3.2 Berge als illegitime Kultorte
Der Basistext der deuteronomischen Kultzentralisation ordnet u.a. an, Israel solle die Kultstätten der eroberten Völker zerstören, darunter diejenigen „auf den hohen Bergen“ (Dtn 12,2). Auch Ezechiel 18 spricht in dem „Lasterkatalog“ vom Abhalten von Opfermahlzeiten auf den Bergen (Ez 18,6.11.15; vgl. 22,9), ebenso Hos 4,13; Weihrauchopfer erwähnt Jes 65,7. Damit stehen die (hohen) Berge (im Plural!) für die Verehrung fremder Götter (Jer 3,6.23; Ez 6,2–3.13), die innerbiblisch vehement abgelehnt wird. Eine Ausnahmesituation bleibt das sogenannte „→ Gottesurteil“ auf dem Berg Karmel (1 Kön 18): Der Prophet Elija tritt in einen Wettstreit mit den Propheten der fremden Götter (Baal und Aschera). Die Gebete dieser fremden Propheten bleiben fruchtlos, nur das von Elija vorbereitete Brandopfer wird von JHWH selbst entzündet. Das Volk, beeindruckt von diesem Wunder, bekennt sich zu JHWH als Gott.
In diesem Zusammenhang ist auf den Begriff der „Kulthöhe“ einzugehen (GLEIS 2008). Die Etymologie des hebr. Wortes bāmāh lässt zunächst einmal an eine Erhebung denken (erhöhter Kultplatz, Hügel, Berg). In der Verwendung des Begriffes tritt jedoch eine Bedeutungsverschiebung ein, sodass damit jede Art von Kultstätte bezeichnet werden kann. Dem wird die geläufige Übersetzung als „Kulthöhe“ nicht gerecht. In den „vordeuteronomistischen“ Belegen bezeichnet das hebräische Wort in neutralem Sinne Heiligtümer und Tempel in den jeweiligen Ortschaften. Im „deuteronomistischen Geschichtswerk“, das als entscheidendes Bewertungskriterium für die Könige die Kulteinheit und Kultreinheit aus der Kultzentralisation von Dtn 12 entwickelt, gelten diese Heiligtümer als Quelle der Fremdgötterverehrung und des Abfalls von JHWH. Die Könige werden dafür gescholten, dass sie diese Heiligtümer, an denen JHWH (aber nicht nur JHWH!) verehrt wurde, nicht abgeschafft haben – stereotyp kehrt die Wendung wieder: „nur die ‚Kulthöhen‘ verschwanden nicht“ (z.B. 1 Kön 15,14; 22,44; 2 Kön 12,4; 14,4; 15,4). Erst König Hiskija von Juda beginnt damit, diese Heiligtümer zu zerstören (2 Kön 18,4); Joschija setzt dies fort (2 Kön 23,5.8.13.15). Nach dem Exil verliert sich jede Spur dieser Einrichtungen. Nahm man früher an, dass „Kulthöhen“ erhöhte Plätze oder Plattformen für kultische Akte gewesen seien, so geht die neuere archäologische Forschung eher von der Funktion aus, und damit von einem Tempelgebäude, das einer Dorfgemeinschaft als Kultstätte für regionale Gottheiten diente.
4 Der eschatologische Gottesberg – der endzeitliche Berg Zion
In der prophetischen Literatur begegnet mehrfach der eschatologische Gottesberg als Ort endzeitlicher Gerichts- oder Heilsereignisse; der „Berg des Herrn“ oder „Berg mit dem Haus des Herrn“ wird mit dem Zion (Jerusalem) identifiziert. Gleichsam programmatisch steht die dafür charakteristische Perikope von der Völkerwallfahrt zum Zion am Beginn des Jesajabuches (Jes 2,2–5; ebenso Mi 4,1–3): Der Berg ist fest gegründet als höchster der Berge – es geht also nicht um einen geographischen Ort auf der Erde, sondern um die Idee eines Zielpunktes aller Geschichte und allen Strebens der Menschheit. Die Sehnsucht aller Völker nach Weisung und Frieden wird – am „Ende der Tage“ –ihre Erfüllung durch Gott (JHWH) auf seinem Berg und in seinem Haus finden. Im Parallelismus von Jes 2,3 wird dieser eschatologische Gottesberg mit Zion/Jerusalem gleichgesetzt: Von dort kommen Weisung und Wort JHWHs. Zugleich ist dieser Berg der Ort des Heils schlechthin: Die Völker werden ihre Waffen zu nützlichen Werkzeugen des Alltags umfunktionieren und nicht mehr für den → Krieg üben; Israel (das Haus Jakob) wird seine Wege im Licht des Herrn gehen.
