Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
ISBN 978-3-77976-002-3
1. Taschenbuchauflage 2009
© der deutschsprachigen Ausgabe 2006
by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers
Originaltitel: The battle for Darky Green
Copyright © 2006 by Adrian Plass
Einbandgestaltung: Brendow Verlag, Moers
Titelfoto: Colourbox
Satz: Hans Winkens, Wegberg
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014
MITTWOCH
Am Mittwoch um fünf Uhr nachmittags trinkt Vaughn Macey schwarzen Kaffee in seiner Wohnung über der Drogerie in Lipsham. Die drei Zimmer sind alle ärgerlich klein, oder »kompakt«, wie die Makler es nennen, und die wenigen Möbel, die er sich zusammengeklaubt hat, sind abgewetzt und aus zweiter Hand. Aber es reicht – fürs Erste.
Macey erwartet einen Anruf. Als er kommt, stellt er seinen Becher ab, schnappt sich den Hörer von der Wand und drückt ihn an sein Ohr.
»Lenny! Schieß los. Okay – für wie lange? Ach du Scheiße, die ganze Reise!«
Er lehnt sich in seinem Sessel zurück und lacht tonlos, während er weiter zuhört.
»Gute Idee, Len. Oh, ja, das ist gut. Duff und Steve waren dabei? Hervorragend! Ihr drei seid doch ein paar ausgekochte Halunken. Man sollte euch gar nicht auf die Straße lassen. Wie geht es wem?« Seine Stimme klingt plötzlich härter. »Mein kleiner beschissener Herr und Meister ist heute genauso schräg drauf wie gestern und vorgestern. … Ja nun, es geht nur um den Zeitpunkt, Len. Das einzige Problem ist, den richtigen Zeitpunkt zu finden. … Nein, kein Problem. Na super. Um das Geld kümmern wir uns, wenn ich da bin. Bis dann, Alter.«
Macey hängt den Hörer zurück auf die Gabel und greift nach seinem Kaffee. Sein Wieselgesicht ist ohne Ausdruck, als er den Becher an die Lippen führt und die starke, schwarze Flüssigkeit schlürft, doch hinter seiner Stirn schmiedet er Pläne. Das ist nichts Neues. Vaughn Macey verbringt eine Menge Zeit mit Pläneschmieden.
DONNERSTAG
1
Am Donnerstagmorgen um fünf nach zwei saß Tom Crane in seinem Schlafzimmer am Schreibtisch und tröstete sich mit der Gewissheit, dass selbst eine so scheinbar endlose Nacht wie diese irgendwann der Dämmerung eines neuen Tages weichen musste.
In der dunklen Welt außerhalb seines Vierzimmerhauses war alles still, bis auf den gelegentlichen Verkehr auf der zweihundert Meter entfernten Straße nach London. Nach einem dreistündigen Wolkenbruch am späten Abend taten die Reifen der vorbeifahrenden Autos prasselnd und zischend ihr Bestes, um die Versprechen der Werbung einzulösen und die von Wasserlachen bedeckte Straße sicher zu packen. Tom schöpfte ein wenig Trost aus dem Geräusch. Der Gedanke an Leute, die in ihren Autos unterwegs waren, hatte etwas Beruhigendes. Sie kamen von irgendwo her. Sie wollten irgendwo hin. Waren auf einer Reise, die einen Sinn ergab. Die Leute ergaben einen Sinn. Es konnten zum Beispiel Ärzte im Nachteinsatz sein. Zivilisierte, vertrauenswürdige Männer oder Frauen, pflichtbewusst und verantwortungsvoll, unterwegs, um Leidenden Linderung zu bringen, oder vielleicht auch erschöpft auf dem Rückweg vom letzten Notfall. Leute mit intelligenten Augen und angemessener Zurückhaltung.
Im Grunde eine dumme Denkweise. Leute, die in den frühen Morgenstunden mit dem Auto unterwegs waren, konnten genauso gut irgendwelche Schurkereien oder Wahnsinnstaten im Schilde führen. Sie konnten betrunken sein. Oder deprimiert und selbstmordgefährdet. Sie konnten unterwegs sein, um ein Verbrechen zu verüben. Nein, lassen wir das. Denk darüber jetzt nicht nach.
