Im Schatten des Burn-outs. Pina Petersberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Pina Petersberg
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Современная зарубежная литература
Год издания: 0
isbn: 9783961450411
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konnte das nicht weitergehen. Meine Arbeitsleistung ließ sichtbar nach. Wie durch ein Wunder waren der Stau in meinem PC und meine Reizbarkeit Mr. Y bisher entgangen. Offenbar und Gott sei Dank hatte er wichtigere Missionen zu erfüllen. Ein circulus vitiosus aus aktivierter Stressachse, Muskelverspannungen, Schlaflosigkeit und tiefster Erschöpfung, der in die Depression zu münden drohte. Die Zeit war plötzlich eingefroren. Es war wie eine temporäre Erstickung, ein plötzlich erzwungener Stillstand, lebende Mumifikation. Auch die Resonanz verstummte. Viele Kollegen, selbst die robuste Gesine und der ehemals lustige Chirurg Gert mit den Zwillingen, waren schon krankgeschrieben. Zurück blieb noch mehr Arbeit, die auf den Schultern derer lastete, die sich mühsam am Rande der Dekompensation dahinschleppten. Selbst aus dem Urlaub hagelte es Krankmeldungen, da die Körper die plötzliche Entlastung nicht tolerierten. Der Sympathicotonus schnurrte in sich zusammen wie ein Gummiband durch die plötzlich fehlende Anspannung, das Immunsystem lag darnieder und man war verschnupft oder erlitt Unfälle.

      Wer nicht schnurrte, war Panther, denn dieses „Schwächeln“, wie er es nannte, behagte ihm gar nicht. Inzwischen hatte er mit dem Konzern zahlreiche Auszeichnungen errungen und war zum Geheimrat ernannt worden. Er blieb energiegeladen und dynamisch wie immer und erwartete unbedingt, dass die harten Maßstäbe, denen er sich selbst unterwarf, auch von seinen Mitarbeitern in Perfektion erfüllt wurden. Ein rigides Über-Ich sorgte für die Aufrechterhaltung des pathologischen Bedingungsgefüges, ein Perpetuum mobile.

      Jeder, der länger als eine Woche arbeitsunfähig war, musste Blutproben abgeben. Die Chemiker arbeiteten fieberhaft an den diesbezüglichen Analysen, was zur Folge hatte, dass auch sie vom Burn-out erfasst wurden. Ein Bereitschaftsdienst musste eingerichtet werden. Panther tobte – in wachsender Ohnmacht. Selbst Biokoka half nicht weiter, im Gegenteil, dieses Lebenselixier schien ab einer gewissen Höchstdosis eine paradoxe Wirkung zu entfalten, die Lebensenergien zusätzlich zu dezimieren. Es hatte seine betäubende Wirkung eingebüßt und steigerte den stechenden Schmerz und die Übelkeit in meiner geplagten Magengrube. So schüttete ich es kurzentschlossen in den Ausguss, nicht ohne vorher den Computer herunterzufahren, um Mr. Y daran zu hindern, mich über Skype auszuspähen.

      Was tun? Zunächst erkannte ich, dass ich an meinen Grenzen angelangt war und dringend soziale Unterstützung benötigte, wenn nicht die Wogen der Hilflosigkeit über mir zusammenbrechen sollten. Da ich über tiergestützte Therapien gelesen hatte und zudem den Missbrauchsskandal lösen sollte, bot es sich an, einen Suchtmittelspürhund zu meiner Unterstützung zu beantragen. Hunde wurden inzwischen auch zur Senkung des Cortisolspiegels als Vorlesehunde bei leseschwachen Kindern eingesetzt. So erhoffte ich mir eine Besänftigung meiner unter Strom stehenden Stressachse und die Lösung der an mich herangetragenen Aufgabe.

       SUCHMITTELSPÜRHUND

      Überraschenderweise wurde mein Antrag positiv von Fade entschieden, zu groß war die Befürchtung, auch ich könnte noch arbeitsunfähig werden. Aber aus Kostengründen war es erforderlich, einen Welpen im Tierheim auszusuchen. Nach anfänglichem Widerstand konnte ich meine hilfsbereite Kollegin Dina überreden, mich zu begleiten. Wir klingelten an einer wackeligen, hohen Jägerzaunpforte. Laut vernehmbares Bellen, Jaulen, Kläffen und leiseres, warnendes Knurren hallte uns entgegen, das auch nicht abebbte, als eine weibliche Stimme energisch rief: „Aus jetzt!“

      Die Stimme kam näher und – kontrastierend zu der Stimmgewalt – humpelte uns ein verhärmtes Weiblein in einem schmutzigen, geblümten Kittel entgegen. Sie lächelte bereitwillig, als wir unser Anliegen äußerten, und gab den Blick frei auf ein sanierungsbedürftiges Gebiss.

      „So, einen Suchtmittelspürhund suchen Sie“, wiederholte sie und brach in ein skurriles, meckerndes Lachen aus. „Nun, mit so was kann ich nicht dienen. Ausbilden müssen Sie Ihren Hund selbst.“

      Hierbei bedeutete sie uns mit der Hand, ihr zu folgen, und schlurfte voran zu den Zwingern. Ein stechender Geruch strömte uns entgegen und reizte unsere sensiblen Nasen, verwöhnt durch die von Klimaanlagen gefilterte Luft.

