Ja. Unser Ego ist die Materialisation dessen, war wir zu sein denken, und die Realität ist, wenn auch nicht die gemeinsame Schöpfung, so zumindest die kollektive Aufrechterhaltung einer überlieferten Kultur, die wir ständig an den Zeitgeist anpassen. Wir sind zwar nicht die Schöpfer des Universums, aber wir sind alle die Schöpfer unserer persönlichen Welt, die mit der kollektiven Welt, wie sie uns eingelöffelt wurde, in untrennbarer Verbindung ist.
Kann man dieser dualen Realität nicht auch wieder entwischen?
Im Grunde genommen schon, denn keine Handlung ist in Stein gemeißelt – Abläufe verändern sich ständig und jede Veränderung wirkt sich wiederum auf das betreffende Handeln aus. Allerdings sind es nur wenige, die den Absprung schaffen, weil sie nicht wissen, wohin sie fliehen sollen – weil sie sich ihr verpflichtet fühlen und sie zur Grundlage ihres Seins gemacht haben. Wir drehen uns im Kreise, weil wir nicht gelernt haben, an welcher Stelle wir das Karussell verlassen können. Nur der geistig experimentierende Mensch kann der Banalität des Alltags entkommen, wenn er lernt, den inneren Dialog durch bewusste Gedankenleere abzuschalten und den Fluss der Gedanken zu unterbrechen, der ihn zwingt, die Welt in den ihm aufoktroyierten Mustern beständig wahrzunehmen – zumindest solange er sich im Zustand seiner Gedankenstille oder ähnlicher Bewusstseinsräume aufhält.
Demnach kann Realität keine objektive Wirklichkeit sein?
Realität ist die objektivste Wirklichkeit, die sich das Individuum „nach seinem Bilde“ schaffen kann. Der heranwachsende Mensch, der die Welt durch sein noch leeres Bewusstsein betrachtet, lernt schnell, die kollektiven Inhalte der Alten in seiner Umgebung so zu platzieren, dass er daraus gegenüber seiner Umwelt einen möglichst großen Vorteil herausziehen kann.
Wenn ich dich richtig verstehe, so würde sich das Tun der Menschen darin erschöpfen, ihre eigene, anerzogene Wirklichkeit zu verwalten?
Sie verwalten sie nicht nur, sie entwickeln sie auch, zumindest innerhalb der Bedingungen der ihnen vorgegebenen Strukturen. Der genormte Mensch hat allerdings nur wenige Möglichkeiten, auf diese kollektiven Muster individuell einzuwirken, weil diese Ströme ein solches Ausmaß an gesellschaftlicher Gewalt mitführen, dass sie alles hinwegspülen, was sich ihnen entgegenstellt.
Doch was treibt uns vorwärts? Was sucht sich durch uns zu erreichen, damit sich unser Schicksal erfüllen kann?
Auf den ersten Blick sind es die äußeren Ziele, die uns antreiben – aber dahinter wirkt eine unsichtbare Kraft, die immer bestrebt ist, das innere Ungleichgewicht auszubalancieren, das uns beseelt. Es hat seinen Ursprung in unseren sozialen Modellen und familiären Prägungen2. Wir sind innerlich nicht frei – alle unsere äußeren Ziele sind der ständige Versuch, das innere Manko durch einen entsprechenden äußeren Akt wieder in ein Gleichgewicht zu bringen. Wir können uns aber entwickeln, wenn wir mutig vorwärts gehen, die Zusammenhänge erkennen, Verantwortung übernehmen und wissen, dass das, was wir tun, wenn auch nicht immer gut, so immer das Beste ist, zumindest aus unserer Sicht.
Was ist mit unseren gesellschaftlichen Zielen? Sind sie falsch?
Sie sind nur falsch, wenn wir glauben, dass sie richtig sind. Die gesellschaftlichen Werte spiegeln das Spiel der Menschen wider, die sich gewisse Spielregeln aufstellen, damit sie etwas haben, mit dem sie sich im Leben auseinandersetzen können. Die gesellschaftlichen Werte sind nichts anderes als ein kollektives „Selbstbeschäftigungsprogramm“, damit die Menschen ihre anarchistischen Grundlagen auf einer kontrollierten Bühne ausleben können.
Wozu dann der Stress, der Krieg und die ewige Unruhe in der Welt?
