»Aha, und warum?«
»Nun, der Lavendelgeruch von Odor ist so ausdrucksstark, dass ich fast schon eine lila schimmernde Spur zu sehen glaube.«
Er winkte Tom zu sich, und kaum hatte der einen tiefen Atemzug durch die Nase genossen, waren alle Zweifel aufs Blumigste beseitigt: Ein chemisch-aufdringlicher Geruch von parfümiertem Waschmittel stand in der Luft, als wolle er Hänsel und Gretel zum Waschhäuschen der Hexe locken.
»Inzwischen bin ich mir gar nicht mehr so sicher, welchen Gestank ich furchtbarer finde«, stöhnte Tom.
Als er Wombie und seinen Kuschelhasen Odor kennengelernt hatte, war er vom infernalischen Gestank des ungewaschenen Kuscheltiers fast ohnmächtig geworden. Wombie ließ nicht zu, dass irgendwer außer ihm das Plüschhäschen auch nur anfasste, und so hatte sich zunächst der faulige Geruch vieler Jahrzehnte darin gesammelt. Vor Kurzem aber hatte der Zombie doch tatsächlich die wunderbare Welt der Weichspüler entdeckt. Seitdem verging kaum ein Tag ohne Waschgang für Odor. Beim Dosieren folgte Wombie der Devise »Deckel ab und rein damit«. Nach Ende des Waschgangs explodierte jedes Mal eine gigantische Geruchsgranate in den Nasen der Geisterbahnbewohner.
»Es beschämt mich, aber ich muss hier leider passen«, begann der Vampir nun. »Ich kann euch diesmal nicht behilflich sein. Der Wald ist voller Wildtiere, und das Rauschen des Blutes in ihren Adern ist so gewaltig, dass ich das nächste arme Tierchen aussaugen würde wie einen Tetrapak.«
Unwillkürlich machte Tom einen Schritt von Vlarad weg, was diesem nicht verborgen blieb.
»Keine Sorge, ich werde mich so lange im Griff haben, bis ich zurück in meinem Labor bin. Aber ich kann nicht länger hier am Waldrand verharren. Der Blutdurst ist überwältigend.«
»Okay, hab verstanden«, nickte Tom, und das hatte er wirklich. Wenn Vlarad ein Tier nur anpikte, trug dieses außer einer winzigen Wunde und ein paar verlorenen Sekunden keinen Schaden davon. Trank er aber mehr als ein paar Milliliter von dem Blut eines einzelnen Lebewesens, passierten zwei Dinge: Das Geschöpf wurde ebenfalls zu einem vampirischen Untoten und Vlarad mutierte vorübergehend zu dem Spenderwesen.
Mit einer Mischung aus Belustigung und Genervtheit dachte Tom daran zurück, wie Vlarad sich in einen Hamster verwandelt hatte. Gott sei Dank hatten sie auch das angepikste Tierchen gerade noch rechtzeitig gefunden, um es mit Hop-Teps mächtigem Lazarus-Serum von seinem vampirischen Schicksal zu heilen.
Da vernahm Tom die telepathische Stimme der Mumie in seinem Kopf: Nun, ich allerdings kann unbehelligt von jeglichen Blutdürsten durch das Holz streifen und Tom helfen, unseren starken Freund zurückzuholen.
»Stimmt«, überlegte Tom, »und so spät in der Nacht wird wohl kaum jemand im Wald unterwegs sein und sich bei deinem Anblick zu Tode erschrecken. Dann lasst mich mal sehen, wo Wombie steckt.« Er rollte seinen Ärmel hoch. In der Dunkelheit waren die rot leuchtenden Punkte unter seiner Haut sehr gut zu erkennen.
Er nannte diese verrückte magische Fähigkeit sein Geister-Navi, denn genau das war es eigentlich auch. Anhand dieser sanft pulsierenden Lichter auf seinem Unterarm konnte Tom sehen, wer von ihnen sich in etwa wo befand.
Routiniert drehte er sich einmal hin und her, um zu sehen, welcher rote Punkt sich dabei am wenigsten bewegte – logischerweise war dies dann seine eigene Markierung und er konnte so erkennen, welche die anderen waren.
»Okay, das bin ich, dann ist das da hinten Welf in seinem Käfig, das ist Vlarad, daneben Hop-Tep und Mimi. Also ist Wombie … der da. Er ist noch nicht mal so arg weit weg, und anscheinend bewegt er sich kaum. Ähm … Mimi, würdest du …«
»Klar«, antwortete das Geistermädchen betont einsilbig, warf einen kurzen Blick auf Toms Unterarm und huschte auch schon davon.
