»Für ungefähr zwei Wochen verloren wir den Kontakt zueinander. Zuerst war ich im Krankenhaus und dann … naja, dann musste ich mit der ganzen Sache fertigwerden. Sie wusste nicht, dass Carlos zu meiner Mannschaft überstellt worden war. Sie flog zurück nach Brighton, um herauszufinden, was mit mir passiert war und um mir von der Sache mit Carlos zu berichten, falls ich davon noch nichts gehört haben sollte. Ich war in ihrer Wohnung, um meine Sachen zu holen, als sie ankam. Da haben wir zusammen gewohnt, nachdem wir geheiratet hatten … um die Presse fernzuhalten.«
»Und du hast sie weggeschickt?«
»Ich habe ihr gesagt, dass die Heirat ein Fehler war. Das klang vernünftig, weil es ja tatsächlich gesetzeswidrig war, dass ich eine Ausländerin geheiratet hatte. Ich hatte das Gesetz auf meiner Seite.«
»Also hast du sie gar nicht aufrichtig geliebt, als du sie geheiratet hast?«
Stephen warf seinem Bruder einen Blick zu. »Ich habe sie sehr geliebt.«
Ihre Telefonate, die E-Mails, das waren seine Rettungsleine gewesen. Ihre Care-Pakete mit Keksen und Kuchen, kleinen Zeichnungen und Gedichten hatten sein Herz ebenso in Brand gesetzt wie ihre Küsse. Sie war keine besonders tolle Bäckerin – er und die Jungs hatten ihre Kekse mit großen Schlucken Wasser hinunterspülen müssen–, aber Stephen hatte es geliebt, dass sie es versuchte.
Die Zeit in Torcham war schnell vergangen. Die Einheit war an ein paar intensiven Kampfeshandlungen beteiligt gewesen. Tag für Tag hatte Corinas Liebe ihn auf den Beinen gehalten. Aber die Zeit von Juli bis Januar war dem durstigen Mann, der es in der Wüste aushalten musste, trotzdem wie eine Ewigkeit erschienen.
Und dann hatte, vier Wochen vor Ende des Einsatzes, ein Feind, mit dem niemand gerechnet hatte, das Offizierskasino in die Luft gejagt und sechs Männer aus Stephens Staffel getötet. Einschließlich des Bruders seiner Frau.
Stephen überlebte und hatte eine Woche in einem Feldlazarett verbracht, bevor eine Spezialeinheit ihn an Silvester nach Hause zurückgebracht hatte. Alles undercover.
»Du musst sie am Boden zerstört haben.«
»Am Boden zerstört. Das ist eine harte Formulierung.« In letzter Zeit hatte er nachts manchmal von ihren Tränen geträumt. Ein Grund mehr, möglichst bald zum Rugby zurückzukehren. Um mit seiner körperlichen Kraft über seine emotionale Schwäche zu herrschen.
»Sicher ist es das.« Nathaniel seufzte enttäuscht. »Trotzdem passt es. Hat sie dich gefragt, was passiert ist? Wo du warst? Warum du keinen Kontakt mehr mit ihr hattest? Hast du ihr erzählt, dass du von Carlos wusstest? Dass er bei dir war?«
»Ich konnte ihr ja nicht sagen, warum Carlos bei mir war, oder? Das sind vertrauliche Informationen. Deshalb habe ich alle Details vermieden. So eine posttraumatische Belastungsstörung ist eine ganz gute Entschuldigung bei solchen Sachen.« Selbst jetzt noch war die Wahrheit so tief begraben, dass es ihn schmerzte, auch nur an sie zu denken. »Also, ich habe ihr erzählt, dass es eine Explosion gab. Weiter nichts. Der ganze andere Kram ist sowieso vertraulich. Ich sagte, mir sei bewusst geworden, dass ich eine Verantwortung der Krone und dem Hause Stratton gegenüber habe. Wenn es herauskäme, dass ich eine Amerikanerin geheiratet habe, würde es Chaos geben. Ich würde aus der Thronfolge ausscheiden müssen, und das konnte ich Dad nun wirklich nicht antun. Oder dir. Gott hab ihn selig.«
König Leopold V., ihr Vater, war vor zwei Jahren an Leukämie verstorben. Und Stephen vermisste ihn heute mehr denn je.
