6. Du sollst Deinem Kind Dinge zutrauen. Lass es auf Bäume klettern. Lass es in Matschpfützen spielen. Zeig ihm, wie man mit Gefahren umgeht. Sonst bist Du eine Helikoptermutter, die unter Kontrollzwängen leidet.
Bereite Dich aber innerlich schon einmal darauf vor, Fragen zu blauen Flecken, Prellungen, Schürfungen, Schnittwunden, Rotznasen und laufend verschmutzter Kleidung zu beantworten. Gefährdest Du Dein Kind über die Maßen? Setzt Du es ständig Naturgewalten (Herbstwinden, Schnee, Aprilwetter, Sommerregen) aus, denen sich kein erwachsener Mensch stellen würde? Trinkst Du etwa Kaffee und sprichst mit Erwachsenen, während Dein Kind kopfüber an der Turnstange hängt und den Salto mortale übt?
Liegt da etwa keine Gummimatte unter dem Klettergerüst, ist da kein Sicherheitsnetz um das Trampolin gespannt? Ist das Messer scharf? Brennt auf dem Adventskranz eine echte Kerze?! Warum hast Du überhaupt ein Kind, wenn Du sein Leben ständig so skrupellos aufs Spiel setzt?! Vielleicht hast Du ja den Satz am Anfang falsch gelesen. Sprich bitte laut nach: „Zeig Deinem Kind, wie man Gefahren umgeht.“ Ja, so ist es richtig.
7. Du sollst konsequent sein. Keiner mag lasche, liberale Eltern, deren unflätige Rotzlöffel ohne Manieren und mit viel zu viel Selbstbewusstsein ihre Umgebung schikanieren. Wichtig ist dabei: Keiner mag die Eltern. Keiner mag die Kinder. „Mögen“ ist das Schlüsselwort. Ob es den Kindern oder den Eltern gutgeht oder nicht, ist zweitrangig. Wichtig ist lediglich der Beliebtheitsgrad.
Brülle Dein Kind deswegen nicht (und auf gar keinen Fall in der Öffentlichkeit) an. Drohe ihm nicht. Bleibe freundlich, aber streng. Lächle. Möchte Dein Kind beispielsweise bei -10 °C lieber ohne Mütze, Schal und Jacke herumlaufen, so ist es keine Option, es, sagen wir mal, vor der Ausgangstür eines Kaufhauses in die Kleidungsstücke zu zwingen. Es ist allerdings auch keine Option, das Kind einfach gehen zu lassen. In beiden Fällen ist mit Unmutsbezeugungen des Publikums zu rechnen.
Weil Du den Anfall ignoriert hast. Denn dadurch lernt Dein Kind, dass Du es nur lieb hast, wenn es nett ist.
Weil Du auf den Anfall reagiert hast. Denn dadurch lernt Dein Kind, dass es Aufmerksamkeit bekommt, wenn es sich danebenbenimmt.
Weil Du Deine körperliche Überlegenheit eingesetzt und das Kind in die Kleider gezwungen hast – willst Du etwa den Willen Deines Kindes brechen?!
Weil Du Dein Kind verantwortungslos in die Kälte hinauslässt. Schäm Dich!
Besser, Ihr bleibt einfach von vorneherein zu Hause.
Dass Kinder Wutanfälle hinsichtlich elterlich ausgewählter Textilien (wahlweise austauschbar: Essen, Freizeitgestaltung oder Wetter) bekommen, und zwar vorzugsweise in der Öffentlichkeit und unabhängig von Konsequenz und Autorität der Eltern, ist ein Phänomen, das Menschen offenbar völlig fremd erscheint, sobald ihre eigenen Kinder die Volljährigkeit erreicht haben. Wenn Eltern darauf selbst mit Frustration, Lautwerden oder gar – jetzt kommt‘s – Wut! reagieren, so sind das stets bedauerliche Einzelfälle, die nie hätten passieren dürfen. Wären die Kinder konsequenter und mit strengerer (aber liebevoller!) Hand erzogen, würden sich solche Szenen nie ereignen. Niemals.
8. Du sollst eine entspannte Mutter sein, die selbstverständlich alles gut und richtig macht. Lächle. Du bist als Frau zur Welt gekommen, also liegt es auf der Hand, dass Deine mütterlichen Instinkte a) vorhanden und b) richtig sind. Außer natürlich, wenn das nicht der Fall ist. Dann nicht.
Das ist dann schade.
Dass Deine Instinkte nicht richtig sind, merkst Du daran, dass Du Dich zu wichtig nimmst (wie gesagt, Egoismus ist ganz schlecht). Oder Dich zu sehr aufopferst (wer sich nur über sein Kind definiert, belastet die kleine Seele!).
Wie auch immer, hör bloß nicht auf zu lächeln.
9. Sei gelassen. Lass Dir bloß nicht reinreden. Denke an Deine Instinkte (siehe oben). Glaube nicht jedem Guru. Tue, was Du für richtig hältst. Lächle über andere Mütter, die Ratgeberartikel lesen.
