Glauben - Wie geht das?. Matthias Beck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Matthias Beck
Издательство: Автор
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Жанр произведения: Религия: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783990401989
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festen inneren Anbindung an den Grund allen Seins und in einer festen Verankerung im Absoluten, in dem, den die Christen Gott nennen, der innerlich Halt und Stand bietet trotz aller Veränderungen.

      Gerade die Liebe soll versuchen, die Veränderungen mitzugehen und die selbstgemachten Bilder vom anderen langsam abzubauen. Sie soll sich bemühen, den anderen Menschen, der diese Veränderung durchmacht, aber auch den Unbekannten, mehr und mehr zu entdecken und zu „verstehen“. Auch sich selbst soll der Mensch durch all die Veränderungen hindurch besser verstehen lernen. Das Eigenartige ist: Wenn man zum Beispiel ein fröhlicher Mensch ist, dann wird man auf Dauer dieser fröhliche Mensch nur bleiben, wenn man sich innerlich immer wieder verändert und weiterentwickelt. Menschen sagen: Bleib, wie du bist. Daran ist etwas richtig: Man soll so fröhlich bleiben, wie man ist, aber das geht nur, wenn man sich innerlich verändert, weiterwächst und mit dem Lauf des Lebens mitgeht.

      Was für Menschen gilt, gilt auch in ganz anderer (analoger) Weise für den letzten Grund des Seins. Der Mensch soll sich kein Bild von Gott machen, da Gott sonst immer in die kleine Welt des Menschen gepresst wird. Ein solches Gottesbild kann Gott nicht Gott sein lassen, sondern macht eine Karikatur aus ihm. Aus falschen Gottesbildern kommen viele „Atheismen“. Viele Atheisten kämpfen gegen selbstgemachte, verzerrte und falsche Gottesbilder. Sie lehnen einen Gott ab, den es nicht gibt. Sie wenden sich von einem Gott ab, den sie sich selbst zusammengebaut haben. Dieser „Gott“ hat mit dem „wahren“ Gott nichts zu tun. Denn den Gott, den es gibt, gibt es nicht, so ähnlich hat es Dietrich Bonhoeffer formuliert. Dieser Gott, den es gibt, ist jener Gott, von dem wir uns ein Bild gemacht haben, der so in der Welt vorkommen soll wie ein Baum oder ein Mensch, und den es so geben soll, wie wir ihn gerne hätten. Er soll verdinglicht werden, damit man ihn gebrauchen kann. Er soll dem menschlichen Willen gehorchen. Gerade so aber kommt Gott in der Welt nicht vor.

      Er ist zunächst der Namenlose, der Jahwe des Judentums, dessen Namen man nicht aussprechen und von dem man sich kein Bild machen soll. Er ist das verschwebende Schweigen, das sich langsam beginnt zu zeigen, sich zu äußern und in die Öffentlichkeit tritt. Vielleicht kann man im Schweigen des Zen-Buddhismus eine Ahnung von diesem schweigenden Gott bekommen. Später wird er sich in der Gestalt eines Menschen zeigen.

      10. Das Absolute als Person

      So kommen wir zurück zu der oben zurückgestellten Frage, ob es möglich ist, dass der letzte Grund von allem und das Absolute, das in allem gegenwärtig „da“ ist, sich auch ausdrücklich, explizit und „persönlich“ in dieser Welt zeigen kann. Und da muss man sagen: Genau davon geht das Volk Israel aus, dass der letzte Grund von allem, das ewige Schweigen, das Absolute und das Unerklärliche sich selbst in dieser Welt gezeigt hat. Das ist die eigentliche Revolution in der Religionsgeschichte. Es sind nicht mehr die vielen Götter, die die Menschen sich entworfen haben (selbst wenn ihre Vorstellungen schon von einem göttlichen Geist getrieben waren), es sind auch nicht mehr die „falschen Gottesbilder“, die der Mensch sich gemacht hat, sondern es ist der eine Gott Jahwe selbst, der aus seiner dunklen Verborgenheit ans Licht tritt. Er allein hat die Macht, sich selbst zu zeigen und damit alle anderen Vorstellungen von Gott, die der Mensch sich macht, zu übertreffen. Er übertrifft alle Vorstellungen des Menschen von ihm und verkehrt sie zum Teil sogar ins Gegenteil.

      Dieser letzte Grund spricht und handelt. Er bewirkt etwas. Insofern hat er Züge, die dem Menschen bekannt sind. Was sprechen und handeln heißt, weiß der Mensch aus seiner eigenen Erfahrung. So ist dieser Gott „bekannt“ und unbekannt zugleich, er ist dem Menschen nah, indem er spricht und handelt, und er ist fern und unverständlich zugleich. Dieser Gott ist Geist und er bewirkt etwas: Er schafft die Welt und schafft Ordnung: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut, und Gottes Geist schwebte über dem Wasser.“ (Gen 1, 1) Der Geist Gottes schwebte über den Wassern wie eine Henne über ihren Eiern brütet. So wurde aus dem Tohuwabohu (das griechische Wort dafür ist Chaos) eine geordnete Welt. Es wurde aus dem Nichts etwas ins Sein gesetzt (creatio ex nihilo), und aus dem Chaos Ordnung geschaffen.

