Die Rosenlady und der Sekretär. Christine Meiering. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Meiering
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: История
Год издания: 0
isbn: 9783961456291
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Ja, ihr Rücken, … der gute alte …, er hat wahrlich schon bessere Zeiten erlebt!

      „Ja, du mein Guter, der du dich mehr und mehr krümmen wirst! Du hast mir immer treue Dienste geleistet und alles mit mir zusammen getragen, was das Schicksal unserer Familie auferlegt hat. Und wie habe ich dich dafür gehegt und gepflegt! Die Kammerzofe hat dich weichmassiert, wenn die Strapazen überhandnahmen. Weißt du noch, mein Lieber, wie Rosies Hände dich kraftvoll kneteten? Ja, sie, die Liebe, eine Meisterin in punkto Körpermassage. Mit rhythmischen Bewegungen spielte sie auf dir Klavier, mal ein Adagio, mal ein Piano forte! Erinnerst du dich noch an den zarten Lederriemen, mein Treuester, den Rosie in atemberaubendem Tempo in alle Himmelsrichtungen über dich gleiten ließ?“ Und als die alte Lady noch einmal versucht, ihrem alten lastenerprobten Gefährten eine dankbare Streichelgabe zu verpassen, da knackt es kräftig im stark gealterten Gebälk, was ihr einen mächtigen Schrecken versetzt! Sie ärgert sich über ihren Wagemut. Sicher wird er sich an ihr rächen und ihr eine schlaflose Nacht bereiten. – „Ja, mein Lieber, jetzt müssen wir beide die Konsequenzen tragen, nicht wahr! Aber immer nur vernünftig sein, oh, nein! Für eine Person, wie ich es bin, impulsiv und oft unvernünftig, gar nicht vorstellbar! Aber wäre das Leben ansonsten nicht kalt und öde?“

      Gleichzeitig streift sie mit ihrer Hand über den weichen Stoff rund um ihre Hüfte. „Hier schaffe ich es noch hin! So gerade eben noch! Aber du, meine altgediente Lende, du bist doch noch wesentlich widerstandsfähiger! Gib mein Mitgefühl bitte an meinen Buckel weiter und sage ihm, dass er sich auf keinen Fall gekränkt fühlen möge!“

      Die alte Lady muss lächeln und ihr Lächeln fällt auf den Teewagen neben ihr, ihrem Gehilfen in der Not, der sich auf großen hölzernen Rollen hin- und her bewegend, oft Mitleid mit ihrem schmerzenden Rücken zeigt. Ihr Blick fällt genau genommen von dem weißen Spitzendeckchen mit dem verschnörkelten silbernen Bilderrahmen schnurstracks auf eine stattliche Person, nicht auf irgendeine, nein, auf das Bildnis einer überaus vertrauten männlichen Statur, der sie mild entgegen lächelt. Gestern, heute und in alle Ewigkeiten werden sich ihrer beiden Blicke treffen, ja, sie werden verschmelzen, wenn …, sie räuspert sich und streicht mit ihrer Hand über seine Wange …, ja, wenn wir uns demnächst wiedersehen. Ladies jedweden Alters und Standes sind glücklicherweise nicht vor Gefühlsausbrüchen gefeit, auch wenn Haltung und Anstand in gewissen Kreisen zur Contenance verpflichten. ‚Ach, was habe ich nur eine liebevoll verrückte Dame geehelicht, eine, die so nah am Wasser gebaut ist, so nahe, dass es das ganze Land zu überfluten droht.‘ In seiner ihm eigenen Art und Weise vorgetragen, waren diese, seine schmunzelnd vorgebrachten Worte, bei ihr keineswegs auf Granit gestoßen.

      Die alte Lady greift nach ihrem Spitzentaschentuch – ein taufrisches, eines aus Großmutters geliebtem Dutzend. Noch ehe sie sich ein paar wenige dicke Kullertränen abwischen kann, bewahrheitet sich das, was ihr Geliebter ihr immer zu verkünden pflegte. Ein Tränenbach ergießt sich über ihr kastanienbraunes Samtgewand, wobei sich der weiche Stoff mächtig anstrengen muss, so viel Tränenflüssigkeit mit einem Male in sich aufzusaugen. Selten geschieht das in dieser ergreifenden Form, aber ab und an, wenn die Rosen in voller Blüte stehen, wenn ihre Söhne oder Schwiegertöchter sie durch kränkende Worte herausfordern, ja, wenn der Vollmond sie unruhig im Bett hin- und her wälzen lässt, und auch sonst dann und wann, wenn das Gefühl der Einsamkeit sie übermannt, dann überkommt es sie so unerwartet, wie ein aus heiterem Himmel herein brechender Regenschauer. Dann streichelt sie ihren tierischen Liebling in seinem Körbchen, während sich Katze Käthchens Schnurren mit den Seufzern seines Frauchens vereinigen. Jetzt ist sie allein und weit und breit kein Mensch erfährt, dass sie augenblicklich ihren Evel fest an ihren Busen drückt.

