... und hinter uns die Heimat. Klaus-Peter Enghardt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus-Peter Enghardt
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783957448422
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war der Bürgermeister, der seinen Neffen erwartete und Katharina anbot, sie nach Loditten mitzunehmen.

      Erfreut nahm die Lehrerin das Angebot an.

      Noch als sie ihre Koffer im Gepäckraum des Wagens verstaute, trat ein junger Leutnant an den Wagen, der so gar nicht die Figur seines Onkels besaß, der war nämlich eher klein und untersetzt, der Leutnant dagegen groß und sportlich. Nachdem er Katharina und seinen Onkel begrüßt hatte, nahm er, wie selbstverständlich, auf dem Rücksitz Platz und bot der jungen Frau den Beifahrersitz an. Seinen Koffer legte er im Fond neben sich.

      Während der wenigen Minuten war der Leutnant ein sehr amüsanter Erzähler, der Katharina sogar anbot, sie nach Königsberg in das Kino auszuführen. Lachend lehnte sie das Angebot ab, bedankte sich jedoch beim Bürgermeister, als er sie direkt vor dem Haus ihrer Wirtin absetzte.

      Als sie das Haus betrat, hörte sie Stimmen. Da fiel ihr wieder ein, dass Marie Schimkus ja Besuch von ihrem jüngsten Sohn erwartet hatte. Offensichtlich war dessen Urlaub noch nicht zu Ende.

      Obwohl sie sich bei ihrer Freundin wie zu Hause fühlte, klopfte sie an der Küchentür an. Als sie eintrat, war sie erstaunt, denn Georg hatte mit seinem Bruder wenig Ähnlichkeit. Er hatte zwar die gleichen blauen Augen, doch sein Haar war semmelblond und irgendwie sah er wie ein großer Junge aus, der nicht erwachsen werden wollte. Auch seine Sprechweise ließ eher auf einen Luftikus schließen, als auf einen Piloten der deutschen Luftwaffe, doch er machte auf die junge Frau einen sympathischen Eindruck.

      Zwei Tage blieb Georg noch, dann war sein Urlaub vorbei, und wer weiß, wann er seinen nächsten Urlaub bekommen würde. Die Situation hatte sich in Südeuropa und Nordafrika dramatisch zugespitzt und die zweite Abteilung des Kampfgeschwaders 54 war an die Ostfront abkommandiert worden.

      Inzwischen hatte Georg seine Kampffliegerausbildung beendet, war zum Unteroffizier befördert worden und flog nun eine einmotorige Ju 87 D. Er war mit seinen Kameraden auf einem Flugplatz im Süden Italiens, in Foggia stationiert.

      Der Januar 1943 brachte grimmige Kälte bis unter minus zwanzig Grad Celsius und Unmengen von Schnee. Der Wind blies eisig unablässig aus Nordost und an sternenübersäten Abenden sah der Himmel wie blankgeputzt aus. Um den Mond hatte sich eine helle Scheibe gelegt, und Eiskristalle glitzerten wie kleine Diamanten an den Ästen der Bäume.

      Die Flüsse und Bäche waren zugefroren und auf den Häusern lag der Schnee, als wären es Hauben aus Zuckerwatte.

      Die Natur war starr vor Kälte und auch den Tieren und den Menschen machten die Temperaturen zu schaffen.

      Die Alleen waren tief verschneit, und es war fast unmöglich mit dem Auto nach Loditten oder in die Kreisstadt Heiligenbeil zu gelangen. Die Bauern hatten inzwischen ihre Pferdeschlitten angespannt.

      Immer mehr Schüler blieben bei dieser Kälte zu Hause, wer sollte es ihnen verdenken. Der Kachelofen des riesigen Klassenzimmers war überfordert und schaffte es nicht, die Temperatur im Raum über acht Grad Celsius zu bringen. Katharina verbrauchte Unmengen von Holz und entschloss sich eines Tages, auch den verbliebenen Schülern ein paar freie Tage außer der Reihe zu gewähren. Sie erteilte ihnen Schulaufgaben, die die Kinder zu Hause selbstständig erledigen sollten. Nach einer Woche müssten sich alle Schüler wieder in der Schule einfinden, ob es mit dem Unterricht in der Schule weitergehen konnte, wollte die Lehrerin dann entscheiden.

      Inzwischen konnte Katharina die Zeit nutzen, um defekte Schulmaterialien auszubessern oder neuen Lernstoff vorzubereiten. Außerdem wollte sie ihren Eltern und Freunden ausführliche Briefe schreiben, das war in den letzten Tagen leider zu kurz gekommen.

      Jeden Morgen und jeden Abend ging Katharina in die Schule, um den Ofen in ihrem Klassenraum anzuheizen, damit der Raum nicht völlig auskühlte.

      Bauer Roschkat brachte das Holz mit seinem Schlitten und freute sich jedes Mal, über den heißen Tee bei der jungen Lehrerin, die das Getränk stets mit einem Bärenfang verfeinerte. Mit leuchtetenden Augen schlürfte der Bauer dann genüsslich Schluck für Schluck.