Ein Beobachter hätte vielleicht die ungewöhnliche Reglosigkeit seines Körpers bemerkt und die Art, wie seine Augen ständig von einem Ende des Zimmers zum anderen zuckten oder in einem häufig wiederholten Dreiecksmuster zwischen Tür, Fenster und Telefon. Möglicherweise hätte dieser Beobachter daraus den Schluss gezogen, dass Tom gespannt auf etwas lauschte.
Schließlich schüttelte er sich, setzte sich gerade auf, tat einen langen Atemzug und zog die Tastatur zu sich, während er sich zum Schreibtisch drehte. Ein paar Augenblicke lang schwebten seine Finger unschlüssig über den Tasten; dann ließ er langsam die Luft aus seinen Lungen durch den Spalt seiner Lippen ausströmen und begann zu tippen.
2
Lieber Lance,
es ist zwei Uhr morgens. Ich wünschte so sehr, Du oder Olly wärt hier. Da wir uns eine ganze Weile nicht gesehen haben, hatte ich sowieso vor, Dir zu schreiben, aber es war eigentlich nicht mein Plan, das mitten in der Nacht zu tun. Es ist nur so, dass ich heute Nacht kaum schlafen konnte, weil ich immerzu daran denken musste, was heute in dem Zug passiert ist, mit dem ich aus dem Norden zurückgekommen bin. Das meiste war grauenhafte Wirklichkeit. Einiges waren nur dumme Träume.
Ich habe beschlossen, die Schreibtischlampe anzumachen und mich hier in den scheinbar sicheren kleinen Lichtkreis an meinem Schreibtisch zu setzen. Ich komme mir vor wie jemand in einem alten Hitchcock-Film. Also werde ich Dir auf dem Computer diesen Brief schreiben über das, was geschehen ist. Ich bin nicht wie Du und Olly. Mir fällt es viel leichter, Dinge zu Papier oder auf den Bildschirm zu bringen, als darüber zu reden. Außerdem brauche ich irgendetwas, was mich ablenkt. Ich brauche das Gefühl, nicht allein zu sein. Es hat ja keinen Sinn, elend in der Dunkelheit zu liegen und alberne Wortspielereien im Kopf zu vollführen. Weißt Du noch, meine Denkspielchen, von denen ich Dir erzählt habe? Ich würde heute Nacht so ziemlich alles dafür geben, ganz und gar von diesen Banalitäten eingenommen zu sein. Alle Schrecken, mit denen sie mich bedrohen könnten, hätten doch am Ende keine Chance gegen meine aufregenden Denkabenteuer, wie zum Beispiel auszutüfteln, dass sich aus den Buchstaben des Wortes »Stop« fünf weitere englische Wörter bilden lassen.
Okay, Du brauchst es nicht zu sagen – ich weiß, ich schreibe dummes Zeug. Und ich weiß auch, warum: Weil ich mich eigentlich gar nicht wirklich mit dem auseinandersetzen möchte, was heute im Zug passiert ist. Die Frage ist, wenn ich die ganze Sache jetzt in Worte auf diesem Bildschirm fasse, wird es mir dann besser oder schlechter gehen? Das weiß ich einfach nicht. Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Ich habe wirklich große Angst, Lance. Und ich glaube, das Schlimmste für mich ist, dass alles so verdammt verrückt war. Wenn irgendetwas Scheußliches, Furchtbares passiert, ist das unangenehm genug, aber normalerweise lässt es sich immerhin noch in das vertraute alte Puzzle des menschlichen Verhaltens einordnen.
Hitler meinte, er hätte gute Gründe dafür, in Polen einzumarschieren.
Stalin lächelte für die Fotografen.
Oder, um nicht ganz so weit abzuschweifen, ein Junge namens James Foley, der zwei Jahre älter war als ich, tyrannisierte mich immer in der Schule und nahm mir fast jeden Tag meine Pausenbrote weg. Habe ich dir je von ihm erzählt? Meiner Mutter jedenfalls nie. Er sagte, er tue das, weil ich ihm in der ersten Woche des Schuljahres auf dem Schulhof »frech gekommen« sei. Tag für Tag machte er mir das Leben zur Hölle, aber selbst dieser Kerl hielt es für seine Pflicht, seinen Untaten irgendeine moralische Rechtfertigung überzustülpen.
Nein, das Problem mit dem, was heute passiert ist, besteht darin, dass es nicht nur scheußlich und furchtbar war, sondern auch ganz und gar unbegreiflich. Es hatte nichts zu bedeuten und