Einmal kurz vor dem Mittagessen saß ich allein mit Babaji in Haidakhan auf den Stufen der Tempel, oberhalb der Höhle, in der er bei seinem Erscheinen entdeckt wurde. Er hatte mir seinen Schirm gereicht, ich sollte ihn durch das Flusstal zur Ashramseite begleiten.
Etwas seitlich von mir sitzend, fragte er: "Bist du glücklich?"
"Ja, ... so sehr", antwortete ich und deutete ihm einen Zentimeter mit Daumen und Zeigefinger an. Innerlich dachte ich: "Richtig glücklich werde ich erst sein, wenn ich deine Stimme in mir höre und vollends eins mit dir geworden bin."
"Was", fragte er, "du bist nicht glücklich?"
"Doch", wiederholte ich und zeigte ihm abermals mit den Worten: "So sehr", das Maß eines Zentimeters. Leicht war mir die Antwort nicht gefallen.
"Geh!", schrie er und schickte mich mit einer wilden Gebärde zum Ashram zurück. Im ersten Augenblick wollte mich ein Anflug von Traurigkeit überfallen, doch verging dieses Gefühlt sofort und machte, noch während ich die Treppen hinunterlief, einer unbändigen Freude Platz, so dass ich laut aufjauchzend durchs Flusstal sprang. "Ich bin frei, ich bin frei!", jubelte es in mir. Ich war glücklich, richtig überglücklich.
Wie Perlen an einer Kette reihten sich die Erfahrungen, in denen das Herz stärker angesprochen wurde. Sie wurden immer größer und schöner, bis sie schließlich unerwartet in einem sat-chit-ananda Zustand, einem Samadhi, gipfeln sollten. Die Erfahrungen unbeschränkter Liebe füllten eine große Leere in mir aus und schenkten meinem Leben neuen Inhalt, sie lehrten mich, Gott und seine Schöpfung zu lieben. Eine Schöpfung, in der nicht nur das Augenfällige, Prächtige, sondern auch das Unscheinbare, kaum Wahrnehmbare von klarer, reinster Liebe durchdrungen ist.
***
Wenige Tage nach dem ergreifenden Erlebnis mit dem Manuskript hatte ich mich in mein Zimmer zurückgezogen. Niemand war anwesend, und ich genoss die kurze Ruhepause. Plötzlich steckte ein alter Herr seinen Kopf durch die Zimmertür. Da er mir durch sein Alter und seine bescheidene Art bereits vorher aufgefallen war, bat ich ihn hereinzukommen. Er setzte sich mir gegenüber auf den Boden. Wir wechselten einige belanglose Worte auf Englisch, schwiegen aber bald wieder. In der eingetretenen Stille fragte ich mich, was mich bewogen hatte, diesen unscheinbaren alten Mann in mein Zimmer einzuladen. Ich hatte geglaubt, er sei einsam und fühle sich unter all den Menschen hier im Hause verloren. Bei diesen Gedanken öffnete sich ihm mein Herz. Eine große Liebe strömte ihm und der ganzen Menschheit entgegen. War es Mitgefühl, war es Liebe, Verstehen, dass wir alle dem gleichen Schicksal entgegengehen, ... dass jeder von uns immer und stets allein ist, gleich in welcher Lebenssituation? Der Greis verabschiedete sich still, während die wunderbaren Gefühle langsam verebbten.
Wenige Stunden später ließ Babaji jedermann wissen, dass sich auf dem kahlen Haupte dieses zweiundachtzigjährigen Mannes ein Om Zeichen gebildet hatte. Alle sollten es anschauen und sich vor dem Greise verneigen. Dieser saß auf der Erde seitlich von Babaji. Diejenigen, die Babajis Segen empfingen, mussten an ihm vorbeigehen und konnten das etwa zehn Zentimeter große, bläuliche Om Zeichen nicht übersehen. Wie eine Tätowierung leuchtete es auf seinem Kopf. Klar und deutlich stach es aus der leicht gebräunten Kopfhaut hervor, und Tage danach, als wir Kalkutta endgültig verließen, war es noch sichtbar. Später erzählten die Inder in meinem Zimmer, sie seien bei diesem Wunder anwesend gewesen. Zuerst wäre eine rauchartige Substanz aus dem Scheitel des alten Herren gestiegen, worauf sich das Om Zeichen gebildet hätte.
OM NAMAH SHIVAY
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