Ein paar Hundert Meter weiter bringt uns der verglaste Fahrstuhl in 50 Sekunden auf die Aussichtsetage des Harbour Centre Towers, die aus 177 Meter Höhe einen grandiosen 360 Grad Rundblick gewährt. Über uns lädt noch ein Drehrestaurant zu mehr Gemütlichkeit ein, doch uns interessiert hier nur die Aussicht. Auf das etwas winzig erscheinende Leben unter uns, die meerumschlungene Stadt, den Hafen, das Burrard Inlet mit seinen Yachten, Fähren, bienenfleißigen Wasserflugzeugen, Kreuzfahrtschiffen, Containerriesen und auf die rahmenden Berge. All das lässt die zehn Dollar Fahrpreis schnell vergessen, zumal die Tickets auch noch eine zweite Fahrt erlauben. Wenn es dunkel wird und Millionen Lichter Vancouver erleuchten, dann wollen auch wir nochmals nach oben.
Jetzt aber heißt die Richtung Gastown. Dieses, nach dem Zweiten Weltkrieg sehr verkommene Hafenviertel östlich des Shopping Centers und entlang der Water Street lädt heute als liebevoll restaurierter alter Stadtteil ein und bietet viel Charme. Mit denkmalgeschützten viktorianischen Backsteingebäuden, hübschen Innenhöfen, nett dekorierten Boutiquen, Andenkenläden, Kunstgalerien, Restaurants, Cafés und viel Blumenschmuck an Fenstern und Gaslaternen. Auch Indianische Schnitzkunst wird hier angeboten, deren Preis-Qualitätsverhältnis wir anderswo im Lande kaum wiederfanden. Die weltberühmte Steamclock, die erste Dampfuhr ihrer Art auf unserem Globus, pfeift an der Ecke von Water und Cambie Street aller viereinhalb Minuten, jede volle Stunde ab oder an und lässt halbstündlich auch ihr Glockenspiel ertönen. Am Marple Tree Square steht das Denkmal des Stadtgründers „Gassy Jack“, der 1867 hier seinen Saloon eröffnete, in dem Holzfäller, Sägewerksarbeiter, Seeleute und Goldsucher ihren Whiskey tranken. Der Oldie, der eigentlich John Deighton hieß, steht somit auch auf einem Whiskeyfass und das Ganze auf einem Sockel, damit der kleine Mann auch ins rechte Licht gesetzt erscheint. Der Laden mit den Cowboystiefeln direkt links hinter ihm erinnert ebenso an die alten Zeiten wie die sich rechterhand anschließende Straßenkneipe in der nostalgischen Straße. Lediglich gegenüber mischt sich die Moderne ein und erinnert mit einem dreieckigen Haus an das „Bügeleisen“ in New York City.
Und wir? Wir tun hier das, was all die anderen Touristen auch tun. In einem der Straßecafés niederlassen, Kaffee oder Eis bestellen, dem bunten Treiben zuschauen und anschließend ein paar Läden durchstöbern. Richtig begeistert sind wir vom „Heritage Canada“ in der Waterstreet. Was dort hängt, steht und liegt ist excellent, doch haben diese „Native Crafts“ bekannter Künstler auch ihren Preis. Mir hatte es ein „Talking Stick“ von Joseph Tyron angetan (nur wer bei einer Indianerversammlung einen solchen gereicht bekam durfte reden), doch als es nichts mehr zu verhandeln gab, standen immerhin noch 400 Dollar zur Diskussion. Und das war mir zu teuer. Außerdem war ich der Meinung, dass es „in der Provinz“ erheblich preiswerter sein müsste als im touristischen Vancouver. Doch das war, bei gleicher Qualität, eine falsche Annahme.
Auf dem Weg zum Hotel geht es zunächst nochmals hinauf auf den Tower um auf das nächtliche Vancouver zu schauen, dann zum Robson Square, wo sich die Kuppel des einstigen Gerichtsgebäudes (heute eine Kunstgalerie) erhebt und vorbei am alten Hotel Vancouver mit seinem unverkennbaren grünen Kupferdach. An der Waterfront, wo der alte Kohlehafen komplett umgebaut wird, sind Bagger und Baumaschinen auch zu dieser späten Stunde noch aktiv, während etwas weiter die supermodernen Bauten schon Realität geworden sind, deren Preise für die Eigentumswohnungen den Stockwerken in der Höhe nichts nachstehen.
