Trotz dieser unterschiedlichen Ansätze in der Forschung dürften die hebr. Namen Asasel, Lilit, Deber, Qeteb und Reshef Dämonen bezeichnen. Diese halbgöttlichen Wesen besitzen bösartige Kräfte und handeln mehr oder weniger selbstständig. Bereits in den ersten Übersetzungen der Bibel wird die Entwicklung der Vorstellungen von Dämonen ein Stück weit sichtbar: Die Septuaginta (3. Jh. v. Chr.) gibt den hebr. Ausdruck „Böcke“ (śəʿîrîm) in 2 Chr 11,15 mit eidōlois „Idole“ wieder, womit auch „falsche“ Götter gemeint sein könnten. Die Vulgata (4. Jh. n. Chr.) übersetzt śəʿîrîm bzw. eidōlois mit daemonum. Das Konzept eines Dämons als ausschließlich bösem Geist setzte sich also erst viel später und nur allmählich durch, und die alttestamentlichen Texte spiegeln lediglich die ersten Stadien dieser Entwicklung.
2 Die dunkle Seite Gottes
Ein exklusiver Monotheismus erzwingt die Annahme, dass JHWH selbst Ursprung des Bösen sein müsse (Jes 45,7). In den altorientalischen Kulturen des 1. Jahrtausends v. Chr. war dieses Problem noch nicht präsent. Darum ist es unmöglich, die reiche Palette der dämonischen Wesen aus Literatur und Ikonographie des Alten Orients einfach auf die biblische Texte zu übertragen. In vorhellenistischer Zeit wurde noch angenommen, dass Gottheiten und Dämonen ambivalent für oder gegen die Menschen handelten. Bösartiges Handeln wurde als Ärger verstanden, den der Mensch durch sein schlechtes Verhalten provoziert hatte. So bewahrten Götter und Dämonen die kosmische Ordnung und die soziale Gerechtigkeit. Dieser Gedanke findet sich auch in der Hebräischen Bibel. Einige Texte schreiben JHWH dämonische Aspekte zu (Gen 32; Ex 4,24; Dtn 32,23–24; 1 Sam 26,19; 2 Sam 24,1; 1 Kön 22,20–23; Ez 20,25) oder stellen bös artige Mächte in den Dienst von JHWH (Hab 3,5). Im Buch Hiob (→ Gerechter, leidender) ist es JHWH selbst, der auf böswillige Art agiert. Der Satan erscheint zwar in der Rolle dessen, der JHWH dazu antreibt, Hiob auf die Probe zu stellen, doch JHWH übernimmt durch sein Eingeständnis, dass er Hiob grundlos verderben ließ (Hiob 2,3), die ganze Verantwortung für das Unglück, das sich über Hiob ergießt, auf sich. Der Satan wird unter der Kontrolle JHWHs gehalten und taucht am Schluss des Buches nicht wieder auf. Die scheinbare Darstellung von JHWH als Opfer des Satans ist einer der Ursprünge der späteren Dämonologie, die den Satan als den Anführer aller dämonischen Mächte verstand, obgleich das Buch Hiob dieser Schlussfolgerung faktisch widerspricht. Dieser hermeneutische Vorgang ist weitverbreitet: Ein Text bringt ein bestimmtes Konzept in Umlauf, obwohl der Text selbst diesem Konzept widerspricht. Im vorliegenden Fall ist dieser Vorgang paradox, da im antiken Mittelmeerraum Dämonen nicht grundsätzlich „böse“ waren, sondern der Sphäre von Ungewissheit und ambivalenten Mächten angehörten (FRANKFURTER 2011, 129). Der mehrdeutige „Schwellenzustand“ der antiken Dämonen situiert diese geographisch zwischen einem „hier“ und einem „dort“. Ihr Ort ist „jenseits“ des Dorfes und „vor“ dem heiligen Gebiet. Wilde und isolierte Gegenden werden von Dämonen durchschweift, bewohnte Gebiete hingegen sind Schutzgebiete der sicheren Mächte. Demzufolge sind in Ägypten die Götter Seth und Reshef fremde Götter. In der Bibel wird Baal gleichermaßen geschildert. Die Liminalität wird vermindert und die Dämonen werden gebändigt, indem ihre Namen oder ein Zauberspruch aufgesagt werden. Hierzu gehören alle Bräuche, mit denen der Dämon durch Erzähltechniken unter Kontrolle gebracht, abgelenkt oder weitergeschickt werden kann (z.B. Ex 4,24–26).
