Überleben – Was blieb von der Heimat Donauschwaben?. Barbara Kohout. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Barbara Kohout
Издательство: Автор
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Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783954889877
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ist leicht nachzuvollziehen, dass sie tief verletzt war. Sie spürte die Verachtung der Familie. Wie mir später erzählt wurde, hielt sie sich die meiste Zeit abseits von den Gästen. Sie konnte sich nur schwer verständigen. Ihre Deutschkenntnisse waren mangelhaft. Aber es entging ihr trotzdem nicht, dass es offenbar um sie ging und dass die Kommentare ihr gegenüber wenig freundlich waren.

      Die Stimmung war aus einem weiteren Grund gedrückt: Mein Urgroßvater war gefallen. So kam diese Hochzeit auch aus rein praktischen Erwägungen zustande: Eva sollte ihre verwitwete Schwiegermutter im Geschäft entlasten. Das Leben musste irgendwie weitergehen. Nach der Hochzeit wurde das Geschäft auf das junge Paar überschrieben.

      Der Dritte der Brüder, Peter, heiratete die Tochter eines Viehhändlers und übernahm das Geschäft seiner Schwiegereltern. Auch er war nun gut situiert. Umso mehr glaubte sich die Familie im Recht, wenn sie den Michl wegen seiner scheinbaren Torheit kritisierten.

      Aber die politische Lage änderte sich und verschlechterte die Situation der Donauschwaben. Ihr Ansehen schwand. Das deutsche Heer war dabei, den Krieg zu verlieren. Die Grenzen wurden neu definiert.

      Am 29. Oktober 1918 erklärte der kroatische Landtag die staatsrechtliche Bindung mit Ungarn und Österreich als aufgelöst. Am 3. November wurden die Bedingungen des Waffenstillstandes seitens Österreich-Ungarns angenommen. Am 9. November verließen die auf dem Rückzug befindlichen deutschen Truppen die Batschka. Am 13. November erreichten die serbischen die Nordgrenze der Batschka. So gesehen ist der 13. November ein Schicksalstag. Die Machtverhältnisse waren plötzlich auf den Kopf gestellt. Die Bevölkerung wurde ungefragt und ungewollt ein Spielball der politischen Entscheidungen.

      Bereits am 25. November 1918 beschloss die Volksversammlung der in der Batschka und im Banat lebenden Serben, Bunjewazen, Russinen und Slowaken einstimmig, dass die Vojvodina (die Batschka und das westliche Banat) unmittelbar mit Serbien vereinigt werden soll. Die ungarischen Beamten blieben noch im Dienst, aber Mitte Dezember verlangte man von ihnen den Treueeid auf das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen. Wer sich weigerte, wurde fristlos entlassen. In manchen Fällen schob man die ehemaligen Beamten über die Demarkationslinie nach Ungarn ab.

      Von den Folgen dieser politischen Ereignisse war meine Familie unmittelbar betroffen. Plötzlich gab es eine Staatsgrenze zwischen Ungarn und Serbien. Stanischitsch, das bis dahin ein ungarisches Dorf mit deutschen und serbischen Bewohnern war, wurde nun zum serbischen Stanìsić. Nur 10 km nördlich verlief die Grenze zu Ungarn. Man errichtete einen Befestigungswall mit Bunkeranlagen und Grenzgarnison. Eine in 130 Jahren gewachsene und durch verwandtschaftliche Bande gefestigte Bindung zu den im Norden gelegenen deutschsprachigen Dörfern war brutal zerschnitten. Das sogenannte Bajaer Dreieck mit den Bezirken Baja und Almasch blieb bei Ungarn.

      Zudem wurde Ungarn von einer Inflationswelle heimgesucht. Die Folgen des Krieges und die Entwicklungen in der weltweiten Wirtschaft lasteten auf der Region. Mein Großvater war gezwungen, zunächst die Filiale seines Geschäftes aufzugeben.

      Anfang 1919, mitten in der Zeit des Umbruchs, beschlossen meine Großeltern zu heiraten. Sie feierten eine bescheidene Hochzeit im kleinen Kreis. Die Verwandten aus „Serbien“ wollten nicht ins Ausland reisen. Die Familie Horváth sah die Hochzeit ebenfalls kritisch. Vor allem konnte Roschi keine Mitgift erwarten. Aber die beiden waren entschlossen, ihren Weg zu gehen. Das Leben gab ihnen recht: Ihre Liebe hielt mehr als 50 Jahre. Doch sie wurde immer wieder auf eine harte Bewährungsprobe gestellt.

      Die politische Veränderung wurde zu einem schier unüberwindlichen Hindernis. Meine Großeltern standen zwischen zwei Welten. Wenige Monate zuvor waren sie Angehörige eines Staates, und es spielte keine Rolle, dass sie verschiedener Nationalität waren. Plötzlich war alles anders.

