Im Schatten des Burn-outs. Pina Petersberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Pina Petersberg
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Современная зарубежная литература
Год издания: 0
isbn: 9783961450411
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Kündigungen vornahm. Zahlreiche Anüs, Arbeitnehmerüberlassene, waren der deutschen Sprache zunächst gar nicht mächtig. Die Headhunter der Leihfirmen zwangen sie bereits in ihrem Heimatland, befristete Verträge zu unterzeichnen, ebenso wie die fristlose Kündigung, die den armen Geschöpfen also jederzeit bei Nicht-Funktionieren unter die Nase gerieben werden konnte. Jeden Tag mussten sie damit rechnen, dass es ihr letzter sein könnte in relativer Sicherheit an einem Ort, der für sie paradiesische Zustände zu versprechen schien, sollte die Integration gelingen. Eine Kündigung führte zur fristlosen Demission ins unspezifische Nichts, denn meist hatten sie nicht einmal das genügende Kleingeld für ein Rückreiseticket. Sie erhielten einen Spottlohn und zusätzlich Hartz IV zur Sicherung ihres Existenzminimums und waren in großen Wohncontainern auf dem Konzerngelände hinter dem Park der Selbstwirksamkeit für die Führungskräfte untergebracht. Boni gab es nur in Form des Lebenselixiers, das ihnen zwar reichlich zum Nulltarif zur Verfügung gestellt wurde, sie aber nicht weiter veräußern durften. Kopfjäger im Heimeinsatz zur Regenerierung ihrer Ressourcen nach längerer Akquise im Ausland hatten die Aufgabe übernommen, im Wohncontainer für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Für die Hygiene waren sie nicht zuständig.

      Die erbärmlichen Bedingungen weckten mein Mitgefühl. Wie konnten wir diese bedauernswerten Mitarbeiter unterstützen? Kontakt war uns strengstens untersagt und nur heimlich und im Verborgenen möglich. Aber konnte Panthers allgegenwärtigen Argusaugen überhaupt etwas entgehen oder drückte er nur ein Auge zu, um jegliches Vergehen zu einem späteren Zeitpunkt noch härter sanktionieren zu können?

      Besonders aufgefallen war mir Estrella aus Chile, die ein offenes, fröhliches Wesen hatte, trotz dieser finanziellen Engpässe, der harten Arbeitsbedingungen und der notdürftigen Unterbringung unter menschenunwürdigen Bedingungen. Ich konnte mich mit ihr recht gut auf spanisch unterhalten und erfuhr die wesentlichen Details der unbarmherzigen Personalgewinnung, die nur der berechnende Panther gemeinsam mit seiner Herzdame Liliane ersonnen haben konnte.

      Einmal fuhr ich Estrella am Morgen nach ihrer Nachtschicht „nach Hause“ in den Wohncontainer, da sie zu ausgelaugt war von der monotonen Arbeit und dem Transport der Aktenberge, um sich noch auf den Beinen zu halten. Sie zeigte mir die enge, doppelte Schlafkabine und die unhygienische schwimmende Kochnische, die sie mit zwanzig Mitarbeitern teilen musste und deren Ausgussrohr von einem Haarknäuel verstopft war, sodass sich auch hier Rinnsale auf dem Fußboden bildeten, nachdem das Auffangbecken übergelaufen war – allerdings nicht ganz so heftig wie in der essbaren Stadt. Auch gab es nichts Essbares hier, nur schmierige Reste lagen im Raum verteilt. Es herrschte ein muffiger, ekelerregender, dumpfer Geruch. Ich reichte Estrella mein Pausenbrot, das ich heute aus Zeitdruck nicht gegessen hatte. An meinem PC leuchtete bereits aus Überlastung wegen des Arbeitstaues die warnende rote Ampel, die mich zur Eile und zum Multitasking antrieb, um nicht nachsitzen zu müssen. (Nach zwei Tagen andauernden roten Signals programmierte sich automatisch die elektronische Zeitkarte zur Leistung von Überstunden retour. Dieser Kelch war gerade noch an mir vorbeigegangen.) Ein Aufpasser in Uniform mit Schlagknüppel im Gürtel musterte mich misstrauisch und zog ein grimmiges Gesicht.

      „Gäste sind hier nicht gestattet“, herrschte er mich mürrisch an und blies sein Kaugummi zu einer großen Blase, die er provozierend vor meinen Augen platzen ließ. Mich fröstelte. Beschämt verabschiedete ich mich von Estrella und lud sie – nachdem die Luft wieder rein war – zum Wochenende in meinen Mondscheingarten ein, um sich von allen Strapazen erholen zu können.

       MONDSCHEINPARTY

      Estrella war aus ihrem Heimatland farbenprächtige Pflanzen gewöhnt und machte kein Hehl daraus, dass meine feierliche, weiße Pflanzenwelt für ihre temperamentvolle Frohnatur zu steril wirkte. Strahlend überreichte sie mir ein knallrotes fleißiges Lieschen, das einen belebenden Farbtupfer auf meiner Terrasse bildete inmitten schlohweißer, üppiger Hortensien in mächtigen Terrakotta-Kübeln. Aber nachdem die Abendsonne zwischen den staksigen, hochwüchsigen Tannen des Nachbarn glutrot in den Feldern versunken war, beeindruckte sie doch das Leuchten der weißen Blütenpracht in der Abenddämmerung, das allmählich verlosch, als der Schatten der Nacht fiel, um dann erneut feenhaft durch das Mondlicht illuminiert zu werden.

