüchtlinge der Zerfallskriege im früheren Jugoslawien nach Österreich gekommen waren. Vor allem die FPÖ machte die Zuwanderung in den 1990er-Jahren zum großen Thema. Später versuchte die Freiheitliche Partei zu trennen: in die „anpassungsfähigen“ Zuwanderer, also die christlich Geprägten aus Südost- und Osteuropa, und in die „schwer integrierbaren“ muslimischen Zuwanderer, vor allem jene aus der Türkei. Es gäbe kein Ausländerproblem, es gebe ein Türkenproblem, hieß es dann.
Das Thema Zuwanderung und Integration wurde lange der FPÖ allein überlassen. SPÖ und ÖVP erkannten recht spät, dass sie sich dessen auch annehmen sollten. „Offenbar hat die Integration nicht so gut funktioniert, wie man es lang erhofft hat“, sagte Christian Kern, nachdem er Bundeskanzler geworden war, in einem „Presse“-Interview. „Da müssen wir heute feststellen, dass es da tatsächlich zu Parallelwelten gekommen ist.“ Parteifreund Omar Al-Rawi will nur bedingt von Parallelgesellschaften sprechen und sieht dahinter auch Community Building. „In Favoriten haben sie Leben in die Stadt zurückgebracht.“ Viele neue Lokale seien entstanden, in der Anmutung auch modernere als früher. Und die Wiener Märkte seien ohne Zuwanderer ohnehin nicht vorstellbar.
Der Umgang mit dem Islam ist dennoch ein schwieriger. Das Christentum ist heute politisch mehr oder weniger domestiziert, doch im Islam gibt es Richtungen, die das religiöse Gesetz über das weltliche stellen. Der säkulare Staat Österreich versucht hier einen Mittelweg. Auch weil die Erfahrungen aus explizit laizistischen Ländern wie Frankreich oder früher der Türkei zeigen, dass etwa ein Kopftuchverbot in Schulen oder Universitäten zu noch mehr Religiosität führen kann. So verbietet Österreich nur die Vollverschleierung im öffentlichen Raum und Kopftücher nur bei Berufen, die strikte Neutralität voraussetzen.
Im neuen Islamgesetz ist zum Beispiel das Recht der Muslime auf religiöse Betreuung, beim Bundesheer, in Haftanstalten oder Krankenhäusern, festgeschrieben. Auch islamische Speisevorschriften werden anerkannt. Dafür dürfen Imame und Interessenvertretungen der Muslime nicht mehr vom Ausland finanziert werden. Das ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, weil etwa die IGGiÖ heute als von der türkischen AKP nahestehenden Organisationen unterwandert gilt.
Immerhin, attestiert Efgani Dönmez, habe bei den österreichischen Parteien mittlerweile ein „Erwachen“ eingesetzt. Zuvor seien die reaktionären Islam-Vertreter unter dem Deckmantel von Antirassismus und interreligiösem Dialog hofiert wurden. Natürlich auch, um Stimmen zu gewinnen. Denn habe man den Chef einer dieser straff organisierten Gruppen auf seiner Seite, dann habe man auch den Großteil der Gruppe selbst. Geschehen sei dies vor allem über die Wirtschaftsflügel von SPÖ und ÖVP. „Aber da gibt es nun ein Umdenken.“ Nicht zuletzt auch bei der SPÖ.
3.
Islam und katholische Kirche
Mehr Neben- als Miteinander
Dietmar Neuwirth
Die Personen und die Handlung sind nicht frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder Personen wären nicht rein zufällig. Also: Es war einmal eine katholische Pfarre, die ihre Türen weit aufgemacht hat. Viele Mitglieder, vom örtlichen Priester wurden