»Du bist wie der Elefant im Porzellanladen.«
»Nathaniel, ich brauche dein Urteil nicht. Ich bin heute noch überzeugt davon, dass es richtig war, was ich getan habe. Von den ganzen rechtlichen Umständen einmal abgesehen, die sich erst änderten, als du Susanna heiraten wolltest, musste ich alles von Afghanistan vergessen und einfach weiterleben. Und dazu gehörte Corina. Wie hätte ich sie ansehen und mich nicht erinnern sollen?«
»Ich kann nicht glauben, dass sie einfach so nachgegeben hat.«
»Sie hat auch nicht nachgegeben. Bis ich ihr sagte, dass ich auf den Thron verzichten müsste. Da hat sie sich dann langsam damit abgefunden, dass es vorbei war.«
»Aber dass du bei Carlos warst, als er starb, hast du ihr nie gesagt?«
»Nein.« Der Schmerz auf ihrem Gesicht, als er ihr sagte, dass er aus ihrer Ehe herauswollte, hatte ihn beinahe umgebracht. Dieser Anblick war für alle Zeiten in sein Herz eingebrannt. Er weigerte sich, dem noch ein Bild davon hinzuzufügen, wie sie darüber weinte, dass Carlos unnötig gestorben war. Dass er seinetwegen gestorben war.
Daher löschte Stephen die Erinnerung an den Tag, an dem er ihre Ehe beendet hatte, aus. Doch das Gespräch mit Nathaniel zerrte ihn durch die Tiefen und die dunkelsten Winkel seines Verstandes und brachte Bruchstücke und Splitter dieses schrecklichen Tages an die Oberfläche.
Sie hatte so bitterlich geweint, gefleht. Ihn an ihrer beider Liebe erinnert. Wie sehr sie ihn nach Carlos Tod brauchte. Stephen hatte beinahe nachgegeben und sie in die Arme geschlossen, um ihr zu sagen, dass alles gut werden würde.
Doch dann hatte er die Explosion wieder gehört, die gellenden Schreie. Hatte das Blut an seinen Händen gesehen. Und so hatte er es nur gerade so geschafft, nicht auf der Stelle aus ihrer Gegenwart zu fliehen.
Stephen presste sich die Finger an die Stirn und schloss energisch die Tür zu diesen Erinnerungen.
»Sag mir noch eins – wie kann es sein, dass Erzbischof Caldwell bei der Hochzeit so einfach mitgemacht hat?«, sagte Nathaniel.
»Zuerst protestierte er, aber dann machte ihm seine Frau eine schöne Tasse Tee, und hinterher schien er ganz umgänglich. Ich nehme an, er glaubte uns, dass wir uns liebten und wussten, was wir taten.« Stephen fasste Nathaniel an den Arm. »Ich habe sie geliebt. Wirklich. Aber Torcham hat alles verändert.«
»Dir ist schon klar, dass du das in Ordnung bringen musst?!« Nathaniel schob ihm den Umschlag zu.
»Es gibt da nichts in Ordnung zu bringen. Sie glaubt, dass es vorbei ist. Und es ist vorbei. Wirf das Ding in den Müll.«
Nathaniel griff in die Hosentasche und brachte ein zusammengefaltetes Stück Papier zum Vorschein. »Ich habe dir doch bereits gesagt, dass wir das nicht tun können. Erzbischof Burkhardt hat der Urkunde diese Notiz beigelegt. Soll ich sie vorlesen?«
»Ich bitte höflichst darum.« Sarkasmus. Er war am Ende seiner Geduld angekommen.
»Er schreibt: ›Ich bin unsicher, was die Bedeutung dieser Urkunde anbetrifft. Prinz Stephen hat meines Wissens nach derzeit keine Ehefrau. Aber egal, was aus dieser Beziehung geworden ist, bete ich doch darum, dass er sie vor Gott und Menschen ehrenvoll behandeln wird. Während ich annehme, dass er sie im Geheimen geheiratet hat, so kann er sie doch nicht auf die gleiche Weise ablegen. Bei der Kirche muss eine ordentliche Aufhebung der Ehe verzeichnet werden.‹«
»Ich habe sie nicht im Geheimen abgelegt. Sie weiß Bescheid. Ich habe persönlich mit ihr gesprochen.«
»Du wirst ein Aufhebungsverfahren anstrengen müssen. Lass uns beten, dass sie in der Zwischenzeit nicht jemand anderes geheiratet hat. In letzter Zeit war nicht viel über sie oder ihre Familie in den Medien, und ich nehme an, es wäre eine Angelegenheit von großem öffentlichen Interesse, wenn Corina Del Rey heiratet.«
»W-was?«, entfuhr es Stephen. Sie konnte nicht wieder geheiratet haben. Würde sie das tun? Wie ein Peitschenhieb traf der Gedanke sein eifersüchtiges Herz.
»Sie ist eine schöne, intelligente Frau. Dir muss doch wohl in den Sinn gekommen sein, dass auch ein anderer Mann sie haben wollen könnte. Dass sie weiterleben, eine Familie gründen möchte.« Nathaniel sah auf seine Armbanduhr. »Tut mir leid, dass ich das hier jetzt unterbrechen muss, aber ich muss zu einem Meeting. Ruf Jonathan morgen früh an. Er wird dir helfen, sie ausfindig zu machen. Dann kannst du mit der Royal Air One hinfliegen und dich mit ihr treffen.«
»Wie bitte? Nathaniel,