      Der sogenannte „Rote Graf“ Mihaly Karolyi war gezwungen, sich mit den Auswirkungen der Herrschaft der Habsburger auseinanderzusetzen. Wie überall in Europa schlug der lange Zeit schwelende Nationalismus plötzlich in Fanatismus um. Für eine wirkliche Übereinkunft zwischen den verschiedenen Interessengruppen und Völkerschaften war es im Grunde zu spät. Bei vielen steigerte sich die Ablehnung der „Anderen“ in Hass. Dieser traf besonders die eingewanderten Deutschen. Man sah sie als Feinde an. Sie waren plötzlich unerwünscht.

      Wirtschaftliche Schwierigkeiten hatten eine hohe Arbeitslosigkeit zur Folge. Viele waren gezwungen, zu sparen. In Verbindung mit nationalistischen Vorurteilen hatte dies für meinen Großvater verheerende Folgen. Er bekam immer weniger Arbeit. Zum Theater hatte er keinen Zugang mehr. Private Kunden fürchteten die Meinung der Nachbarn. Bald wusste meine Großmutter, meine Ama, kaum noch, wie sie die Lebensmittel für die Familie beschaffen sollte.

      Im Winter 1918/19 eskalierten die schwelenden Auseinandersetzungen weiter. Wirtschaftliche Probleme einerseits, wachsender Nationalismus im Land und der Machtpoker der Entente schufen in Ungarn eine explosive Situation. Der „Rote Graf“ sah sich gezwungen, die Regierung an das Proletariat zu übergeben. An der Spitze des Staates stand nun faktisch Belá Kun, der aus russischer Kriegsgefangenschaft mit dem Traum von einer kommunistischen, nicht national geprägten Räterepublik zurückgekehrt war. Als politischer Führer erwies er sich als Fehlbesetzung. Revolution und Gegenrevolution erschütterten das Land. Nach 133 wirren Tagen, am 1. August 1919, stürzte das Regime.

      Mitten in dieser Zeit wurde meine Großmutter schwanger. Sie erwartete ihr erstes Kind – meine Mutter Katharina. Das war eine Sorge mehr für die junge Familie.

      In Stanischitsch, das nur 28 km südlich von Baja lag, war die Situation völlig anders. Die serbische Regierung verordnete zunächst die Beschriftung aller öffentlichen Gebäude, Straßenschilder und Firmenschilder in serbokroatischer Sprache und kyrillischer Schrift. Deutsch und Ungarisch blieben jedoch als Zusatzsprache erlaubt. Auch in den Gemeindeverwaltungen änderte sich nur wenig. So funktionierte der Umbruch in Stanischitsch relativ reibungslos. Ausschreitungen und Willkür gegenüber einzelnen Bevölkerungsgruppen gab es nicht.

      Stanischitsch hatte von jeher eine gemischte Bevölkerung. Vielleicht gewöhnte man sich deshalb schneller an die neue Situation? Doch der wirtschaftliche Einbruch war auch hier schmerzlich spürbar. Vor der Trennung wurden jährlich allein 100 bis 150 Waggons gemästete Schweine nach Zagreb, Wien und Prag verladen. Nun war der Weg nach Norden versperrt und die Handelsbeziehungen fast unmöglich. Die Einnahmen von Petervetter gingen schlagartig zurück. Wenn er überhaupt Abnehmer für die Tiere fand, deckte der Ertrag kaum die Ausgaben.

      Ab Januar 1920 wurde ausschließlich der serbische Dinar als Währung anerkannt. Die ungarische Krone galt als Inflationsgeld. Man konnte sie zu einem Kurs von 4 Kronen zu 1 Dinar umtauschen. Zusätzlich wurde dabei eine Staatsanleihe von 20 % einbehalten.

      Die turbulenten Ereignisse und die neu entstandenen Grenzen bewirkten, dass sich die Menschen diesseits und jenseits plötzlich als Feinde wahrnahmen. Es wurde wichtig, welcher Nationalität der Einzelne zugehörte.

      Ich will die Geschichte meiner Familie erzählen, die von den Ereignissen geprägt ist, wie sie in unseren Wohnorten passierte. Das kann nicht als objektive Aussage über das Geschehen gewertet werden.

      Bereits in einem Nachbarort, wie Gakowo, Siwatz, Sombor oder anderen, gab es zum Teil völlig andere Geschehnisse, teilweise geschahen schreckliche Gräueltaten. Es gab aber auch viele Zeugnisse menschlicher Güte und Hilfsbereitschaft – unabhängig von politischen, religiösen oder nationalen Zwängen.

      Mein Großvater war kein ungarischer Staatsbürger. Als „Serbe“ deutscher Abstammung sollte er sich innerhalb kürzester Zeit entscheiden, ob er die ungarische Staatsbürgerschaft annehmen wollte. Er litt aber unter der Ablehnung und den absichtlichen Kränkungen durch seine früheren ungarischen Freunde. Zudem war die finanzielle Absicherung der Familie mehr als ungewiss. Für ihn war es unter diesen Umständen undenkbar, die ungarische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Es stellte sich die Frage,