Wegen unserer engen, dualen Sicht. Niemand führt Krieg um des Krieges willen, nein, Krieg führt man nur deswegen, weil der andere stets im Unrecht ist und man ihn von den eigenen, berechtigten Forderungen überzeugen will. Will man die eigenen Forderungen erzwingen, muss man sich des Krieges bedienen, was natürlich nie im eigenen Unrecht, sondern immer in der Uneinsicht der anderen liegt. Die universale Energie ist eine unpersönliche Kraft, weder gut noch böse. Sie wird erst durch die Muster unseres Bewusstseins „weiß“ oder „schwarz“. Die Unterscheidungen passieren folglich im Gehirn, im Denken. Die einseitig negativen Schilderungen der negativen Kräfte spiegeln nichts anderes als die Angst der Menschen vor ihren unbewussten, eigenen Dämonen. Die Welt ist ein Spiegel, in dem wir in allen anderen unsere eigenen Dämonen erkennen, für die wir bei uns selbst blind sind.
Blind? Das Böse existiert doch in der Welt – oder?
Ja, aber nur, weil wir die Zusammenhänge des Bösen gar nicht kennen. Das „Böse“ setzt sich meistens aus einer Vielzahl von negativen Erfahrungen zusammen, die sich wiederum aus persönlichen Enttäuschungen nähren. Die Enttäuschungen wurzeln, wie gesagt, auf negativen Erfahrungen, bei denen man nur die Fehler der anderen, nicht aber die eigenen Erwartungen sieht.
Du meinst, wir sehen unsere Fehler meistens beim anderen?
In der Regel ist das so!
Das klingt nicht gut! Wo findet sich ein Lösungsansatz?
Wir dürfen die Lösung nicht von außen erwarten, sondern müssen sie in uns selbst finden. Es geht immer darum, unabhängig vom eigenen Standpunkt einen Bezugspunkt in uns selbst zu schaffen, der uns die Möglichkeit gibt, unser eigenes Verhalten von außen zu beobachten. Dann erkennen wir schnell, dass es im Grunde gar keiner Lösung bedarf.
Wieso braucht es keine Lösung?
Weil wir stets Teil der Lösung sind! Das Problem ist immer nur der Schatten der Erkenntnis: Wir sehen stets unsere eigene Perspektive, den Punkt, von dem aus wir unsere Probleme kreieren, denn aus der Sicht des Ganzen existiert unser Problem gar nicht …
Wo existiert das Problem dann?
Nirgends. Jeder Fehler ist nur eine Art Rückseite der Erkenntnis, und der Sinn liegt darin, nicht auf der Position des Fehlers zu verharren. Oder anders ausgedrückt: Fehler sind nur die Unschärfen materieller Systeme, die ohne Bezugspunkte gar nicht existieren. Aus geistiger Sicht sind sie nichts anderes als Wegweiser zu Erkenntnissen, die den Menschen helfen, das Wirken der evolutionären Entwicklung zu erkennen, die dem materiellen Denken normalerweise nicht zugänglich ist.
Du meinst, das Unrecht bleibt solange in der Welt, solange wir es immer nur beim anderen und niemals bei uns selbst erkennen?
Ja. Nur, wer seinen Schatten erkennt, weiß, wer er wirklich ist. Und nur wer weiß, wer er ist, kann ermessen, was es heißt, sich selber zu entwickeln. Denn wir sind nicht nur die Seiltänzer über dem Abgrund, wir sind auch die Krokodile im trüben Gewässer, welche die Unglücklichen beim Absturz auffressen. Wenigstens solange, bis wir merken, dass die Sünder der eine Teil und die Krokodile die andere Hälfte unseres Wesens sind.
Aber was ist mit dem Frieden in der Welt?
Die Suche nach dem Paradies muss eine Wunschvorstellung bleiben, damit sich die menschliche Spezies entwickeln kann.
Wie … was? Wieso kann sich der Mensch nicht in Frieden und Harmonie entwickeln?
Das statische Paradies böte dem menschlichen Ego keine Grundlage zur Entfaltung. So will es die Evolution. Der Mensch braucht immer wieder Kriege mit der Aussicht auf Frieden oder ständige Krisen mit der Hoffnung aufs Paradies, eine Hoffnung, die sich aber niemals erfüllen darf, damit sie als Entwicklungsgrundlage weiter funktionieren kann.
Ich weiß nicht … das tönt ziemlich brutal. Irgendwie fehlt mir der Begriff „Freiheit“? Was ist mit dem freien Willen?
Wir haben die Freiheit, das zu tun, was im kollektiven morphischen Zeitfeld schwingt, sozusagen ein gesellschaftlich verankertes Bild von Freiheit in einem beschränkten persönlichen Rahmen umzusetzen. Es geht immer darum, „das zu tun, was getan werden muss“, wie schon Goethe wusste. Wenn wir diesen Anspruch erfüllen, erhalten wir das, was zu einem „gefühlten“ Bild von Freiheit führt.