»Sagen Sie, jetzt, wo es vorbei ist, was passiert nun mit mir?«
Der Mann schrieb weiter und antwortete ihm beiläufig: »In Ihrem Fall dasselbe wie in Ihrem Leben die meiste Zeit. Nichts.«
»Wie, nichts?«
Nun hörte der Mann mit dem Schreiben auf.
»Na nichts! Alexander Martin, jetzt hören Sie mir einfach einmal einen Moment lang zu. Sie Menschen bringen ihr verfluchtes Leben jeden Tag so gut es eben geht hinter sich. Die meisten sehnen sich schon während eines mehr oder minder frei gewählten Berufs danach, irgendwann in den Ruhestand zu gehen, um dann endlich anzufangen mit dem Leben. Sie ertragen ihre selbst gewählte Erbärmlichkeit mehr schlecht und recht und dann kommen Sie zu mir und wollen Glückseligkeit?«
Der Mann schnaubte, atmete noch einmal tief ein und aus und schrieb weiter. Alexander sah ihn mit großen Augen an. »Aber was hätte ich denn tun können?«
»Jetzt meckern Sie mal nicht. Ich dachte, es hätte Ihnen ganz gut gefallen dort unten. Zumindest eigentlich.«
»Hat es ja auch. Eigentlich. Aber ein paar Dinge würde ich jetzt anders machen.« Alexander gefiel die Situation gar nicht. Es war schon bis hierher nicht das Gelbe vom Ei, und wenn er gewusst hätte, dass ihn hier das totale Nichts erwartet, wäre er doch lieber in die Kirche gegangen. Oder hätte sündiger gelebt.
»Dafür ist es jetzt zu spät. Ab jetzt ist Nichts und für die meisten ist das auf keinen Fall schlechter, als das Leben, das sie auf der Erde führten.«
Der Mann blickte von seinem Block auf und schaute zu Alexander. Über dessen Kopf konnte er die Fragezeichen sehen.
»Ihr ganz spezielles Problem war einfach nur, dass Sie sich nie getraut haben und immer wieder Schiss hatten. Statt auf die Einzigartigkeit Ihrer Ideen zu vertrauen und Ihren Idealen zu folgen, gingen Sie den Weg der Sicherheit. Sie folgten den Angepassten und kapitulierten wie die vielen Anderen in einer Welt der Möglichkeiten, weil Sie gar nicht wussten, was Sie eigentlich selbst wollten. Überhaupt ist das »eigentlich« eines Ihrer größeren Probleme. Und da es sich so ergab, haben Sie eben keinen besonderen, ja einzigartigen Moment selbst erschaffen, sondern lebten von den geborgten Augenblicken der anderen. Es waren schließlich bereits ausreichend viele da. Bloß fühlt sich Second Hand nicht so doll an wie eine selbst geschaffene Einmaligkeit.«
Er machte eine Pause. Dann holte er ein Formular aus einer Schreibtischschublade, legte es vor Alexander und reichte ihm einen Stift.
»Würden Sie mir das hier bitte unterschreiben?«
»Was ist das?«
»Ihr Fahrschein ins Nichts.«
»Und wenn ich das nicht unterschreiben will?«
»Dann fahren Sie ohne. Macht keinen Unterschied. Wir vertreiben uns hier im Grunde nur die Zeit, bis der nächste Transport kommt. Und da die Menschen Formulare lieben, haben wir in unserer Freizeit ein paar lustige erschaffen, die keiner braucht. Genau wie bei Ihnen.«
Alexander wurde bleich. Ängstlich entfuhr es ihm: »Und jetzt?«
»Jetzt geht es los. Kommen Sie bitte?«
Alexander verkrampfte und innerlich sträubte sich sein gesamter Körper gegen eine Bewegung. Doch sein Kopf signalisierte ihm, dass es keinen Zweck haben wird, sich zu wehren. Der Mann erhob sich, kam um den Schreibtisch herum und umfasste Alexanders Arm. Dann begleitete er ihn langsam zu einer Tür auf der anderen Seite des Büros. Er öffnete diese, lächelte Alexander an und schubste ihn mit einer geübten und sehr bestimmten Bewegung. Alexander fiel. Von oben hörte er noch die Stimme des Mannes.
»Wir sind ja keine Unmenschen. Und da Sie es unbedingt wissen wollten, sage ich es Ihnen gern. Im Durchschnitt war es einmal pro Quartal. Und es hat Ihren Partnerinnen statistisch gesehen nur jedes achte Mal gefallen. Sie waren also echt mies.«
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