      „Mein Evel-Liebling! … Deine himmlischen Berührungen …! Um wie viel mehr haben sie mein Herz erweicht als alle Klavierspielkünste der besten Pianisten der Welt es je vermocht hätten! Weißt du eigentlich, was du mir mit deinem Weggehen angetan hast? Ich fühle mich ganz und gar verlassen von dir – bald werden es drei lange, lange Jahre sein! Im Leben bin ich dir auf Schritt und Tritt gefolgt, zwar oft mit Zaudern und Ängsten im Herzen, aber als folgsame Ehefrau wäre ich mit dir hunderte Male um die ganze Welt gereist, wenn der Ruf an dich ergangen wäre! Weltreisen sind es zwar nicht geworden. Aber aus der Geborgenheit eines Elternhauses jäh herausgerissen, jungverheiratet den Schritten des Angetrauten in ein so fernes fremdes Land wie Ägypten folgen zu müssen, das schien mir damals um nichts leichter als hundert Weltreisen zusammen genommen! Aber dein Glück war mein Glück, deine Last auch die meinige!“

      Das Bildnis schiebt sie jetzt ein wenig von ihrer Brust weg, zur Fensterseite hin, damit das gleißende Licht der Abendsonne direkt auf Evels Gesicht fallen kann. Verharren können und warten, ja, das musste ich in jahrzehntelanger Ehe lernen. Verzeihen, um sich wieder versöhnen zu können, das hatte mir das Schicksal abverlangt. ‚Pass’ ja gut auf deinen Mann auf!‘ Dieser Ratschlag ihrer besten Freundin Lea und deren nicht ganz von der Hand zu weisende Erkenntnis ‚Dein Mann ist ein Herzensbrecher!‘ sind heute in Ethels Ohr noch genau so laut vernehmbar wie ehedem.

      „Und wie recht sie hatte! Louisas, deines Töchterchens Ankunft lange vor unserer Bekanntschaft, war bis kurz vor deinem Tod offiziell in Dunkel gehüllt. Ihre Existenz gehörte zu den tiefsten viktorianischen Geheimnissen. Aber von Herzen geliebt hast du nur mich, nicht wahr, Evel?“

      Und da plötzlich ist es ihr, als ob sich ihr eine Hand entgegenstreckt, eine warme und kraftvolle, die sich wohlig in die ihrige schmiegt.

      „Wie sehr haben mich alle beneidet, damals, als du um meine Hand angehalten hast, damals im Hause meiner Eltern! Wir haben weit auseinander auf dem roten Plüschsofa gesessen – so wie sich das damals gehörte! – und Mutter hat uns Earl Grey serviert. Stell’ dir das nur vor: Einen Tee: Earl Grey für einen zukünftigen Earl Blond, denn du betörtest mich damals mit deinem blond gelocktem Haar. Wie liebte ich es später, eine Locke von dir durch meine Finger gleiten zu lassen! Meine Schwester Irma nannte dich ein stattliches Mannsbild und in ihren Worten schwang auch ein wenig Neid mit, na ja, vielleicht war es ja sogar auch eine gehörige Portion von dieser Sorte, denn allerseits sprachen die Leute von der blendenden Partie, die ich gemacht hätte. Hast du in solchen Momenten nicht gespürt, wie wild mein Herz bibberte, besonders dann, als du bei meinen Eltern um meine Hand angehalten hattest? Mein Brustkorb schwoll bis zum Zerbersten an, als endlich das erhoffte ‚Ja‘ aus ihren Mündern ertönte. Zunächst Mamas ‚Ja‘, ehe etwas zögerlicher das ‚Papa-Ja‘ folgte. Solch ein berühmter Mann, als Siebzehnjähriger bereits Leutnant der Königlichen Artillerie und dann Privatsekretär bei seinem Cousin Thomas Baren, dem Vizekönig von Indien, welch eine andere Frau konnte sich schon mit solch einem begnadeten Manne schmücken? Evel, du glänztest als wirkliches Sprachgenie, spielerisch lerntest du Griechisch, Latein, Italienisch, Französisch und Türkisch! Welches junge Mädchen wird schon mit strahlenden Augen von einem so großartigen Manne, wie du es gewesen bist, in den Hafen der Ehe geführt?“

      Ihr Blick hakt sich in seinem Bildnis, in seinen Augen fest. Verschlingend und einverleibend wird er für alle Ewigkeiten in ihrer Seele eingebrannt bleiben, ihre letzten Lebensschritte bestimmen und den oft tristen Alltag beflügeln.

      „Deine Augen blicken so zielstrebig und willensstark, genauso wie auch dein ganzer Lebensweg verlaufen war. Mag das nicht auch daran gelegen haben, dass du dich schon früh gezwungen sahst, dich gegenüber acht älteren Geschwistern behaupten zu müssen? Aber einige Male, besonders in der Zeit, in der die britische Presse deinen Rücktritt als erster britischer Generalkonsul in Ägypten herbeiführte, brauchtest du mich doch, meine tröstenden Worte und meine weiche Schulter zum Anlehnen. Du ahntest gar nicht, wie sehr ich zu jener Zeit dein Anlehnungsbedürfnis genossen habe! Es tat mir unendlich gut, dir auch einmal Stärke schenken zu dürfen. Lieber Evel, weißt du noch? Ja, bibbertest du nicht auch noch bei dem Gefühl an jener, an unserer Stelle, gekitzelt zu werden, dort zwischen Unterlippe und Kinn, wo die Natur dir eine kleine Vertiefung beschert hatte, wie ein kleines Nest lud es zum Kitzeln ein! … Ja, mein Liebster, über zweidreiviertel ewig lange Jahre sind wir schon getrennt, aber hab’ keine Sorge, so viele Jahre werden es bestimmt nicht mehr, bis wir uns wiedersehen. Einige Zeit werde ich noch benötigen, wichtige Dinge in unserem Sekretär zu ordnen. Ich werde es auskosten, gemeinsame Erinnerungen aufzuspüren, ehe meine Zeit gekommen sein wird, dieser erhoffte, aber doch ehrlicherweise auch