In der gleichen Linie liegt die Verheißung des Reiches von Gerechtigkeit und universalem Frieden, das durch den mit Gottes Geist begabten Spross aus der Wurzel Isais in Jes 11 kommen wird; ein Zeichen des von Gott durch den Spross gewirkten Heils wird sein, dass auf dem eschatologischen Gottesberg („meinem ganzen heiligen Berg“) kein Verbrechen mehr begangen wird und das → Land von der Erkenntnis JHWHs erfüllt ist (Jes 11,9; Jes 65,25). Der heilige Berg (Zion) ist damit ein wichtiges Inventar des von Gott verheißenen und zu etablierenden Reiches. Mehrfach begegnet dieser Gedanke auch in den Psalmen, programmatisch schon in Ps 2,6: „Ich selber habe meinen König eingesetzt auf Zion, meinem heiligen Berg.“ Gott wird also das heilvolle Königreich mittels des auf dem Zion eingesetzten Königs aus davidischem Haus aufrichten. Fast immer, wenn in den Psalmen von einem König, der nicht Gott selbst ist, gesprochen wird, ist es der davidische Wunschkönig auf dem Zion, von dem sich Israel die Durchsetzung der göttlichen Gerechtigkeit erhofft – es ist geradezu natürlich, dass diese Vorstellung mit einem hoch erhobenen Ort, eben einem Berg, einhergeht, von dem aus das ganze Land oder sogar die ganze Erde mit Gerechtigkeit und Heil erfüllt werden (→ König, Gott als König).
In entsprechender Weise nimmt die eschatologische Komposition Jes 24–27 (die sogenannte „Jesaja-Apokalypse“, die aber ihrer Gattung nach keine Apokalypse ist) mehrfach Bezug auf den Berg Zion als Ort endzeitlicher Ereignisse. Am Tag des Endgerichts über die Könige der Erde, der sogar Sonne und Mond beschämen wird, wird der Herr der Heere als König auf dem Berg Zion seine strahlende Herrlichkeit erweisen (Jes 24,23). Ein weiteres endzeitliches Ereignis wird das Festmahl für alle Völker auf „diesem Berg“ sein (Jes 25,6–8), und im Zuge dieses Festmahls mit feinsten Speisen wird die Decke, die alle Völker bedeckt, vernichtet („verschlungen“). Mit der Decke ist die Verhüllung des Gesichtes als Zeichen der Trauer gemeint, und was ihre Vernichtung bedeutet, entfaltet Jes 25,8 im Klartext: Gott wird den → Tod für immer vernichtet („verschlungen“) haben. Erst die endgültige Vernichtung des Todes wird in der Endzeit die wahre, ewige Freude bringen; solange es noch den Tod gibt, ist das Reich Gottes noch nicht endgültig etabliert. Die endzeitliche Vernichtung des Todes auf dem Berg Zion ist eine einzigartige alttestamentliche Spitzenaussage; sie wird im NT in 1 Kor 15,54–55 und Offb 21,4 zitiert und fortgeschrieben. Mehrfach erscheint der Berg Zion auch als Ort der Rettung: Gott nimmt die Schande von seinem Volk weg und rettet es, denn die Hand JHWHs ruht auf diesem Berg (Jes 25,9–10a). Für die feindlichen Völker bedeutet dies jedoch Vernichtung (Moab in Jes 25,10b–12). Die einst deportierten Israeliten werden aus der Diaspora zu dem heiligen Berg heimkehren (Jes 27,13). Charakteristisch für Tritojesaja ist, dass auch die → Fremden, die sich an JHWH anschließen und JHWHs Weisung (insbesondere den Sabbat) beachten, zum heiligen Berg Zugang haben (Jes 56,7: das Haus JHWHs als Haus des Gebets für alle Völker). Wer immer auf JHWH vertraut (und nicht den Götzen), wird das Land zum → Erbe bekommen und „meinen heiligen Berg“ besitzen (Jes 57,13).
In den anderen Prophetenschriften finden sich ebenfalls Belege für die Hoffnung auf eine neu etablierte Heilsordnung auf dem Berg Zion, dem heiligen Berg (Jer 31,23; Ez 20,40). Gerade die Rede vom „heiligen Berg“ ist kultisch konnotiert und überträgt die Heiligkeit des Tempels als Begegnungsort mit dem heiligen Gott auf den ganzen Berg bzw. die auf ihm erbaute → Stadt (Zion/Jerusalem). Dies wird entsprechend aus der großen Schlussvision Ezechiels über den wiedererrichteten Tempel auf dem „Gipfel des Berges“, der hochheiliger Boden ist, deutlich (Ez 40,2; 43,12). Auch im Zwölfprophetenbuch steht der Berg Zion für die bereits genannten Aspekte: Der heilige Berg ist Ort eschatologischer Ereignisse: „der Tag JHWHs“ (Joel 2,1), der Ort der Rettung für die Getreuen, die JHWH anrufen (Joel 3,5; Obd 17), der Ort der kultischen Reinheit als Wohnort JHWHs (Joel 4,17; Sach 8,3), der Ort der