Die Masche war immer dieselbe: Der Scheinbetrieb fingierte Bargeldumsatz, nahm dessen Besteuerung hin, die im Kosovo ohnehin gering war, und konnte netto über einen reingewaschenen Buchgeldbetrag aus anderweitigen, ergo schwarzen, Einnahmen verfügen. Wo aber kam das viele Schwarzgeld her, soweit es nicht unmittelbar aus der lokalen Prostitution stammte? Es war unter uns Internationalen ein offenes Geheimnis, daß das Kosovo neben seiner Funktion als Umschlagplatz für den Menschenhandel auch für den Transit von Waffen und Drogen nach Europa die Rolle eines Drehkreuzes einnahm. Mit diesen gewiß finstersten Seiten des Landes kam ich kein einziges Mal wissentlich in direkte Berührung, aber ihre Umstände erschlossen sich mir anhand zahlreicher Gespräche mit im Sicherheitsbereich tätigen Polizei- und Nachrichtenleuten sowie aus einigen Berichten des Bundesnachrichtendienstes, die mir zugänglich waren. Auch die Plattform Wikileaks hat seither einiges geleistet, um derlei Analysen der breiten Öffentlichkeit zu erschließen.
Man wußte schon lange vor der Staatsgründung, daß die wirtschaftliche Größenordnung der organisierten Kriminalität im Kosovo mehr als ein Viertel des offiziellen Bruttosozialprodukts ausmachte. Das Kosovo galt und gilt dank der faktisch nicht vorhandenen Strafverfolgung als polikrimineller Multifunktionsraum. Sein rechtsfreier Orbit war und ist das Operations- und Rückzugsgebiet der albanischen Mafia, die von hier aus ihre Machenschaften in ganz Europa weitgehend ungestört koordinieren konnte und auch weiterhin kann. Zwischen Politik, Wirtschaft und organisierter Kriminalität bestanden und bestehen bis heute engste Verflechtungen. Der mit der in den 1990er Jahren gegründeten UÇK erfolgte paramilitärische Freiheitskampf war weitgehend durch organisierte Kriminalität finanziert worden. Nun war der Krieg vorbei und die UÇK aufgelöst, aber die zu ihrer Finanzierung etablierten Netzwerke bestanden fort und paßten sich den neuen Gegebenheiten an. Sie konnten gar kein Interesse an dem von uns angestrebten Aufbau staatlicher Ordnung, an einer politischen Stabilisierung und der wirtschaftlichen Genesung des Landes haben. Hohe und höchste Funktionsträger der kosovarischen Seite galten uns hinter vorgehaltener Hand als weitgehend kompromittiert, wenn nicht gar als Köpfe der auf der traditionellen Ordnung von Großfamilien und Stämmen basierenden kriminellen Strukturen. Diese Leute haben im übrigen auch keinerlei Interesse an einer Vereinigung mit Albanien, weswegen es kein Zufall ist, daß ausgerechnet die großalbanisch orientierten politischen Kräfte noch am ehesten für Korruptionsbekämpfung stehen, nicht aber diejenigen, die sich mit der Kleinstaaterei schon viel besser arrangiert haben.
Die Kapitulation vor der organisierten Kriminalität war kein Ruhmesblatt für UNMIK, die ja den Aufbau des Staatswesens hätte vorantreiben sollen. Die Verantwortung, diese unerfüllte Aufgabe fortzuführen, sollte nun unter unserer Aufsicht auf die neu zu schaffenden nationalen Strukturen übergehen, die sich zwar den Anschein des Staatlichen geben konnten, ihrer Natur nach aber demselben kulturellen Nährboden entstammten wie das Problem, das sie bekämpfen sollten. Wie der Lügenbaron Münchhausen sollte der kosovarische Staat sich am eigenen Schopfe aus dem Sumpf ziehen. Da gab es nun dem Papier nach Ministerien und Regierungsdirektoren, doch die Minister fühlten sich nicht dem Volk und ihrem Amt verantwortlich, sondern den Loyalitäten, die sich aus der Familie, dem Guerillakrieg und der organisierten Kriminalität ergaben. Jeder wußte das, und jeder wußte, daß jeder es wußte – also sprach man darüber nicht. You pretend to be a state and we pretend to believe you. So soll der internationale Aufseher Paddy Ashdown in vergleichbarer Situation über Bosnien gesagt haben, und das zitierten wir auch oft und gern für das Kosovo.