      Unser Nachbar, der offensichtlich den lieben langen Tag nicht viel zu tun hatte und den wir häufiger hinter einem Buchsbaum am Gartenzaun hervorlugen sahen, musste vor Neid erblassen, was wir leider zu dieser späten Stunde nur vermuten konnten, wenn eine abrupte, unbeholfene Bewegung im Gebüsch seine Spionage verriet. Einmal war er tatsächlich dabei plump auf seine vier Buchstaben gefallen und wir mussten zu Hilfe eilen, um ihn gemeinsam wieder auf die Beine zu hieven.

      Heute nun herrschte ein lustiges Treiben in meinem sonst so feierlichstillem Garten. Mein sonniger Freund und Lebensgefährte Felix spielte Keyboard und sang „Unter den Wolken“ nach Reinhard Mey, da er nicht gern flog. Sohn Timo, in den Semesterferien aus London eingeflogen, wo er Elektrotechnik studierte, war da weniger zimperlich. Er zupfte eifrig die Gitarre, bis Estrella protestierte, eine ihrer heißen CDs auflegte und ihn mit wiegenden Hüften zur Bachata auf die vermooste Rasenfläche zog. Sie hatte zahlreiche Freunde aus dem Container mitgebracht, sodass in den unterschiedlichsten Sprachen geschwatzt, gesungen und zu den lateinamerikanischen Rhythmen geklatscht wurde. Auch von uns waren weitere Freunde und Kollegen dabei, die sich um den Gartenteich scharten, auf dem Mückenschwärme tanzten, die uns anspornten, es ihnen gleich zu tun. Die Silhouetten der Gäste zeichneten sich nostalgisch vor einem Supermond ab, dreißig Prozent heller und vierzehn Prozent größer als ein normaler Vollmond, da er in seiner elliptischen Umlaufbahn an seinem erdnächsten Punkt der Erde 50.000 Kilometer näher war.

      Plötzlich erstarben die fröhlichen Klänge jäh. Zwei uniformierte Polizisten tauchten geisterhaft hinter der Hausecke auf und richteten ihre grellen Taschenlampen auf mich.

      „Was geht hier vor?“, fragte der ältere von beiden und runzelte strafend die Stirn unter seiner Schirmmütze, sodass sich eine drohende Falte mittig eingrub. Sein Vollbart erinnerte an Rübezahl. Offensichtlich hatte unser indiskreter Nachbar sich dieses weitere Mal nicht mit der Befriedigung seiner Neugier zufriedengegeben, sondern aus Neid Rache ersonnen, fühlte er sich doch trotz dieses Schauspieles zum Nulltarif in seiner Ruhe gestört.

      „Nur ein kleines Sommerfest. Waren wir zu laut?“, versuchte ich, die Ordnungshüter zu besänftigen.

      „Es hat mehrere Beschwerden gegeben“, erklärte der jüngere, milchgesichtigere von beiden, von dem offensichtlich eher Empathie und Verständnis für unsere Ausgelassenheit zu erwarten war.

      „Oh, das tut mir leid“, beeilte ich mich zu sagen. „Darf ich Ihnen etwas anbieten?“

      „Was sind das für Leute?“, forschte der Ältere weiter und deutete auf Estrella und ihre Freunde aus dem Wohncontainer, indem er mein Friedensangebot zunächst ignorierte. „Riecht nach Schwarzarbeitern“, fügte er misstrauisch hinzu und zog die gestutzten Augenbrauen skeptisch hoch, wodurch seine Stirn wiederum in nachdenkliche Falten geworfen wurde, sodass er mich an einen Mops erinnerte. Die steile Falte in der Mitte hingegen hatte mehr Ähnlichkeit mit einer Haifischflosse.

      „Nein, sie sind alle über die Überlasserfirma sozialversichert“, suchte ich zu beruhigen, während ich gedanklich zwischen Mops und Haifischflosse schwankte.

      „Nun, wir nehmen die Personalien auf und die Aufsichtsbehörde wird in Ruhe ermitteln“, entgegnete der ältere Polizist, der sich durch meinen ebenfalls prüfenden Blick offensichtlich nicht beirren ließ. Er schielte auf eine Flasche Biokoka mit Waldmeisteraroma und dementsprechend giftig grüner Färbung, sodass ich mich beeilte, ihm ein dickbauchiges Glas voll zu schenken. Die Schaumkrone benetzte seinen weißen Oberlippenbart, als er es ansetzte, mit einem Zug leerte und dabei über den Glasrand unter seinen buschigen Brauen kritisch Estrella musterte.

      „Ich komme morgen und bringe alle Papiere“, versprach diese geistesgegenwärtig, indem sie mit ihren frisch erworbenen Deutschkenntnissen glänzte und mich davor bewahrte, wegen meiner Mondscheinparty mit den fremden Gästen vor Panther Rechenschaft ablegen zu müssen.

      „Uff“, atmete ich erleichtert auf, als ich wahrnahm, wie beeindruckt der Milchgesichtige von Estrellas hübscher Erscheinung