"Wo ist dein Sohn?"
"In Deutschland".
"Warum ist er nicht mitgekommen?"
"Er muss zur Schule und kommt Mitte Dezember."
Babaji erkundigte sich, welche Klasse er jetzt besuche und wie es meinem Mann gehe. Dabei überreichte er mir eine Handvoll Früchte.
Welche Harmonie im Festzelt! Die Frauen hatten auf der linken Seite Platz genommen, die Männer auf der rechten. Alle Gedanken, alle Augen waren auf Babaji gerichtet. Die Klänge der indischen Instrumente, des Harmoniums, der Trommeln, Zimbeln, Chimtas vermischten sich mit dem Gesang der Menschenmenge. Babajis Sitz glich einem gelben Blumenmeer. Nach indischer Sitte überreichten ihm viele, die seinen Segen erbaten, Girlanden, geflochten aus Tagetes- oder Rosenblüten. Einige Besucher legten sie ihm um den Hals, andere auf die Hände. Manchen bekränzte Babaji mit den Blumen, anderen reichte er Süßigkeiten oder Früchte. Ab und zu spielte er mit einem Kind, holte es zu sich herauf und herzte es oder warf Früchte in die Menge.
Babaji war aufgestanden. Eine Feuerzeremonie, Havan oder Yagna genannt, sollte zu Ehren Gottes im Garten des Gastgebers stattfinden. Diese uralte Sitte des Austausches, des Gebens und Nehmens, ist auf vorvedische Zeiten zurückzuführen, in eine Zeit, in der alle Menschen zu dem Göttlichen noch engen Kontakt hatten. Gottes Gnade lässt das Korn auf den Feldern wachsen. Wir sollten ihm dafür danken und ihm einen Teil unserer Ernte durch das Opferfeuer zurückgeben. Der geschlossene Kreislauf des Gebens und Nehmens gewährt ständiges Wachstum und Gedeihen.
Die Flammen loderten hell auf, als Babaji an der Feuergrube Platz nahm. Mir bedeutete er mit einer Handbewegung, hinter ihn zu treten. Eine andächtige Stille herrschte, die Lautsprecher im Festzelt waren verstummt. Nur das Prasseln des trockenen Holzes in der Feuersglut war zu hören, unterbrochen von dem Ruf "swaha" aller Teilnehmenden. Bei jedem "swaha" warfen sie ein Gemisch von Reis, Weihrauch, schwarzem Sesam, Blumen und Nüssen in die Glut, während Babaji das Feuer mit Gaben von flüssigem Butterfett speiste. Gedankenverloren schaute ich in die Glut und horchte in mich hinein. In mir war tiefer Frieden. Ich war glücklich, da zu sein.
Nach dem Havan sagte Babaji: "Komm", ergriff kurz die Hand einer älteren Inderin und meine und führte uns zu einem Auto, das uns zu einigen verschiedenen Familien brachte, denen Babaji einen Besuch zugesagt hatte. Die Gastgeber empfingen ihn ehrerbietig. Abseits vom Menschengedränge konnten sie ihm unter vier Augen ihre Anliegen mitteilen. Eine Hochzeit sollte arrangiert werden, ein Kranker genesen. So oft sie konnten, holten viele seinen Rat für geistige und weltliche Angelegenheiten ein. Babaji hörte aufmerksam zu, nie schien er zu ermüden, unendlich war seine Geduld, seine Güte.
Wir durchquerten Delhi.
"Hast du einen Flugschein und eine Platzreservierung für Kalkutta?", fragte er, indem er sich im Auto auf der Fahrt zu mir umdrehte.
"Nein". Ich hatte nicht gewusst, dass Babaji nach Kalkutta fliegen wollte.
"Ja, dann ist nichts zu machen, du musst hierbleiben", übersetzte die Inderin.
"Oh, nein, nimm mich bitte mit!"
"Warum denn?", fragte er lächelnd.
Er wusste also, dass ich ihn gerne begleiten würde. Sollte es sein Wunsch sein, so würde er in Erfüllung gehen, gleich wie die äußeren Umstände aussahen. Im Vertrauen auf Babajis Allmacht verschwendete ich keine Zeit mit einer Platzreservierung oder einem Billetkauf.
Im Hause des Gastgebers angekommen, nahm Babaji nach dem Empfang auf einem prächtig hergerichteten Sessel Platz. Da aber der Farbfernseher in einer Ecke des Zimmers lief, ließen sich bald alle Anwesenden von den Sportfestspielen fesseln. Babaji existierte für sie nur noch im Hintergrund. Wie symbolisch war das für die meisten Menschen unserer Zeit! Das Göttliche wird am Rande wahrgenommen, wenn überhaupt. Ich saß auf dem Boden neben ihm, meine Hand ruhte auf seinem Fuß. Babaji schien mir alles Gegenwärtige einzuhüllen; trotz des Lärms aus dem Fernseher spürte ich einen inneren Frieden, eine Harmonie sondergleichen. Ab und zu trafen sich unsere Blicke; und ich wunderte mich, dass die Anwesenden sich so leicht von der Illusion des Lebens - hier die im Vergleich zum Weltenlauf unbedeutenden Sportfestspiele - ablenken ließen.
