Bereuen. Dong Xi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dong Xi
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783954521128
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Tränen, als wären sie durch Sandkörnchen gereizt. Mein Vater packte die toten Hunde in die Matten ein und schmiss sie vor die Tür des Lagers. Mittels eines Stabs hob Tausendjahr unter der Mithilfe von Hunderthaus die Hunde hoch und hing sie an Baumzweige vor der Tür. Der Stab befand sich ausgerechnet auf der Mitte der Verbindung. Die beiden Hunde hingen mit ihren Hintern gegen den Himmel und mit den Köpfen zur Erde, derart symmetrisch, als ob ein Hund sich im Spiegel spiegelte. Die zunächst auseinander gegangenen Zuschauer sammelten sich allmählich wieder. Tausendjahr, mit Finger auf die Hunde deutend: „Ihr sollt nicht glauben, es ginge hier bloß um die Frage der Hunde. Vielmehr handelt es sich hier darum, ob jemand hinter den Kulissen mit Absicht die Drähte zieht. Erotik in der Öffentlichkeit ist viel schlimmer als Pornobücher. Ihr seid alle anwesend gewesen. Ich hoffe, ihr könnt das klären und anzeigen.“

      Mein Vater drehte sich um und ging weg, womit in der Menschenmenge eine Lücke entstand, die aber durch meine Mutter ausgefüllt wurde, die gerade Feierabend machte. Meine Mutter hieß Lebensfroh Wu und kam aus gutem Haus. Sie beherrschte Kaligrafie, spielte ein Musikinstrument und war gut im Sticken. Sie war weit und breit bekannt, wobei selbstverständlich eher durch ihre persönliche Schönheit als durch ihre Kaligrafie und Stickerei. Nach der Gründung der Volksrepublik änderte sie fortwährend ihre Weltanschauung und bemühte sich, durch ihre beiden fleißigen Hände die Tiere im Zoo sorgfältig zu züchten. Tausendjahr starrte meine Mutter an: „Diejenigen, die heute die Hunde bei der Paarung beobachtet haben, müssen entweder eine eingehende Selbstprüfung ausführen oder einen entlarvenden Brief schreiben und ihn mir binnen drei Tage aushändigen.“

      Die Menschen verschwanden einer nach dem anderen. Onkel Zhao spuckte ein paar Mal auf den Boden, drehte sich um und ging auch. Letztendlich blieben vor Tausendjahr nur noch vier Schüler der Fünften Mittelschule zurück. Es waren Hunderthaus, Weiherchen, Helllicht Rong und ich. Tausendjahr betrachtete die allmählich scheidenden Rücken: „Um einen Tiger zu schlagen braucht man blutsverwandte Gebrüder, um aufs Schlachtfeld zu gehen, müssen es Lehrer und Schüler tun. Wenn man heute nichts schreibt, gibt es morgen keine Chance mehr. Meine Schüler, ihr schreibt das auf, egal ob die anderen das tun oder nicht. Ihr schreibt mit Niveau. Euer Niveau wird dann durch den Lautsprecher der Schule publik gemacht.“

      Ich muss hier ein paar Worte über das Lager sagen. Dies Lager war ein Nachlass von meinem Großvater. Er war ein Kapitalist. Vor der Gründung der Volkrepublik machte er eine Zeit lang Geschäfte mit westlicher Medizin. Im Jahr 1949 wurde die Stadt durch die neue Regierung übernommen. Er spendierte all seine Immobilien. Mit einem kaputten Lederkoffer eilte er mit Kind und Kegel zum Bahnhof und war bereit, in seine alte Heimat auf dem Lande umzuziehen. Wegen seiner aktiven Vermögensübergabe an die öffentlichen Anstalten schickte der damalige neue Oberbürgermeister zwei Sekretäre zum Bahnhof, um meinen Großvater zurückzuhalten und gab ihm zum Dank das Medikamentenlager meiner Familie fürs Wohnen zurück. Das war natürlich nicht für meine Familie allein. Wäre das umfangreiche Haus nur für eine Familie zum Wohnen gewesen, hätte das bedeutet, daß die beabsichtige Umerziehung gar nicht ausgeführt wurde. Auf diese Weise wäre er ein stinkender Kapitalist geblieben. Deshalb waren insgesamt drei Familien in das Lager eingezogen. Neben uns waren noch die Familien von Wärmespender Yu und von Onkel Zhao. Die Familie Yu führte in der Vergangenheit für uns die Buchhaltung und Wärmespender war unser Hausverwalter. Familie Zhao war unser Diener. Sie erledigte die körperliche Arbeit wie Karrenziehen oder Sacktragen. Ich war zu der Zeit noch nicht geboren. Solche Geschichten bekam ich später aus dem Mund der Erwachsenen zu hören. Als ich geboren wurde, war mein Großvater bereits beim König des Totenreiches. Ich wusste wenig von ihm. Gegebenheiten wie das schwarze Muttermal im Handteller meiner Schwester und die lockeren Haare an meinem Kopf konnte man trotz aller Mühe nicht ausschaben und geradebiegen. „Dem Restgesindel der Kapitalisten“ war gedanklich ein zehnstufiger Hoher Papierhut als Demütigungen aufgesetzt. Wer ihn auf den Kopf gesetzt bekam, dem war als Folge eine Halswirbelkrankheit zugefügt worden. Der hätte gar „Kanzler Buckliger Liu“ werden müssen, seinen Kopf nicht erheben und seine Augen nur auf eigene Zehen richten können. Ach Entschuldigung, ich bin vom Thema abgeschweift! Ich fahre nun fort mit meiner Erzählung über das Lager.

