Thor. Martin Arnold. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Arnold
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Религия: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783944180168
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für die Nacht gewährt.

      Am Morgen macht sich Hymir zum Fischen bereit. Abgesehen davon, dass er grundsätzlich an der Tapferkeit und Stärke seines Gastes zweifelt, äußert er Bedenken, als Thor darauf beharrt, ihn begleiten zu dürfen. Nachdem der Riese Thor gesagt hat, dass er sich einen eigenen Köder besorgen solle, reißt Thor einem der Ochsen des Riesen den Kopf ab und sie stechen mit einem Ruderboot in See. Thor reicht es jedoch nicht, in Hymirs gewohnten Fischgründen zu angeln, und, obwohl er vor der Gefährlichkeit der Midgardschlange draußen im offenen Meer gewarnt wurde, drängt er den zunehmend besorgten Hymir, immer weiter hinauszufahren. An einem weit vom Ufer entfernten Punkt wirft Thor seine Angelschnur mit dem Ochsenkopf aus, ,denn es kann gesagt werden, dass Thor die Midgardschlange nicht weniger genarrt hat, als Utgardloki Thor zum Gespött gemacht hat, als er die Schlange mit seiner Hand hob.’33 Die sich am Haken windende Schlange bringt Thor in arge Bedrängnis, doch unter Aufbietung aller Kräfte drückt er seine Füße durch den zerberstenden Boden des Bootes und stellt sich auf den Meeresboden, so dass es ihm gelingt, die Schlange bis auf Augenhöhe anzuheben. Als die diese ihr Gift verspritzt, will Thor nach Mjöllnir greifen, doch der verschreckte Hymir ergreift in fürchterlicher Panik sein Messer und durchschneidet Thors Angelschnur. Dieser wirft Mjöllnir nach der Schlange, doch – wie es Gylfi erzählt wurde – bleibt die Frage, ob es ihm gelungen ist, sie zu töten, offen. Für seine Feigheit wirft Thor Hymir über Bord und kehr anschließend ans Ufer zurück.

      Von allen Mythen, die in literarischen Quellen aufgezeichnet sind, ist keiner weiter verbreitet als diese. Snorris Hauptquelle war mit ziemlicher Gewissheit das Eddalied ‚Hymskviða’ (Hymirlied), das aller Wahrscheinlichkeit nach während des elften oder zwölften Jahrhunderts entstanden ist. In diesem Lied steht Thors Fischzug damit im Zusammenhang, dass die Götter einen großen Kessel benötigen, um ausreichend Bier für den Winter brauen zu können oder vielmehr den Riesen Ägir dazu zu drängen. Der Gott Tyr kennt solch einen Kessel; sein Vater – der sich als Hymir herausstellt – besitzt ihn. Thor und Tyr brechen in Thors Wagen auf und begegnen zunächst Egil, Hymirs Ziegenhirten, der sich um Thors Böcke kümmert und sie zu Hymirs Halle bringt. Hier treffen sie auf Tyrs Großmutter, die mit ihren 900 Häuptern sehr schrecklich aussieht, sowie auf seine mit Gold geschmückte Mutter. Den Göttern wird bedeutet, sich hinter einer Säule zu verstecken. Als der übel gelaunte Hymir heimkommt, erzählen ihm die Frauen von der Anwesenheit der Besucher, worauf Hymir die Säule durch seinen Blick zerspringen lässt. Er heißt seinen Sohn nicht willkommen und ist sichtlich verärgert, als er Thors gewahr wird, doch scheint er sich verpflichtet zu fühlen, den Besuchern für die Nacht seine Gastfreundschaft zu gewähren. Während des Abendessens verschlingt Thor zu Hymirs Erstaunen zwei ganze Ochsen.

      Am nächsten Tag gehen Thor und Hymir fischen, und der Riese fängt zwei Wale gleichzeitig, während Thor seine Angelrute mit dem Ochsenkopf als Köder präpariert. Doch anders als in Snorris Darstellung, bekommt Thor nicht nur die Midgardschlange an den Haken; es gelingt ihm auch, Mjöllnir in ihren Kopf zu schmettern. Abgesehen vom kosmischen Nachhall bleibt aber unklar, ob er sie getötet hat. Bei der Rückkehr an Land trägt Thor Hymirs Boot und einen der Wale in den Saal. Hymir versucht, Thor zu provozieren, indem er seine Kraft in Frage stellt und ihn herausfordert, einen kostbaren kristallenen Becher zu zerbrechen. Dies gelingt Thor, als Tyrs Mutter ihm rät, den Becher an den Kopf ihres Gatten zu werfen. Nun bietet Hymir an, ihnen den Kessel unter der Voraussetzung zu geben, dass einer von beiden ihn heben könne – was Thor auch gelingt. Auf ihrem Heimweg mit dem Kessel werden sie von Hymir und einem Trupp Riesen verfolgt, die Thor alle tötet. Danach fängt einer von Thors Ziegenböcken an zu lahmen, was anscheinend Lokis Werk ist. Das Gedicht endet mit der Freude darüber, dass die Götter nun jeden Winter reichlich Bier zu trinken haben.