Am nächsten Morgen, früh um sieben Uhr stand ich mit meiner eilig zusammengepackten Reisetasche am Flughafen. Als ich mein Ticket kaufte und einen Platz auf dem Flugzeug haben wollte, sagte mir der Flughafenangestellte, es sei aussichtslos, 280 Passiere stünden auf der Warteliste. Ähnlich sei es auf den nächsten Flügen. Ich könnte frühestens in zwei bis drei Tagen fliegen. Diese Auskunft erschütterte mich nicht. Gleichmütig nahm ich sie hin, ich hatte etwas Ähnliches erwartet. Babaji würde mich schon mitnehmen. Das erschien mir ganz selbstverständlich.
Unterdessen war Babaji am Flughafen angekommen. Eine große Menschenmenge begleitete ihn, als er, wie ein einfacher Tourist, in der Wartehalle Platz nahm. Mehr und mehr Menschen strömten herbei. Irgendwie gelang es mir, durch das Gedränge in seine Nähe zu kommen. Mein Flugbillet hielt ich in der Hand. Kaum hatte Babaji mich erblickt, als er schon einen der anwesenden prominenten Inder anwies, mir einen Platz in dem Flugzeug zu besorgen. Nach einer Weile kam dieser unverrichteter Dinge wieder. Dieses Hin und Her wiederholte sich zweimal, erschütterte mein Vertrauen aber nicht.
Schließlich wurde der Flug aufgerufen. Babaji erhob sich, um in die Abflughalle zu gehen. Er nahm mein Ticket jetzt selbst in die Hand, lächelte dabei und übergab es einem vierten Inder. Mir bedeutete er, diesem zu folgen. Mit meinem Fluggepäck gingen wir auf den Schalter der Indian Airlines zu. Er war bereits geschlossen. Hinter dem Schalter herrschte großes Durcheinander, ein Gestikulieren und Geschrei. Mein Begleiter mischte sich kurzerhand darunter und ergatterte, ich weiß nicht wie, nicht nur eine Boardingkarte, sondern gleich fünf!
Babaji wartete mit Sri Muniraji, seinem engsten Schüler, und Shastriji, dem alten ehrwürdigen Sanskritgelehrten und Priester in der Abflughalle. Wie ein Fürst aus Tausendundeiner Nacht sah er aus mit seinem gelben Seidengewand, über dem er eine ärmellose, in allen Farben schillernde, Brokatweste trug. Ein roter Turban schmückte sein Haupt. Frei von jeglicher Beschränkung, unbekümmert wie ein Kind, zog er alles an, was ihm aus tiefstem Herzen geschenkt wurde. Und wirklich, ein Herrscher stand vor mir! Eine gewaltige Kraft ging von ihm aus. Groß, majestätisch, allgewaltig war er der Mittelpunkt der Welt. Einige Reisende in der Abflughalle, die seine Ausstrahlung wahrnahmen, fragten, wer er sei.
"Ein Mahavatar", war die Antwort.
Viele kamen und beugten die Knie vor ihm oder berührten seine Füße nach indischer Sitte. Segnend hob Babaji jedes Mal die Hand.
Mir gab er die Anweisung, am Zeitungsstand "Toffees", Karamellbonbons, zum Verteilen zu kaufen, um etwas von dem, was ich erhalten hatte, - die Ermöglichung des Fluges - zurückzugeben. Das göttliche Gesetz des Ausgleichs wurde auf diese Weise befolgt. Wie es kein Einatmen ohne Ausatmen gibt, so auch kein Nehmen ohne Geben.
Nun saß ich hinter Babaji im Flugzeug. Eigenartig, dass die Plätze, die wir in letzter Sekunde erhalten hatten, alle um Babaji's Sitz herum gruppiert waren. Nur der mitfliegende Amerikaner musste seinen Platz mit einem Mitreisenden tauschen.
Bald war Kalkutta erreicht. Der Flug näherte sich seinem Ende. Nach der Landung würde Babaji keine Zeit für meine Fragen haben. Deshalb musste ich jetzt die Gelegenheit beim Schopf greifen. Eine Freundin hatte mir aufgetragen, ihm einen Brief zu überreichen und zu fragen, ob sie auf dem richtigen spirituellen Weg sei. Aus Erfahrung wusste ich, dass ich solche kleinen Freundschaftsdienste und auch meine wenigen persönlichen Fragen immer nur