Die Hauptstadt der Provinz British Columbia ist von schöner Natur eingerahmt und umgeben von den Wassern der Juan de Fuca Strait, die an der Südostspitze auf die Strait of George treffen. Und sie schaut mit ihrer viktorianischen Altstadt-Architektur, roten Doppeldeckerbussen, Golfplätzen, Stränden und Buchten auf die schneebedeckte Olympic Mountain Range im benachbarten Washington. Ihr Name Victoria erinnert an eine längst vergessene Zeit, in der Pferdekutschen um den Inner Harbour ratterten, Straßenmusikanten als solche ihren Lebensunterhalt verdienten, der Afternoon-Tea im Grand Express Hotel als wichtige Tradition galt und Rosen in schönen Gärten zum Stadtbild gehörten wie vornehme Geschäfte. Wirklich verschwunden ist das alles nicht. Der Tee wird weiterhin serviert, und am Inner Harbour, dessen Bild vom ehrwürdigen Hotel, Wasserflugzeugen, Segel- und Ausflugsbooten, Blumenschmuck, Händlern und Kunstschaffenden geprägt wird, erklingt noch immer Straßenmusik. Auch die Pferdedroschken zockeln noch durch die Straßen, denn die Touristen lieben sie.
Irgendwie reflektiert diese Stadt die Sensibilität des viktorianischen Englands und verbindet sie gleichzeitig mit den angenehmen und wichtigen Dingen der modernen Welt. Perfekte Harmonie zwischen Alt und Neu, mildes Klima, 2.000 jährliche Sonnenstunden, eine wohltuende Pazifikbrise im Sommer, schneearme Winter, zahlreiche Parks und viele Freizeitmöglichkeiten sind zusätzliche Trümpfe. Diese „City of Gardens“ im Süden von Victoria Island empfinden wir jedenfalls als bezaubernd sympathisch. Und es war auch noch zehn Jahre später unser Eindruck, als wir die Insel zwischen der Strait of George und dem Pazifik mit dem Wohnmobil bereisten und vor der Fährüberfahrt ins amerikanischen Port Angeles in Victoria erneut Station machten. Es ist eine Großstadt mit Kleinstadtflair, aus deren 80.000 Einwohnern 330.000 werden, spricht man vom Großraumbereich. Und die drei Häfen Sidney, Swartz Bay und Inner Harbour, an den sich die fußgängerfreundliche Innenstadt anlehnt und dessen Laternenpfähle seit Jahrzehnten wunderschöne Blumenkörbe tragen, gehören auch dazu.
Und was schaut man sich an? Der hufeisenförmige Inner Harbour Walk, der sich als blumengeschmückte Promenade um diesen Hafen zieht, Sehenswürdigkeiten mit einander verbindet als auch in schmale Gassen, Straßenkaffes, Boutiquen oder Antiquitätsläden einlädt, ist ein Muss. Das den Hafen übersehende altehrwürdige Empress Hotel – ähnlich traditionell wie das berühmte „Raffles“ in Singapur – und Victorias Parlamentsgebäude verlangen nur wenige Schritte mehr. Pacific Undersea Gardens, Royal London Wax- und Maritime Museum, das im alten Gerichtsgebäude am Bastion Square untergebracht ist und auf dem Boden des ehemaligen Fort Victorias steht, Villen und historische Häuser in der Robson- und Government Street – auch eine Topadresse unter den Einkaufsvierteln – könnten weitere Ziele sein. Die China Town der Stadt verträgt ein ähnliches Etikett wie die zu Vancouver: Man kann sie sich auch „schenken“.
Und wie so oft in Nordamerika begann auch dieser Charme mit den Aktivitäten der Hudson’s Bay Company. 1843, als an heutige Touristenströme und die Stadt noch nicht zu denken war, legte James Douglas dafür den Grundstein: Er etablierte am heutigen Bastion Square an der Südspitze der Insel den Pelzhandelsposten „Fort Victoria“. In der Nachbarschaft von Beacon Hill lässt sich heute im Royal British Columbia Museum in jene Zeit eintauchen. In die der Pioniere, Nordwestküsten-Indianer und die wechselvolle Natur- und Menschheitsgeschichte dieser Provinz, die dort von der Eiszeit bis in unsere heutigen Tage einen Bogen schlägt. Außerhalb, im knapp bemessenem Thunderbird Park, ziehen kunstvolle Totempfähle die Aufmerksamkeit auf sich, während die Spazierwege im Beacon Hill Park mit Blumen, Teichen und Steinbrücken zum Nachdenken über Gesehenes anregen und unterschiedliche Ziele ansteuern. So auch die Markierung der Meile Zero, dem westlichen Ende des Trans Canada Highways, der sich über rund 8.000 Kilometer bis nach Neufundland erstreckt. Dieser „Endpunkt“ bedarf allerdings einer kleinen Ergänzung, denn so ganz richtig ist das heute nicht mehr, weil inzwischen auch die ersten, etwa 100 Kilometer der nach Norden ziehenden „19“ ebenfalls als „1“ firmieren. Zusätzlich hatte sich schon 2010 zwischen Nanaimo und Campbell River – und einige Kilometer westlich der alten „19“ – ein autobahnähnlicher Highway etabliert, der nun als Nr. 19 fungiert, während die alte Straße mit dem Zusatz „A“ weiterhin ihren Weg an der Küste durch die Ortschaften sucht. Falls der Ausbau irgendwann auch Port Hardy erreicht, dann könnte auch das westliche Ende des TCH durchaus an die Nordspitze der Insel wandern. Ob das aber den Touristik-Managern von Victoria gefallen würde, ist doch sehr fraglich.