      Immer wenn Katharina von der Schule nach Hause kam, schaute sie als erstes in den Briefkasten nach Post.

      Sie machte sich große Sorgen um ihre Eltern, denn aus dem Radio kamen keine guten Nachrichten. Das Ruhrgebiet war ständig Ziel von Bombenangriffen und in Essen, Dortmund und Gelsenkirchen sollte es verheerend aussehen. Doch auch Köln wurde fast täglich bombardiert.

      Als im Februar die Bombenangriffe ein nicht zu begreifendes Ausmaß angenommen hatten, bat Katharina ihre Eltern in einem Brief inständig, Köln zu verlassen und entweder zu ihr nach Loditten zu kommen oder auf das Land zu Verwandte zu ziehen. Es könne doch nur eine Frage der Zeit sein, bis auch Köln-Ehrenfeld dem Erdboden gleich gemacht würde.

      Für die junge Lehrerin war es schwer, sich auf die Schule zu konzentrieren, weil sie sich sehr um ihre Eltern und um Wolfgang sorgte. Da kam es ihr sehr gelegen, als Marie sie fragte, ob sie nicht Lust hätte, sich dem Frauenchor anzuschließen, der einmal pro Woche im Pfarrhaus übte.

      Jeden Donnerstag um neunzehn Uhr trafen sich dort die Frauen des Landfrauenvereins der umliegenden Dörfer, um das deutsche Liedgut zu pflegen. Zunächst probten sie unter der Leitung des Kantors ihrer Kirche, doch seit der zur Wehrmacht eingezogen war, hatte der Chor keinen Leiter mehr. Herr Graudenz hatte die Chormitglieder zwar ab und zu auf der Orgel begleitet, doch er lehnte es stets ab, die Leitung für den Klangkörper zu übernehmen. Deshalb stand der Chor vor der Entscheidung, sich dem Kirchenspiel Zinten anzuschließen, oder auf eigene Faust weiter zu machen.

      Die Frauen entschieden sich für die zweite Alternative, doch sie mussten einsehen, dass ihnen tatsächlich ein Chorleiter fehlte.

      Da Katharina in der Schule unter anderem Musik unterrichtete, wären die Chormitglieder durchaus einverstanden, wenn sie die Chorleitung übernehmen würde, zumal sie ja sogar Klavier spielen konnte. Zwar besaß die Dorfkirche kein Klavier, dafür aber eine Orgel, und Marie war der Meinung, dass sich die Lehrerin schnell in die Spielweise einfinden würde.

      Außerdem wäre es für Katharina selbst von Vorteil, wenn sie neben ihrer eigentlichen Arbeit eine gesellschaftliche Tätigkeit ausüben würde, die sich der Pflege des deutschen Liedgutes widmete. So bliebe sie vielleicht vor dem Drängen des Kreisleiters unbehelligt, der ihr mehrfach ans Herz gelegt hatte, sich als Gruppenleiterin beim BDM einzubringen.

      Zunächst hatte die junge Frau Bedenken, doch Marie überzeugte sie schließlich mit ihrem Argument.

      Bereits am nächsten Donnerstag begleitete Katharina ihre Freundin zur ersten Chorprobe.

      Ende Februar kam endlich ein ausführlicher Brief von Wolfgang, nachdem er zuvor immer nur kurze Nachrichten geschrieben hatte. Zu Katharinas und natürlich auch zur Freude von Wolfgangs Mutter teilte er mit, dass er im März Urlaub bekommen würde. Zwei Wochen, die er selbst so sehr herbeisehnte.

      Katharina war vor Freude außer sich. Beim Lesen des Briefes hatte sie wieder gemerkt, wie sehr sie Wolfgang eigentlich liebte, und das, obwohl sie nur so wenig Zeit hatten, sich näher kennenzulernen. Doch vielleicht liegt es am Wesen des Krieges, dass die Liebe die Menschen schneller erreichte, als in Friedenszeiten, weil man mehr auf das Herz hörte, als auf den Verstand.

      Nun zählte Katharina jeden einzelnen Tag, bis Wolfgang endlich auf Urlaub kommen würde, doch einen genauen Termin hatte er nicht nennen können.

      Inzwischen hatte sich der Frühling eingestellt. Zunächst verschwand der Schnee von den Äckern und Wiesen, von den Hausdächern rutschten mit Getöse Schneelawinen herab, Bäche und Seen tauten auf, und in den tiefen Wagenspuren der unbefestigten Verbindungswege zwischen den Dörfern bildeten sich kleine Flüsse, die von den Kindern zu einem Kanalnetz ausgebaut wurden, indem sie mit Stöcken kleine Rinnen kratzten. Die Kanäle sammelten sich wiederum in einer riesigen Pfütze, die das gesammelte Wasser nicht mehr fassen konnte und als breiter Strom bergab lief.

      Da wurde manches Kind zum Staudammbauer, damit das Wasser nicht über die Ränder schwappte, oder zum Flößer, denn in die kleinen Kanäle hatten die Kinder Stöckchen gelegt, die sich munter fortbewegten. Das war interessant,