Überleben – Was blieb von der Heimat Donauschwaben?. Barbara Kohout. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Barbara Kohout
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783954889877
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und glitschig. Plötzlich rutschte Katharina aus und fiel in den Teich. Der Hund hat das beobachtet und sprang ihr nach. Er packte sie bei ihrem Hemdchen und fing laut an zu winseln. Er konnte sie nicht mit eigener Kraft ans Ufer ziehen. Zum großen Glück hörte Ama schließlich sein Winseln und schaute nach. Wie froh war sie, dass es nicht noch eine Beerdigung geben musste.

      1925 war für meine Großmutter ein unendlich schweres Jahr. Neben den Geldsorgen drückten die Sorgen um das kranke Kind und sein Tod. Sie wusste nicht, wie sie die tiefe Trauer darüber abschütteln sollte. Die kleine Susanne war bei Elises Tod erst 6 Monate alt und vielleicht war sie die Lebensretterin von Ama, denn das Baby brauchte seine Mutter. Doch nicht genug damit, litt Ama auch unter der Isolation. Einmal suchte sie Trost beim Pfarrer. Doch dieser konnte sie nur nach dem Weltbild der damaligen Zeit „trösten“. Unglück, das den Menschen widerfuhr, konnte nur eine Strafe Gottes für heimliche Sünden sein. Die sollte sie bekennen und bereuen, dann würde ihr Gott vergeben. Aber noch mehr Schuldgefühle konnte meine Großmutter nicht gebrauchen. Nach diesem Gespräch betrachtete sie Pfarrer als persönliche Unglücksboten. Wenn ihr einer begegnete, unternahm sie an dem Tag nichts mehr. Sie sagte, er sei so gefährlich wie eine schwarze Katze. Außerdem glaubte sie an den Spruch: „Wer einen Vetter im Himmel hat, kommt auch hinein.“

      Langsam drohte sie in Schwermut zu versinken. Ata schimpfte sie aus. Sie sollte doch an ihr eigenes Zuhause denken, dann wüsste sie, wohin es führt, wenn sie sich nicht zusammenreißt. Ata erinnerte sie an die psychisch Kranken, die von seinem Schwiegervater zu Hause mit einer „Beschäftigungstherapie“ betreut wurden. Die Kranken mussten zum Beispiel Besteck polieren – den ganzen Tag. Wenn sie einmal damit fertig waren, mussten sie wieder von vorne anfangen. Da man mit dem medizinischen Wissen von damals Depression noch teilweise als Schwachsinn oder Geisteskrankheit oder Irrsinn bezeichnete, gab man sich zwar alle Mühe, die Betroffenen zu verwahren und vielleicht zu beschäftigen, aber verstanden hat man diese bedauernswerten Menschen gewiss nicht.

      So wollte Ama natürlich nicht enden. Sie war eine Kämpferin. Schließlich entdeckte sie ihre ganz persönliche Lösung: den Wochenmarkt in Stanischitsch. Er fand zweimal wöchentlich statt. Es gab dort alles zu kaufen, was man im täglichen Leben so brauchte: Stoffe, Wolle, Schuhe, Werkzeuge, Besen, Saatgut, Obst, Gemüse, Getreide, Fleisch usw. Dieser „Supermarkt unter freiem Himmel“ beflügelte die Fantasie meiner Großmutter. Sie wollte etwas verkaufen, um an selbst verdientes Geld zu kommen, mit dem sie für die Kinder Kleidung, Schuhe, Medizin und vieles mehr kaufen konnte. Kurz entschlossen bot sie zunächst an, was sie in ihrem Garten erntete und nicht für den Eigenbedarf brauchte: Gurken, Tomaten, Paprika, Salat. Der Erlös dafür war sehr mager, nur wenige Para. Bald hatte sie begriffen, dass sie ihren Gewinn mit ihrer Geflügelzucht erheblich steigern konnte. Gänse, Enten und Hühner brachten Eier, Fleisch und vor allem Gänsedaunen und -federn. Das entwickelte sich sehr schnell zu einem willkommenen zweiten Standbein für das Familieneinkommen. Doch der sehr erfreuliche Nebeneffekt war, dass Ama wieder unter Leute kam und reden musste. Sie war nicht auf den Mund gefallen, aber sie musste auch lernen, Deutsch und Serbisch zu reden. Zuerst war es nur Kauderwelsch. Aber mit der Zeit konnte sie sich in drei Sprachen mit allen Menschen unterhalten – wer eben gerade kam. Da sie keinen Nationalstolz oder Rassenhass kannte, hatte sie bald vor allem mit den serbischen Bewohnern von Stanischitsch ein gutes, freundschaftliches Verhältnis. Meine Mutter und ihre Geschwister wuchsen ganz selbstverständlich zweisprachig auf. Mit der Mutter redeten sie ungarisch und mit dem Vater deutsch, dem diese Sprache mehr lag.

      Ata hatte inzwischen einen festen Stamm von ca. 50 Kunden, die sich zweimal wöchentlich balbieren (rasieren) ließen. Für diese Dienstleistung bekam er 50 kg Weizen pro Kunde und Jahr, immerhin ca. 2.500 kg pro Jahr. Das war eine gute Basis für den Eigenbedarf an Futter für das Geflügel und Mehl zum Backen von Brot und Kuchen. Auch die Nudeln stellte Ama selbstverständlich selbst her. Was sie nicht verbrauchten, tauschten sie gegen andere Bedarfsgüter oder Futtergetreide ein. Zum Beispiel gegen Kukuruz (Mais). Die Schweine wurden bei uns vorwiegend mit Mais gemästet. Wer das Fleisch und den Speck von diesen Tieren einmal gekostet hat, wird den köstlichen Geschmack nie mehr vergessen.