      Unwillkürlich zuckte ich zusammen, als ein besonders aggressiver Kampfhund einen Laut gab, die Lefzen drohend hochzog und gegen das Gitter sprang, um nach uns zu schnappen, fette Beute wähnend, oder zumindest einen Leckerbissen, den Dina und ich wohl zusammen abgegeben hätten. Andere Vierbeiner verteidigten nicht ihr Revier, sondern schauten uns schüchtern, treu oder verängstigt an. Wir gelangten zum letzten Käfig der Reihe, in welchem sich fünf Mischlingswelpen in einem Weidenkorb tummelten. Sie waren acht Wochen alt, knuddelige kleine Wollknäuel, die bei uns spontane Zuneigung auslösten. Rosarote Zungen leckten unsere Finger oder schienen mit „Bäh“ uns schelmisch anzulachen. Wer konnte da widerstehen? Wir suchten einen frechen Rowdy aus, der sich auch beim Händeklatschen nicht einschüchtern ließ, sondern scheinbar unbeeindruckt und neugierig blieb und freudig mit uns und seinen Geschwistern weiter herumbalgte.

      „Spielfreudig ist er“, bestätigte das Weiblein. „Leider ist die Mutter nach der Geburt überfahren worden.“

      „Was ist das für ein Abzeichen?“, fragte ich und strich über den umgekehrten Aalstrich am Rücken.

      „Da ist wohl Rhodesian Ridgeback mit drin,“ antwortete sie, erneut ihre Zahnpracht entblößend, während sie zwischen ihren aufgesprungenen Lippen gierig an einem Zigarettenstummel sog, um ihn schließlich verächtlich auszuspeien und mit ihren ausgelatschten Schuhen auszutreten. „Väterlicherseits auch altdeutscher Schäferhund, sehr gutes Blut, begabter Charakter“, pries sie ihren Zögling an, als sie spürte, dass wir Feuer gefangen hatten.

      Auch Dina war fasziniert von seinem offenen Charakter, den bernsteinfarbenen Augen, die uns vertrauensvoll ansahen, und von diesem Haarkamm, der entgegen der normalen Richtung verlief. Sie strich darüber, ohne dass sich dies änderte. Dem Welpen schien das zu behagen, denn er kullerte sich auf den Rücken und eine Springbrunnenfontäne des Übermuts sprühte uns entgegen. Freudentränen waren das nicht. Nachdem die Spuren beseitigt, alle Formalitäten erledigt waren und das Weiblein sich Gewissheit verschafft hatte, dass ihr Schützling in gute Hände geraten würde, besiegelten wir unsere Wahl mit einem Handschlag und einer Unterschrift unter den Kaufvertrag. Dieser wies sogar eine Ahnentafel auf und natürlich die vorgeschriebenen Impfungen. Glücklich machten wir uns auf den Heimweg und für Augenblicke war mein Burn-out in Vergessenheit geraten.

      Ich brachte Einstein, so hatten Dina und ich ihn getauft, nach Hause. Dort zeigte sich Felix spontan begeistert von seiner aufgeschlossenen Lebendigkeit.

      „Wir müssen ihn autoritär erziehen“, erklärte ich, „das heißt nicht, dass er geschlagen wird, aber er muss sich uns Rudelführern unterordnen. Durch kurzes Schütteln am Nackenfell und Pfui müssen wir darauf hinweisen, was sozial erwünschtes Verhalten ist, und was nicht“, dozierte ich stolz aus meinem kürzlich angelesenem, praktischen Wissensfundus.

      „Rudelführer“, neckte mich Felix, „ich dachte, ich führe dich, zumindest beim Tanzen.“

      Die ersten Nächte verliefen anstrengend, aber ich blieb konsequent und reagierte nicht auf das Gewinsel, als ihm das Alleinsein nicht passte und er um Gesellschaft auf seinem Hundelager in der Diele jammerte. Erst als er stubenrein war, durfte er mit in den Konzern als mein ständiger Begleiter. Schon bald war Einstein festes Mitglied im Kollegenkreis, insbesondere sein nachdenklich wirkendes Stirnrunzeln und sein umgekehrter Aalstrich waren von Interesse und er wurde immer wieder getätschelt. Die angespannte Stimmung lockerte sich spontan auf. Sogar Fade wollte seine Bekanntschaft machen, zeigte sich aber eingeschüchtert, als Einstein ihn übermütig ansprang und zum Spielen aufforderte.

      „Wir sind noch bei den Grundübungen der Erziehung“, erklärte ich entschuldigend.

      „Bitte alles im Detail elektronisch dokumentieren und eine Kopie zu Panthers und meinen Händen“, wies Fade mich mit der gewohnten Fantasielosigkeit an, nachdem er sich gefangen hatte, deutlich bemüht, Souveränität zu bewahren. „Die Kosten für das Futter werden mit der allgemeinen Gehaltserhöhung verrechnet, ebenso wie für alle Pflegeartikel und die spielerische Erziehung“, fügte er im Hinausgehen wie beiläufig hinzu.

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