      Die ‚Hymskviða’ ist in vielen Punkten schwierig zu verstehen, und es ist anzunehmen, dass dieses Gedicht Elemente anderer, wohl früherer Versionen beinhaltet, in denen Thors Begleiter nicht Tyr war, sondern entweder Loki, dessen Vater definitiv ein Riese gewesen ist (während es keine andere Quelle gibt, die besagt, dass Tyrs Vater riesischer Herkunft gewesen sei), oder Thors Diener Thjálfi – dessen Vater möglicherweise der Ziegenhirte Egil ist, dem die Götter bei ihrer Ankunft in der Nähe von Hymirs Halle begegnen. Interessanterweise wird auf Egil als Vater Thjálfis noch einmal am Ende des Gedichtes angespielt, wo die Rede ist von ‚dem, der auf Lava wohnt’ und ‚mit seinen beiden Kindern dafür bezahlt hat’34 – eine merkwürdige Übereinstimmung mit Thors Adoption von Thjálfi und Röskwa in Snorris Erzählung von Thor und Utgardloki und natürlich mit der Darstellung des lahmen Ziegenbocks, die sowohl im Eddalied als auch in der Snorra-Edda zu finden ist. Doch trotz dieser rätselhaften Querverbindungen gibt es gewisse begriffliche Unterschiede zwischen der ‚Hymskviða’ und Snorris Version, was die Stellung der Götter, sowie die Einstellung ihnen gegenüber, betrifft. Einige Interpreten schreiben dies dem unterschiedlichen Einfluss durch christliches Gedankengut zur jeweiligen Entstehungszeit der beiden Fassungen zu.35

      Gleichwohl sind die Popularität und die zentrale Stellung der Mythen von der heidnischen bis in die christliche Zeit an ihren Darstellungen auf Bildsteinen zu erkennen. Die ältesten sind Szenen auf einem Stein aus dem achten Jahrhundert, der in Ardre auf Gotland entdeckt wurde, und Thor eingerahmt mit einem Ochsen und in einem weiteren Rahmen Thor mit einer Gestalt in einem Boot zeigt. Etwa 300 Jahre jünger ist der Altuna-Stein in Schweden, welcher, wie der stark ausgewaschene und daher nicht genau datierbare Hørdum-Stein in Dänemark, Thor zeigt, dessen Füße durch den Boden des Bootes ragen, genau wie von Snorri erzählt. Von besonderem Interesse ist indes eine Steingravur, die außerhalb Skandinaviens entdeckt wurde und den angelnden Thor mit einem Ochsenkopf als Köder darstellt. Es handelt sich um den sogenannten Angelstein, der heute in der St. Mary’s Kirche in Gosforth steht, in der alten Wikingersiedlung im englischen Lake District. Nebenbei bemerkt: während das bemerkenswert detailliert ausgeführte Gosforth-Kreuz deutlich eine christliche Verfeinerung heidnischer Symbolik anzeigt, ist der Angelstein ein klares Zeichen für das Überdauern heidnischer Ideen im christlichen Zeitalter.

      Lassen wir Snorris ziemlich gewundene Bemühungen in der ‚Skáldskaparmál’, diesen Mythos als eine Verfälschung der Schlacht zwischen Hektor und Achilles während des Trojanischen Krieges zu erklären, einmal beiseite, bekommen wir wenig später, im Hinblick auf die den Mythos von Thors Fischzug umgebenden Einzelheiten, durch zahlreiche Stellen in der Skaldendichtung Klarheit, die allesamt vorchristlich sind. Snorris früheste und ausführlichste Anführungen behandeln den Kern der Erzählung vom Fischzug und stammen aus Bragi Boddasons Gedicht ‚Ragnarsdrápa’ (Ragnar Lodbroks Totenlied) aus dem neunten Jahrhundert. In diesem beschreibt Bragi die Verzierungen auf einem Schild, den er von einem Ragnar als Geschenk bekam – es heißt, dass es sich um den legendären Kriegsherrn Ragnar Lodbrok gehandelt habe – in Gedichtform. Diesem sind die Zitate von Ulf Uggason in seinem Gedicht ‚Húsdrápa’ (Hausfeier) an die Seite zu stellen, das im Jahre 983 u. Ztr. entstand. Dieses Gedicht wurde bei einem Bankett des wohlhabenden Isländers Olaf dem Pfau vorgetragen, einem Ereignis, das in der Laxdæla saga (Die Saga von den Bewohnern von Laxardal) beschrieben wird, die aus dem letzten Teil des dreizehnten Jahrhunderts stammt und reichlich mit historisch glaubhaften Einzelheiten ausgeschmückt ist. Das Gedicht malt Olafs prächtigem Festsaal in eindrucksvollen Worten aus, der aufwändig mit Holzschnitzereien mythischer Szenen dekoriert war – darunter auch Thors Kampf mit der Midgardschlange. Weitere verstreute Referenzen finden wir in den Versen von Olvir Hnufa aus dem neunten, sowie bei Eystein Valdason und Gamli Gnævadarskald, beide aus dem zehnten Jahrhundert. Nur in Ulfs ‚Húsdrápa’ wird angedeutet, dass Thor das Ungeheuer tötet, jedoch sind die Verse dermaßen komplex, dass es Zweifel darüber gibt, ob dies auch tatsächlich so gemeint ist. In klarem Widerspruch zu der Behauptung, Thor habe die Midgardschlange getötet, steht jener Mythos, der von ihrer gegenseitigen Auslöschung in der Ragnarök erzählt.

       Ragnarök entgegen

      Im abschließenden Prosateil der ‚Lokasenna’ heißt