ironisch Short Stories. Mark Jischinski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mark Jischinski
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783941935242
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Moment der höchsten Ekstase greife ich nach ihr und will sie nie wieder loslassen. Aber sie ist nicht mehr da. Meine Hände landen auf meinem Bauch, aber die möglicherweise in tieferen Schichten lauernden Sixpacks lassen sich nicht ertasten. Irgendwie klatschen meine Hände bloß auf eine riesige Masse Fett. Langsam entfernen sich die wundervollen Bilder aus meinem Kopf. Ich wache auf und schleiche ins Bad. Ich stelle mich vor den Spiegel und öffne vorsichtig meine Augen. Eine behaarte Murmel mit einem Kopf sieht mich verstört an. Und ich denke nur:

      Na toll, nur geträumt! Morgen wird ein Scheißtag im Büro sein. Es gibt wieder eine Woche, in der ich nur arbeiten werde. Keine Beförderung, kein Sport und natürlich auch keine Zeit für Tom. Es wird alles so sein, wie es schon immer war. Die FAZ wandert ungelesen in den Müll, die Studienunterlagen hinterher und von dieser Frau bleiben nur meine Träume. Höchste Zeit also, dass ich meine guten Vorsätze endlich in die Tat umsetze.

      Es hatte alles mit diesem aufregenden Artikel in der Zeitung angefangen. Feng-Shui in der Wohnung würde alles besser machen und wenn das Qi erst richtig fließt, dann würde er sich auch wieder besser fühlen, munterer, ja sogar jünger. Er verglich die Fotos in dem Magazin mit dem Bild, das seine Wohnung bot. Wichtigster Unterschied: Bei ihm war in jedem Regal alles zu sehen. Bücherrücken, kleine Dinge, die einfach mal zwischengelagert werden sollten, aber nun bereits seit Jahren verstaubten, Notizen und Kreditkarten. Gefüllte Koffer unter den Schränken, alte Fotos in vergilbten Kisten und in den Schränken hingen Sachen, die ihm schon lange nicht mehr passten. Das Qi hatte gar keine Chance zum Fluss zu kommen, und so war es auch kein Wunder, dass er sich so matt und antriebslos wie immer fühlte. Kein Qi da, also auch keine Freude im Leben.

      Gleich am nächsten Tag fuhr er ins Möbelhaus und kaufte ein großes Regal mit verschließbaren Türen, damit der Blick an nichts haften bleiben und das Qi frei fließen konnte. Schnell baute er es auf und verstaute die gesamten Bücher darin. Den nutzlosen Plunder, die Schränke, all die alten Fotos mit seinen Verflossenen, die Kartons und nicht mehr passenden Sachen warf er gleich in den Müll und bereits am Abend fühlte er sich deutlich besser. Als er am nächsten Morgen sein Werk betrachtete, stellte er fest, dass die schon etwas matte Farbe an der Wand nun nicht mehr so recht zum neuen Regal passte. Auch ein Blick in die Zeitschrift bestätigte, dass die Wandfarbe ebenfalls Feng-Shui entsprechend sein müsse. Das Zimmer lag gen Osten, weswegen ihm als beste Farben grün und braun empfohlen wurden. Also fuhr er in den Baumarkt und besorgte sich die neuen Farben. Innerhalb eines Tages räumte er das Zimmer leer, strich die gesamten Wände und räumte das Zimmer wieder ein. Am Ende des arbeitsreichen Tages bot alles einen prächtigen Anblick. Und er war nun noch ein Stückchen glücklicher. Es herrschte Ordnung und Klarheit. Alles war auf das Wesentliche reduziert und er würde fortan in Harmonie wohnen und leben. Sofort spürte er neue Kräfte in sich aufsteigen, befand es aber für sinnvoller, sich schnell zum Schlafen zu legen.

      Gleich nach dem Aufstehen ging er am folgenden Tag in das Zimmer und musste sich die Augen reiben. Der Teppich passte nicht mehr. Dass ihm das am Abend zuvor nicht aufgefallen war! Es war so schön, dass das Sofa wunderbar passte, aber der Teppich musste raus. Er war in seiner ruhenden Mitte empfindlich gestört und beschloss sofort, zum Möbelhaus zu fahren und einen neuen Teppich zu kaufen. Dieses Mal kam auch seine Freundin mit und sie bewies wahrlich einen ausgezeichneten Geschmack, denn der neue Teppich legte sich wunderbar auf den Fußboden und verströmte pure Glückseligkeit. Wie sie nun aber Arm in Arm dastanden und den Anblick des völlig harmonisierenden Zimmers genossen, bohrte sich ein weiteres störendes Element langsam in ihrer beiden Blicke. Die Lampe ging nun auch nicht mehr! Und wenn sie schon einmal dabei waren, passte das grün-braun des Zimmers auch nicht mehr so recht zu den viel zu weißen Türrahmen. Es wäre besser, wenn diese einen angenehmeren Ton hätten, vielleicht etwas beige oder ein einfach nur nicht so schreiendes Weiß. Sie beratschlagten eine Weile, was zu tun war, denn so langsam hatten sie Angst bekommen, dass sie immer wieder einen Punkt finden könnten, der sie stören würde. Sie hatten bei dem Regal angefangen, was ja noch in Ordnung war, dann die Farbe, der Teppich und nun die Lampen. Möglicherweise die Türen noch dazu. Und was würde als nächstes kommen?