      Durch Gottes Wort, durch seinen Logos („Logos“ heißt Wort, aber auch Logik, Sinn, Urvernunft) wird etwas ins Sein gesetzt: „Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht.“ (Gen 1, 3)14 Dieser göttliche Geist ist also der Urheber und Urgrund des Seins, er ist Logik, Vernunft und Wort, er hat aber auch Emotionen. Er spricht und denkt, aber er zürnt auch (Gen 6, 6) und hat Gefallen an etwas. Damit ist er auch Urheber des menschlichen Geistes, genauer des Menschen als Ganzes mit seinem Denken und Fühlen. Er hat diese Welt hervorgebracht in dem, was Schöpfung genannt wird.

      Der Gott Jahwe wird also gesehen als jemand, der spricht, der handelt, der etwas bewirkt und so der Urheber von allem ist. Er ist der Schöpfer, er versteht sich aus sich selbst heraus, er ist ohne Anfang und ohne Ende, aber er kann Anfang und Ende, Raum und Zeit setzen, und so hat die endliche Welt einen Beginn und wohl auch ein Ende. Ebenso hat das Leben des einzelnen Menschen einen Beginn und ein Ende. So ist die Auffassung von Raum und Zeit von einer gewissen Linearität geprägt (Anfang, Beginn und Ende), während asiatische Reinkarnationslehren eher eine zirkuläre Zeitauffassung vertreten.

      Die jüdische Auffassung dessen, den die Juden Jahwe nennen, ist jene eines personalen Gegenübers, das sich aus sich selbst heraus versteht, das aus sich selbst heraustritt und den Menschen anspricht, so dass der Mensch umgekehrt auch ihn ansprechen kann. Der Mensch kann zu diesem Gott beten, er kann ihn anbeten, anrufen und verherrlichen, er kann ihm aber auch seine Not, sein Wehklagen und sein Hadern entgegenbringen. Die Psalmen im Alten Testament geben davon Zeugnis.

      11. Der Gott des Alten Testamentes

      Noch einmal kann man hier rückfragen, ob das nicht alles eine Projektion des Menschen ist. (Feuerbach) Ob das alles wirklich so war, kann doch niemand sagen. Niemand hat Gott je gesehen, heißt es im Alten Testament, also könnten doch die ganzen Geschichten auch Erfindungen des Menschen sein. Das Alte Testament ist ja von Menschen über viele Jahrhunderte aufgeschrieben worden. Es ist in vielen Psalmen und Geschichten die einfache Schilderung der Not des Menschen. Er schreit sie zum Himmel, er weint, er jammert, er klagt. Die einzige Frage lautet: Kommt dem Wehgeschrei des Menschen von Jahwe her Hilfe zu?

      Und darauf gibt das Alte Testament eine klare Antwort: Ja, Gott hat unser Schreien erhört. Er hat nicht alles Leid von uns genommen, aber er hat geantwortet und er hat uns von unseren Fesseln befreit, speziell von den Fesseln der Gefangenschaft in Ägypten. (Ex 3, 7)15 Und diese Befreiungstat ist für das Volk Israel nicht anders zu erklären als mit einem Eingreifen Gottes in die Geschichte. Diese Erfahrung des Handelns Gottes ist so überwältigend, dass das ganze Volk davon berichtet. Das ist bis heute das große Fest in Israel: das Pessahfest, die Befreiung des Volkes Israel aus der Knechtschaft Ägyptens. (Ex 20, 2) Diese ist nur zu erklären mit dem Handeln Gottes, der dem Volk signalisiert: Ich bin da, (Ex 3, 14) es gibt mich, ich handle an dir und ich bin der einzige Gott, der diese Macht hat, dir zu helfen. Diese Macht haben die vielen anderen Götter nicht. Das ist die Kurzbotschaft Gottes an den Menschen.

      Diese Erfahrung des befreienden Handeln Gottes muss für das Volk Israel so überwältigend gewesen sein, dass es daraus alle seine anderen Zugänge zu Gott ableitet. Aus dieser Erfahrung heraus wird das Alte Testament über mehrere hundert Jahre hinweg verfasst. Es sind die Hinterlassenschaften der Erfahrungen eines Volkes, das seine Erfahrung von der Befreiung nicht anders interpretieren kann als mit dem gewaltigen Handeln Jahwes.16 Er ist in unsichtbarer Ferne, sein Name darf nicht genannt werden und man soll sich von ihm kein Bild machen. Er ist der Unaussprechliche, Unsichtbare, Bildlose, aber er hat als Einziger diese gewaltige Macht, sein Volk gegen alle Widerstände zu befreien.

      Er handelt an seinem Volk, schließt einen Bund mit ihm und führt es aus der Knechtschaft Ägyptens in die Freiheit hinaus. Er vermittelt seinem Volk, dass er dessen Knechtschaft nicht ertragen kann, dass er Mitleid mit ihm hat und es befreien will. Gleichzeitig schärft er diesem Volk ein, dass es diese Freiheit nur dann aufrechterhalten kann, wenn es an der Erhaltung dieser Freiheit mitarbeitet und sich an einige Regeln hält. Diese Regeln sind die Zehn Gebote. Sie dienen der Freiheit des Volkes und jedes einzelnen Menschen. Diese befreiende Tat