      Das Lager wurde durch rote Backsteinmauern für die drei Familien aufgeteilt. Jeder Teilbereich mit Schlafzimmer und Küche. Bloß die Toilette und das Dach teilten alle drei Haushalte gemeinsam. Die Toilette wurde hinter dem Lager mit fünf Hockhöhlen gebaut. Sie konnte gleichzeitig drei Männer und zwei Frauen aufnehmen. Das sogenannte gemeinsame Dach hieß zwar so, doch jede Wand, die vier Meter hoch gebaut wurde, war oben nicht zugemauert und man konnte darüber von jedem Zuhause aus erhobenen Hauptes die Dachsparren, Dachziegel und Dachgläser erblicken. Deshalb strömten die Stimmen aller Familien wie Dampf nach oben, kreuzten sich gemeinsam und steckten sich unterm Dach an.

      An jenem Abend waren auf unserem Speisetisch rote Süßkartoffeln, Moschuskürbis aufgestellt. Nachdem mein Vater etwas gegessen hatte, legte er die Stäbchen hin, griff zum Küchenbeil und ging nach draußen, um den Hunden das Fell abzuziehen, um das Fleisch in Sojasoße zu schmoren.

      Ich schrie laut: „Ich mag kein Hundefleisch!“ Mein Vater schwenkte das Messer. „Hast du denn Angst, das Fleisch in deinen Rachen gesteckt zu bekommen?“ Ich wischte meine Augenwinkel einmal ab. „Alles war deine Schuld! Unsere Hunde wären nicht tot, wenn du sie nicht mit den Matten eingesperrt hättest.“

      „Die wollten selber nicht weiterleben. Wie kannst du die Schuld auf mich abwälzen?“

      „Doch, das war deine Schuld! Ohne deine Einsperrung hätte Direktor Zhao die Hunde nicht sehen können und sie hätten keinen Schlag gekriegt. Ohne den Schlag wären sie nicht weggelaufen und nicht durch den Wagen überrollt worden“

      „Du bist doch selbst schuld. Ich frage dich, wer hat denn Tausendjahr den Stab gegeben?“

      Auf einmal guckte ich dumm aus der Wäsche. War ich es denn nicht, der den Stock gegeben hat? Warum gab ich ihm den Stock? Hätte ich den Stock nicht gegeben, so hätten die Hunde überleben können?

      „Schiebe nicht immer die Schuld den anderen zu. Du sollst lernen, die Ursachen auf dein eigenes Verhalten zurückzuführen.“

      Mit diesen Worten trat mein Vater aus der Tür. Meine Mutter schlug die Stäbchen kräftig auf den Tisch: „Ich finde, du selbst hast auch nicht gelernt, die Ursachen im eigenen Verhalten zu finden! Du sollst dich besser zuerst scheiden lassen, bevor du solche schmutzigen Sachen isst.“ Sie stritten darüber, ob man das Hundefleisch essen sollte. Blümchen Zeng fing vor Schreck an zu weinen... Mein Vater muss zwangsweise das Beil aus der Hand legen. Er konnte nichts anders als den Wunsch zu unterdrücken. Er musste sich mit dem Moschuskürbis abfinden. Während des Essens war er verstummt. Meine Mutter jedoch redete ununterbrochen, plätscherte wie ein aufgedrehter Wasserhahn. „Unser Zoo hat einen Tiger zugeteilt bekommen,“ sagte sie. „Er wurde vor kurzem im Wald gefangen. Er ist böser als alle anderen. Aber der Zoodirektor He hat ihm trotzdem einen weiblichen Namen gegeben, wie etwa Orchidee“

      „Solltest du dich nicht waschen, schaust du mich ab heute nicht mehr an, um mich nicht schmutzig zu machen.“ Die Stimmen von Tausendjahr schlugen wie Backsteine plötzlich vom Dach nieder und unterbrachen die Erzählung meiner Mutter. Hunderthaus und ich liefen vor die Tür der Familie Zhao und sahen auf dem Tisch ein Becken mit klarem Wasser. Tausendjahr befahl Bergfluss, ihre Augen zu waschen. Diese aber wehrte sich. „Man hat nur gehört, vor Mahlzeiten die Hände zu waschen, nicht aber die Augen.“ Tausendjahr packte die Haare von Bergfluss und drückte ihr Gesicht ins Becken. Bergfluss wehrte sich vehement dagegen und stieß dabei das Becken um. Wasser wurde dadurch auf die Hosenbeine von Tausendjahr verschüttet.

      Bergfluss schwenkte mit einem Ruck ihren Zopf nach hinten. „Musst du denn deine Hände trainieren wollen, um mich wie einen Klassenfeind zu schlagen?“

      „Schäme dich! Hast du dich nicht gescheut, der Paarung zuzuschauen?“ Tausendjahr schüttelte dabei seine Hosenbeine aus. „Papa hat zugeschaut, Mama und Tante Fang auch, und sogar die Kids. Warum durfte ich nicht? War das nicht bloß Hintern gegen Hintern?“ Die Stimme von Bergfluss war so schrill, daß es fast die Ziegel vom Dach herab gerissen hätte. Beim Sprechen machte sie verärgert einen Schmollmund.