Vancouver hält auch am nächsten Tag für uns noch einiges bereit, aber alles lässt sich nicht mehr abmarschieren. Ein Blick in den Elizabeth Park, das Marine Museum und ein Bummel durch das östlichen Ende von Downtown, das die Einheimischen „Yaletown“ nennen: Mit Glas- und Betontürmen entlang der Uferpromenade, des Yachthafens und des futuristischen Pacific Places; mit Galerien, Boutiquen, Clubs und Restaurants die einen Abschnitt prägen, den die City Hall eigentlich zu Vancouver-Süd stempelt. Die alten Backsteinhallen wurden einer Renaissance unterzogen und zu eleganten Geschäftsfronten, Künstler- und Filmstudios umfunktioniert. Das Gelände dieses 83 Hektar großen Stadtteils hatte vor Jahren der Hongkong-Milliardär Lika-Shing erworben, entwickelte und passte es der „Perle am Pacific“ an. Diese Bebauung, so ist zu lesen, „folgte der größten Generalstabsplanung für eine Downtown-Community in Nordamerika“. Dabei verschwand das stillgelegte Eisenbahn- und Industriegebiet ebenso, wie sich der False Creek veränderte. Sein „Dom“, ein Pavillon bei der Weltausstellung, beherbergt inzwischen unter der silbernen Kugel die „Science World”, und dort, wo die Davie Street auf den False Creek trifft, sind auch die gigantischen Lastkräne verschwunden, die die schwere Maschinerie für die Holzcamps im Norden zu verladen hatten.
In dieser Stadt könnte man schon noch ein paar Tage verweilen, doch unsere Reise geht morgen weiter und das Shanghai Chinese Bistro in der Alberni Street, wo der Koch die handgemachten Nudelstränge persönlich durch die Luft wirbelt, und aus seiner Kunst eine regelrechte Show macht, ist unsere letzte Einkehr.
Vancouver, die Schöne am Pazifik.
Der Inner Harbour Victoria mit seinem prominenten Hotel
Victoria und Vancouver Island
Heute Morgen verabschieden wir uns von Vancouver und fahren mit der Pacific Coach-Line nach Victoria, für je 30 Dollar inklusive der Fährkosten von Tsawwassen nach Swartz Bay. Dieser Fähranleger liegt nur zehn Autominuten nördlich von Sidney, das den Charme eines Strandortes und Fährverbindungen zu fünf der Southern Gulf-Inseln bietet. Doch bevor wir die 90 Minuten Überfahrt durch die Strait of Georgia an der Reling genießen können, klappert unser Bus die Hotels ab, um auch den letzten Fahrgast abzuholen. Dreißig Minuten später hat er von der Pacific Zentral Station aus den Fährhafen über die „99“ erreicht und lässt sich hinüber nach Vancouver Island tragen, um dort die Fahrt nach Victoria fortzusetzen.
Geologisch gesehen ist die Insel kein Festlandbruchstück, sondern hatte ihren Geburtsplatz im Südpazifik. Nach einer Formierungsperiode von rund 250 Millionen Jahren erschien sie vor 100 Millionen Jahren an ihrem heutigen Platz, wo vulkanische Aktivitäten ihre Form prägten. An den Kontinent angedockt hat sie wahrscheinlich in Oregon oder Kalifornien, von wo aus sie später nordwärts zog. Heute ist ihre geschützte Küstenlinie für mildes Klima, schöne Strände, gepflegte Golfplätze und charaktervolle Ortschaften bekannt. Die viel Kunst und zurückgelehnten Lebensstil bietenden idyllischen Southern Gulf Inseln eingeschlossen. Dennoch hat die Insel auch zwei Gesichter: Der Süden, mit British Columbias Hauptstadt Victoria, Butchard Gardens, der umbrandeten Südwestküste mit Waltouren und malerischen Fischerdörfern ist wesentlich sanfter als der nördlichere Teil. Dort bestimmen die zerklüftete, einsame Westküste, urige Wildnisorte, Regenwälder mit riesigen Douglasien, Bergen, Seen und Fjorden den Takt, werben für Sport und Erholung und sind auch Heimat vieler wildlebender Tiere. Elche, Bären, Cougars, Seelöwen, Wale und Hunderte von Vogelarten gehören dazu wie Adler, Kojoten, Waschbären, Falken, Reiher, Bieber und Millionen von Lachsen, die durch die Seestraßen ziehen. Orcas tummeln sich in den nördlichen und südlichen Küstengewässern, und Grauwale bevorzugen die Inselgruppen der Pacific Rim Region der Westküste.
Naturverbundene werden deswegen die Nordinsel vorziehen, und Taucher besonders die Gegend zwischen Campbell River und Port Hardy. Wer jedoch abseits und in entlegenen Gegenden unterwegs ist, muss bei allem Überschwang für diese Natur aber wissen,