      »Vielleicht war es doch keine so gute Idee mit diesem Feng-Shui, oder?«, fragte er sie schon ein wenig frustriert.

      »Doch, ich glaube schon. Sieh doch nur, wie toll der Raum geworden ist! Den Rest können wir doch nach und nach machen und außerdem haben wir ja noch genügend andere Räume.«

      »An die will ich jetzt mal gar nicht denken«, entfuhr es ihm sofort, »und eigentlich ist mir inzwischen auch egal, ob wir in den anderen Zimmern Feng-Shui haben oder nicht. Ich bin so platt von der ganzen Arbeit und will mich einfach nur ausruhen und wohl fühlen.«

      »Das werden wir auch noch.« Und so drückte sie ihm einen Kuss auf den Mund, zog ihn zum Auto und sie fuhren wieder zum Baumarkt. In den folgenden Tagen schliffen sie die Tür und den Türrahmen ab und versahen alles mit einem dezenten beigefarbenen Anstrich. Als sie ihr Werk besahen, stellte sich eine deutlich größere Ruhe ein. Es war fast perfekt. Aber eben nur fast. Sie waren sich schnell einig, was noch zu tun war. Der Raum war noch nicht rituell gereinigt. Also liefen sie das gesamte Zimmer im Uhrzeigersinn mit einer Kerze ab, leuchteten die Ecken aus und baten die Kraft des Feuers, die alten Energien in sich aufzunehmen und an den Kosmos zurückzuführen. Sie stellten zudem ein Räucherstäbchen auf und sprühten frisches Quellwasser in jede Ecke des Raumes.

      Schließlich merkten sie, dass der Raum noch immer nicht so rein war, wie sie ihn brauchten. Deshalb kaufte sie eine Klangschale und stellte sich mitten in den Raum. In einem sehr intensiven Ritual entlockte sie der Schale wundervolle »Om-Töne« und bat das Universum, die verstaubten und verbrauchten Energien wieder in den Kreislauf des Kosmos zu geben. So wähnten sie sich zurück im Einklang mit dem Schwingungsfeld des Alleinen. Doch wie sie danach in ihrem neuen Zimmer saßen, spürte sie in aller Konsequenz die letzten Störungsfelder auf. Sie sah ihn an. Länger als sonst. Er war nicht besser geworden, nicht jünger, nicht munterer.

      »Schatz, es wäre schön, wenn du jetzt gehst.«

      Und wie er den Raum verließ, durchflutete sie plötzlich Wärme und Licht.

      Neulich im Fanshop. Ich stehe vor einem Spiegel und habe ein Trikot vor meine Brust geheftet.

      »Nicht deine Farbe«, sagt meine Freundin Karla zu mir.

      »Was hast du gegen schwarz-gelb?«, frage ich.

      »Gar nichts. Es steht dir nicht. Das ist alles. Aber warum muss hier auch alles schwarz-gelb sein? Einige Sachen sähen wirklich gut aus, wenn sie eine andere Farbe hätten.«

      Ich schaue Karla fragend an.

      »Du, das geht nicht anders. Es sind die Vereinsfarben. Schon seit hundert Jahren. Die können sie nicht einfach ändern!«

      »Warum nicht? Andere Dinge ändern sich auch.«

      Ich kapituliere innerlich, zeige es natürlich nicht.

      »Mag sein. Aber im Fußball gibt es Regeln, Tradition und Werte. Nichts davon wird geändert.«

      Für einen Moment habe ich das Gefühl, wir hätten uns gestritten, obwohl es eigentlich kein Streit war. Ich nutze die Gesprächspause, um mich zu den Schlüsselanhängern und Mousepads zu verdrücken. Beim Anschauen dieser Sachen, der Füllhalter, Ordner und Bettwäsche in schwarz-gelb frage ich mich schon, ob Karla nicht Recht haben könnte. Dabei stelle ich mir vor, wie alles gekommen wäre, wenn die Emanzipation schon vor hundert Jahren so weit gewesen wäre wie heute.

      Auf einem holprigen Acker treffen sich schneidige Damen. Sie zeigen einander ihre neuen Schuhe, sündhaft teure Fetzen Stoff und unentbehrliche Taschen in Taschentuchgröße. Nach einem gemütlichen Plausch von mehreren Stunden drängt es sie zur Bewegung. Eine aufgeblasene Schweinsblase dient ihnen als Luftballon, der adrett durch die Luft geworfen wird. Irgendwann fällt er herab und übermütig treten die Frauen davor. Was auf einem Acker beginnt, wird die Geburtsstunde des modernen Fußballs. In der Folge