Nur wenige Sekunden später war sie zurück. »Also, Wombie hockt da drüben im Wald und gräbt.«
»Er gräbt?«, wiederholte Tom verwundert.
Der Vampir zuckte mit den Achseln. »Natürlich tut er das. Marder wohnen nun einmal in Höhlen oder Felsspalten. Es ist anzunehmen, dass das Tierchen Wombies Waschmittelwunder mit in seine Behausung genommen hat.«
»Ah, okay, das leuchtet ein«, überlegte Tom. »Also … Ich könnte jetzt auf seinen roten Punkt drücken und ihn damit zu mir rufen …«
Vlarad sah ihn ausdruckslos an. »Ja, das könntest du tun, Tom …«
»Aber wenn er gerade in Sorge um sein Kuscheltier ist, dann wär das irgendwie blöd«, beendete Tom seinen Gedanken, und der Vampir entspannte sich sofort. »Genauso ist es, Tom. In Notsituationen ist diese Funktion natürlich hilfreich und angemessen, aber es ist sehr anständig von dir, dass du sie nicht als Rezeptionsklingel missbrauchst.«
»Kein Problem«, antwortete Tom. »Wir wollen ihm ja helfen und ihn nicht gegen seinen Willen von Odors Rettung abziehen. Also, dann gehst du jetzt besser mal zurück in dein Labor, Vlarad, und wir holen unseren Zombie aus dem Wald.«
Er zückte die Taschenlampe und wollte gerade losstapfen, als ihn Mimis Stimme zurückhielt: »Ich glaube, das machen wir besser mal alleine.«
Verwundert drehte sich Tom zu ihr um. »Was? Wieso das denn jetzt?«
War Mimi echt so sauer auf Tom, dass sie ihn nun nicht mal bei der gemeinsamen Suche nach Wombies Kuscheltier dabeihaben wollte?
Da meldete sich Hop-Tep telepathisch: Unsere schimmernde Prinzessin hat leider recht, mein Junge. Im Gegensatz zu uns siehst du kaum etwas im Dunkeln und bist auf die Taschenlampe angewiesen. Diese jedoch würde den Marder verschrecken. Es könnte passieren, dass er sich mit seiner Trophäe weiter in die Höhlen zurückzieht oder gar in den Wald flüchtet. So aber kann Mimi einfach in den Boden fahren, ihn aufspüren und zu einem der Ausgänge scheuchen. Und da werde ich auf ihn warten, um ihm Odor möglichst sanft zu entreißen.
Tom seufzte. Natürlich hatte die Mumie absolut recht. Weder konnte er es mit der nächtlichen Sehkraft noch mit der übermenschlichen Reaktionsschnelligkeit der Untoten aufnehmen.
»Also gut …« Er rollte seinen Ärmel wieder herunter und hob dann halbherzig die Hand. »Dann viel Erfolg.«
Die Mumie deutete eine höfliche Verbeugung an. Gehab dich wohl, junger Freund. Wir vermelden auf telepathischem Wege Erfolg, sobald sich jener unmissverständlich eingestellt hat.
»Okay, danke. Also bis später«, antwortete Tom und blickte zu Mimi, doch das Geistermädchen schaute an ihm vorbei zum Waldrand und schwieg.
Zuerst dachte Tom, sie ignoriere ihn ausschließlich wegen ihres Streits von vorhin, doch dann erkannte er etwas anderes in ihren Zügen. Er trat ein paar Schritte an das Geistermädchen heran und fragte leise: »Mimi, was ist mit dir? Also, ich meine, ist noch irgendwas anderes, als dass du sauer bist auf mich? Du wirkst so …«
»Sauer!? Das bin ich auch«, schnappte Mimi scharf. »Ansonsten alles supi, danke der Nachfrage.«
Tom seufzte. »Okay, dann … bis später. Oder so.«
»Oder so, ja«, antwortete Mimi und schwebte, ohne sich noch einmal umzudrehen, hinter Hop-Tep her Richtung Waldrand.
Kapitel 4: Ungebetener Besuch
Als Tom den Zirkuswagen betreten hatte, fühlte er sich zum ersten Mal seit langer Zeit richtig alleine.
Klar, hinter der Wand hockte Welf in seinem Käfig, Vlarad war in seinem Labor und die anderen würden bestimmt bald zurückkehren. Aber die Sache mit Mimi belastete Tom sehr. Er hatte sich mit dem Geistermädchen von Anfang an super verstanden, sie waren schnell richtig gute Freunde geworden und inzwischen wohl auch