Für Expertenmeinungen interessieren sich nur Menschen, die sich im Kern ihres Wesens (also ihrer Identität als Mutter) unsicher sind. Du solltest Dir also unbedingt noch ein paar Expertenmeinungen anhören. Selbst, wenn sich alle anderen sicher sind bei dem, was sie tun: Das, was Du machst, könnte falsch sein. Bleibe kritikfähig. Informiere Dich und bleib auf dem neuesten Stand. Es gibt schließlich Pädagogen, die kennen sich aus. Gut, sie haben vielleicht selbst keine Kinder, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass sie die Profis sind (Du nicht).
10. Vergiss bis auf Weiteres das Wort „Komfortzone“. Forscher haben herausgefunden, dass man sich den meisten Stress sowieso selber macht. Der Stress erwächst sozusagen aus der übersteigerten Erwartung, man könnte auch sagen: Sehnsucht, nach der Wunschvorstellung eines gelungenen Tages, nach Ruhe, Ausgeglichenheit und solcherlei Kinkerlitzchen.
Einen oder mehrere kleine/n Menschen mit (wie es scheint) erschreckend wenig ausgeprägtem Selbsterhaltungstrieb am Leben, gefüttert, gewaschen und gekleidet zu halten ist ein Minimalziel, das es jeden Tag wieder zu erreichen gilt. Alles darüber hinaus? Pah. Wir sind nur im Stress, weil wir zu viel erwarten. Reduziere Deine To-do-Liste auf ein Minimum. Streiche als Erstes den Punkt „Pause“. Werde endlich erwachsen, höre auf zu jammern und bilde Dir nicht ein, es gehe hier um Dich. Du willst die Klotür hinter Dir abschließen? Wie egoistisch!
Erstelle stattdessen eine „Erledigt!“-Liste. Das baut auf, das motiviert. Zugegeben, an neun von zehn Tagen bist zwar vermutlich Du selbst die Einzige, die erledigt ist, aber was soll’s.
Rollbraten
Nicole Vogel
Mütter unter sich. Oje, oje, oje. Als ich das erste Mal zu diesem ominösen Malibu-Kurs fuhr, der eher nach einem Sommer-Sonne-Party-Treff klang als nach einer Krabbelgruppe, hatte ich Bauchschmerzen. Einerseits, weil ich das Autofahren mit einem Baby noch nicht gewohnt war und mich immer noch oft so fühlte wie bei meinen Fahrstunden damals. Ich klebte selbst im Januar vor Schweiß am Sitz fest, durch die Winterjacke hindurch. Nach über fünfzehn Jahren seit der Führerscheinprüfung dachte ich zum ersten Mal wieder intensiv über die Verkehrsregeln nach, nahm die Kurven nicht mehr so steil wie sonst und bremste nicht mehr quietschend ab. Da war ja immerhin ein schutzloses Lebewesen in meinem Auto, für das ich jetzt am Steuer ganz alleine verantwortlich war. Das machte mir alles einen scheiß Stress.
Hinzu kam noch, dass ich so absolut keine Lust auf diesen Mutti-Kurs hatte. Gelinde gesagt. Mein Körper schrie mir durch den Magen zu: „Hau ab! Sieh zu, dass du Land gewinnst! Nix wie weg!“ Mag ja sein, dass andere Mamas das spannend finden, ihre neue Lebenssituation mit anderen Müttern zu teilen, aber ich war noch nie ein Vereinstyp gewesen und hatte mit dem neuen, kleinen Menschen in unserem Leben schon genug an den Hacken – da musste ich mich nicht auch noch auf die Lebenswelten von anderen Muttertieren einlassen. Echt nicht.
Denn bevor Frau ein Kind hat, ist sie meistens nur Frau, Ehefrau, Freundin und Kollegin. An diese Rollen werden auch schon einige Erwartungen gestellt, aber keine Rolle ist so überbelastet mit Erwartungen wie die „Mutter“. Ist man das dann, prasseln nicht nur die Erwartungen der Gesellschaft und der Familie, sondern auch die eigenen an diese Mutterrolle auf einen ein – und die der anderen Mütter. Da rollen so viele Mythen und Stereotypen von Mamas durch die Gegend, dass man davon nur überrollt werden kann. Egal, was Mutter macht – irgendwer hat immer was zu meckern, weil eine gute Mutter das anders gemacht hätte. Manchmal hätte ich statt der vielen Mutterrollen lieber ein paar Speckrollen mehr. Und das will schon was heißen, weil ich davon bereits ein paar auf Lager habe.
Blöderweise gehörte zu meiner persönlichen Vorstellung einer „guten“ Mutter, dass ich wenigstens einmal mit der Lütten zu solch einem Babykurs gehe. Einfach mal, damit die Lütte auch andere Babys trifft. Wie ich dann da in diesem