Den „Marine Drive“ sollte man sich ebenfalls gönnen: Vom Beacon Hill Park verbindet die Dallas Road zum Beach Drive, und dieser in die mit Golfplätzen bestückten Villenviertel von Oak Bay und weiter in die exklusive Wohngegend von Ublands. Während hier viele gutsituierte Pensionäre ihren Lebensabend verbringen und die schönen Fernblicke auf Meer und Land genießen, gilt Oak Bay mit seinen Kunstgalerien, Pubs, Cafes, Geschäften, Restaurants und dem Willows Beach als Victorias Seaside Village. Auf dem Weg zurück empfiehlt sich noch das Craigdarroch Castle, das bei unserem Besuch aber leider schon verschlossen war. Das prunkvolle Gebäude von 1890 gilt als schönstes Viktorianisches Haus der Stadt, verfügt über 39 exquisite Zimmer, wertvolle Buntglasfenster und gehört dem Eisenbahnfürsten Robert Dunsmuir.
Butchart Gardens, 21 Kilometer nördlich der Stadt, lockt Spaziergänger in einen ehemaligen Kalksteinbruch, der heute als sehr schön angelegter Botanischer Garden auf 20 Hektar mit bunter Farbenpracht brilliert, Europäer aber an Ähnliches in ihrer Heimat erinnert. Interessanter erscheint daher ein Ausflug in den Goldstream Provincial Park, der lediglich 17 Kilometer von Victoria entfernt ist und über den Malahat Drive führt. Dieser sehr schöne Abschnitt des Highway 1 zieht, ehe er sich nach Norden ausrichtet um am anderen Ende Port Hardy anzusteuern, zunächst nach Nordwesten und bietet, hoch über dem Meer, herrliche Aussichten. Der Park liegt mitten im Regenwald mit mächtigen schwarzen Pappeln und roten Zedern. Seine Wanderwege führen zu zwei Wasserfällen und, in drei Stunden, auch hinauf zum Mount Finlayson, wo der Blick bis zu den Olympic Mountains im amerikanischen Washington und auf die San Juan de Fuca Strait reicht, die um den Südzipfel der Insel herum die Strait of Georgia mit dem Pazifik verbindet und in deren Mitte die Grenze zwischen Kanada und den USA verläuft. Im Oktober treffen hier die Lachse zum Laichen ein, und von Dezember bis März trifft man hier auch auf die höchste Konzentration der Weißkopfseeadler Kanadas. Hatley Castle, Fisgard Lighthouse (1860) und das restaurierte Fort Rodd Hill (1878 – 1956) auf der Südwestseite Victorias wären weitere Ziele wie auch Port Renfrew am Ende der „14“ (92 Kilometer), wo die 77 Kilometer des Wildnis-Wanderweges „West Coast Trail“ beginnen. Die Tour nach Bamfield am Barkley Sound beansprucht allerdings eine Woche und setzt neben bester Kondition auch gründliche Vorbereitung voraus.
Und mein ganz persönliches Fazit? Victoria ist eine angenehme, saubere und sichere Stadt mit viel Flair, deren Highlights der Rundreisetourist auch an einem Tag besuchen kann, wenn er dessen 12 Stunden gezielt nutzt und keine Ausflüge plant. Indianische Schnitzkunst entsprach im Preis der Lage und ihrer Vollendung, und in den kleinen Straßenrestaurants und Cafés haben wir unsere Rundgänge 2000 und zehn Jahre später gern unterbrochen. Ganz anders jedoch in einem vom Reiseführer angepriesenem noblen Fischrestaurant: Der Lachs mit Spargel und Reis war nicht nur unangemessen teuer, sondern auch nach der Reklamation als Austauschportion erneut kalt, geschmacklos und das edle Gemüse wie Gummi. Die Frage nach dem Koch erübrigte sich, und relevant war nur noch der Ausgang.
Am nächsten Morgen bringt uns der Wecker zeitig auf die Beine, denn der Bus der Greyhound-Linie, der uns gegen 16 Uhr in Port Hardy an der Nordspitze der Insel abliefern soll, verlässt Victoria bereits um 5 Uhr 40. Dieses komfortable Gefährt, in dem unsere gebuchten Fensterplätze auch reserviert sind, bringt uns aber nur bis Campbell River, denn dort zweigt er zur Westküste nach Goldriver ab und wir müssen umsteigen. Aber was für diesen Bus gebucht war, gilt auch im Nachfolger, denn die 84,10 $ Fahrpreis pro Person gelten für die gesamten 520 Kilometer. Also zurücklegen in die bequemen Sessel und die Fahrt an diesem klaren Morgen genießen und in meinem „Reisebuch“, das aufgeschlagen auf meinen Knien liegt, verfolgen. Ursprünglich wollten wir hier und jetzt mit dem Auto unterwegs sein und zunächst die Insel nach unserer eigenen Route erkunden, doch stand die Einwegmiete dafür in keiner Relation. Entlang der Küstenstraße könnte sich aber das eine oder andere zu erkennen geben, dass ich in meiner Ausarbeitung übersah, oder als unwichtig