      Durch ihren Zusatzverdienst konnte sich Ama nun auch mal einen größeren Kochtopf kaufen – die Familie wuchs ja stetig – oder neue Patschker, wenn sie nötig waren. Damals gab es noch keine Schuhe von der Stange. Sie wurden entweder vom Schuster maßgefertigt – das war sehr teuer – oder man trug die traditionellen Patschker, ein bequemes, einfaches und leichtes Lederschuhwerk, dessen Sohlen sich seitlich nach oben wölbten. Diese Patschker, oder ungarisch Opanken, konnte man entweder auf dem Markt kaufen oder in einer der drei Patschkermacher-Werkstätten erwerben.

      Zur Einschulung im Herbst 1926 sollte für meine Mutter gemäß dem Brauch ein neues Kleid gekauft werden. Aber Ama kaufte ihr kein weißes Kleid, wie es die Kinder der wohlhabenden Familien tragen durften. Beim dunklen Kleid sah man den Schmutz nicht so schnell, war die praktische Überlegung. Es wurde immer am Samstag gewaschen und konnte am Montag wieder sauber für die Schule angezogen werden.

      Dass Ata ein geselliger Mensch war, wirkte sich selbstverständlich auch förderlich auf seinen geschäftlichen Erfolg aus. Er wurde Mitglied in allen möglichen Vereinen. Er war bei der freiwilligen Feuerwehr, beim Gesangsverein und Gesellenverein. Außerdem wurde er Gründungsmitglied beim Sportverein Sloga und engagierte sich dort lange Jahre als Schiedsrichter. Im Winter, wenn die Feldarbeit getan war, hatte jeder Verein seine Jahresfeiern in den entsprechenden Stammlokalen. Es gehörte zur Tradition, dass dabei jeweils ein Theaterstück aufgeführt wurde. Ata wurde der Intendant und Maskenbildner. Auch das brachte ein paar Dinare zusätzlich in die Haushaltskasse. Sie sollten den Grundstock für seine Expansionspläne bilden. Ata wollte wieder einen richtigen, eigenen Friseursalon eröffnen.

      Ab dem Jahr 1925 belieferte ein Stromaggregat der Mühle Stanischitsch mit elektrischem Strom. Deshalb träumte mein Großvater von einem richtigen Salon, in dem er alle damals modernen Schönheitsangebote machen konnte, wie Dauerwellen ondulieren und alles, was dazugehörte. Ata arbeitete wirklich hart, um auch dieses Ziel zu erreichen.

      Aber im Jahr 1926 war das noch Zukunftsmusik. Im September 1926 wurde mein Onkel Johann geboren – mein J annionkel. Für ihn wollte Ata das Geschäft aufbauen. Er sollte sein Erbe werden. Der erste Sohn! Die Freude war unbeschreiblich groß.

      Meine Mutter konnte eine deutsche Schule besuchen, weil die Regierung diese ebenfalls zugelassen hatte. Sie wurde von Ordensschwestern unterrichtet, die vor allem die Fertigkeiten in Handarbeit förderten. Da sie sehr großzügig waren mit dem Verteilen von Fleißbildchen, lernte meine Mama gerade dafür mit großem Eifer.

      Meine Mutter hat mich nie aufgefordert zu nähen, zu stricken, zu häkeln oder zu sticken. Aber diese Arbeiten habe ich immer mit Vergnügen gemacht. Ich habe dabei wohl ihre Freude und ihren Eifer, den ich bei ihr beobachten konnte, nachgeahmt.

      Auch im Religionsunterricht sammelte Katl, wie sie nach donauschwäbischem Brauch gerufen wurde, eifrig Fleißbildchen. Aber mit der Beichte hatte sie ihre Probleme, erzählte unsere Mutter gelegentlich. Einige Fragen, die sie sehr bewegten, habe ich mir notiert: Was sollte sie unter „unkeuschen Gedanken“ oder „Unkeuschheit treiben“ verstehen? Der Pfarrer fragte sie auch, wie oft sie vor dem Schlafen nicht gebetet hat. Dann nannte sie eine Zahl, aber sie hatte ein schlechtes Gewissen dabei, denn sie wusste es nicht genau. Das gleiche Problem hatte sie bei der „Sünde“, dass sie mit jemandem geredet hat, der nicht katholisch war. Wie sollte sie immer wissen, wer nicht katholisch ist? Aber auf diesen Punkt wurde von den Ordensschwestern sehr großer Wert gelegt. Das musste unbedingt gebeichtet werden. Auch die Frage, wie oft sie erwachsene Leute auf der Straße nicht gegrüßt hat, machte ihr Kummer. Sie konnte es einfach nicht bestimmt sagen. Also gab sie auch hierbei irgendeine Zahl an, aber mit schlechtem Gewissen. Ama war ihr dabei keine große Hilfe, denn sie bestritt vehement, dass ein Mensch, der selber sündigt, anderen die Sünden vergeben konnte. So war Katl mit diesen Zweifeln allein und sie fühlte sich gar nicht wohl bei der Sache.

      Ama erzählte immer wieder