Obwohl der Dämonisierungsprozess der Götter – mit Ausnahme von JHWH – oft als Konsequenz der Entwicklung eines exklusiven Monotheismus verstanden wird, kann doch eine ähnliche Tendenz bei benachbarten Kulturen wie z.B. dem hellenistischen Ägypten beobachtet werden. Dies bedeutet jedoch nicht unbedingt das Ende des Glaubens an die allmächtigen Götter der Schöpfung, sondern eher das Aufkommen einer Mehrzahl von intermediären Geistern und moralisch zweideutigen Wesen. Solche Zwischenwesen können sowohl das tägliche Leben auf der Erde wie auch die Reise der Kranken in die Unterwelt beeinflussen (LUCARELLI 2011, 109).
3 Der Asasel-Ritus
Obgleich das „Dictionary of Deities and Demons in the Bible“ (21999) im Titel eine klare Unterscheidung zwischen Göttern und Dämonen signalisiert, so ist es nicht einfach, selbstständige bösartige Geister im AT nachzuweisen. Wenn man z.B. annimmt, Asasel sei trotz fehlender Parallelen ein Dämon, dann muss die Existenz eines in der Wüste lebenden dämonischen Wesen vorausgesetzt werden, dem Aaron einen Bock opfert, um ihn zu besänftigen. Der Ziegenbock, der mit iaʿăzāʾzel „für Asasel“ bezeichnet wird (Lev 16,8), wurde nicht ausgewählt, um im Namen eines Dämonen namens Asasel geopfert zu werden. Andernfalls müsste man davon ausgehen, dass entweder die Opfer, die JHWH gewidmet sind, für gewisse Sünden wirkungslos blieben, oder aber, dass die Sünden der Israeliten einen Einfluss auf diesen Wüsten-Dämon hätten, dessen Gemüt nun besänftigt werden müsse. Die Sünden werden durch Handauflegung auf dem Kopf des Bockes bekannt und damit auf das Tier überführt. Der Bock führt mit seinem Hinausschreiten aus dem Lager die Sünden mit sich hinaus (DIETRICH/LORETZ 1993). Der Asasel-Bock muss also lebendig bleiben, um seine Aufgabe vollbringen zu können. Somit handelt es sich hier nicht um ein Opfer, das man einem Wüsten-Dämon opfern würde. Was dem Bock außerhalb des Lagers widerfährt, spielt in der Beschreibung dieses jährlichen, unblutig Sünden bereinigenden Ritus des Volkes überhaupt keine Rolle. Dennoch wurde Asasel als ein bösartiges Wesen betrachtet.
4 Haarige Böcke
Ein Beleg für Dämonen in der Hebräischen Bibel findet sich in Lev 17,7: „Sie sollen nicht mehr ihre Schlachtopfer für Bocksdämonen schlachten.“ Dass jene śəʿîrîm – wörtlich „Haarige“ – auch Dämonen sein sollen, beruht auf der Interpretation der Partikel „für“ (lə) vor śəʿîrîm, die die Übersetzung „für die Böcke“ ermöglicht, und somit suggeriert, dass diese Böcke eher für Dämonen geopfert werden, als dass sie selber Ziel des Opfers sind. Die Septuaginta übersetzt śəʿîrîm mit mataioi „die Nutzlosen, Pietätlosen“ und vermeidet damit jede Konkretion, die suggerieren könnte, die Israeliten hätten kultische Praktiken ausgeübt, die noch schlimmer als die Verehrung von Baal und Aschera waren. Die meisten modernen Übersetzungen übernehmen den Ausdruck daemonibus „für die Dämonen“ der Vulgata und sprechen von „Bocksdämonen“, „Feldgeistern“ oder „Teufeln“.
Die šeḏîm aus Dtn 32,17 werden in der Septuaginta direkt mit daimonioi übersetzt. Am hebr. Text lässt sich dagegen deutlich die Schwierigkeit der Unterscheidung zwischen Göttern und Dämonen ablesen: „Sie opferten für die šeḏîm, (die) keine Götter (sind), für Götter die sie nicht kannten, Neulingen, die erst vor kurzem gekommen waren, vor denen eure Väter sich nicht fürchteten“. Der Schreiber sieht sich zwei unterschiedlichen Konzepten gegenüber: einerseits dem traditionellen Verständnis von den „anderen“ Göttern und andererseits neuen Göttern, von denen er schnell aussagt, sie seien keine Götter. Diese šeḏîm finden sich im Ps 106,37 wieder. Dort sind sie die Empfänger von Menschenopfern.