Da die sogenannte Internationale Gemeinschaft nun ganz offensichtlich den Bock zum Gärtner machte und hierbei dann doch leise Zweifel bekam, sollte es wenigstens ab dem Sommer 2008 ein wenig Anleitung und Unterstützung im Erstreben nationaler Rechtsstaatlichkeit geben, und zwar durch die sogenannte Eulex-Mission der Europäischen Union. Meine Skepsis zu deren hoch gehandelten Erfolgsaussichten war bereits nach kurzem Aufenthalt im Kosovo größer als die naiven Hoffnungen, die seitens der Bevölkerung anfänglich in sie gesetzt wurden. Der Glaube, daß mit dem Weggang von UNMIK und der Ankunft von Eulex alles oder zumindest vieles in der Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität besser werden mußte, war in der Übergangsphase bei den einfachen Leuten weit verbreitet und äußerte sich oftmals in rührender Sympathie gegenüber uns Europäern. Denn die Vorzüge der Korruption und der organisierten Kriminalität beschränken sich immer nur auf wenige, während die große Masse der Bevölkerung nichts sehnlicher wünscht als die Befreiung von dieser Geißel. Gerade von den Deutschen schien man sich viel zu versprechen, als hätte nicht schon so mancher meiner Landsleute die Menschen hier gelehrt, daß wir keine Wundertäter waren, die das Übel über Nacht hätten abschaffen können.
Sowohl die hohe Kunst der politischen Korruption als auch die Schwindeleien des kleinen Mannes in solcherlei kultureller Sphäre waren mir bei meiner Ankunft auf dem Amselfeld noch gründlich fremd. Das Phänomen der Korruption ist derart vielgestaltig, daß es in verschiedenen Kulturen sehr unterschiedliche Erscheinungsformen annehmen kann. Bei genauer Betrachtung schien mir das Mehr an Korruption, das ich im Kosovo zu erkennen glaubte, recht eigentlich nur ein Anders zu sein, womit gemeint ist, daß das Phänomen auch in den mir geläufigen Kulturkreisen auftritt, bloß in verschiedener Gewandung.
Korruption in Deutschland ist subtiler, weniger brachial, raffinierter. Vorteilsnahme, Bestechung, Manipulation, Insiderhandel, die Gefälligkeiten politischer Loyalität, auch in gerade in ehemals bürgerlichen Parteien, das kommunal umgesetzte Bau- und Vergaberecht und die Lebenshaltung so mancher Angehöriger der Finanzelite – dazu muß man nicht ins Kosovo reisen. Dort ist es für unseren verwöhnten Blick nur so herzerfrischend offenkundig zu sehen, wie ubiquitär die Verletzung des allgemeinen durch das partikulare Interesse daherkommen kann; denn nichts anderes ist die Korruption ihrem Wesen nach. Sie in ihrem frühen Stadium so unverblümt demonstriert zu bekommen, schult den Blick für den Rest des Lebens.
Der Unterschied liegt in der Systematik, das heißt in der Abstufung, ob ein Phänomen wie der Klientelismus die Ausnahme darstellt oder die Regel. In Ländern wie dem Kosovo liegen in Staat und Gesellschaft durchgängig personelle Abhängigkeiten vor, die das Zusammenleben nicht nach Recht und Gesetz, sondern nach Geben und Nehmen strukturieren. Es handelt sich um ein anderes und – aus unserer Sicht – schlechteres soziales Organisationsschema, aufbauend auf feudalistischen und der Großfamilie entsprechenden Strukturen, unvereinbar mit unserem Ideal des Rechtsstaats. Erst später wurden mir Ausmaß und Systematik dieses Unterschieds bewußt, war mein Auge entsprechend geschärft und begann ich, nach den Gründen zu fragen.
Ganz zu Beginn meines Aufenthalts aber dachte ich mir rein gar nichts anhand der viel zu zahlreichen Auto Larjes, nahm vielmehr die wenig ansehnlichen Neubauten links und rechts der Straße in Augenschein und unterhielt mich mit Aidan, dem Fahrer. Eine drängende Frage wollte ich ihm stellen:
»Sagen Sie bitte – warum hat mich mein Mobilfunknetz vorhin bei der Ankunft eigentlich in Monaco begrüßt und nicht im Kosovo?«
Aidan lachte. »Ach, das liegt daran, daß wir hier das Netz von Monaco nutzen. Wir haben keine eigene Landesvorwahl.«
»Wie bitte?«
»Kein Witz. Für Festnetz gilt noch die serbische Nummer. Nullnulldreiachteins. Und für Mobilfunk diejenige aus Monaco. Nullnulldreisiebensieben. Die Auslandsgespräche laufen alle über Monaco, wofür die auch ein Drittel des Umsatzes kassieren. So ist das hier bei uns. Wir sind halt noch ganz am Anfang.«
Dann fragte Aidan mich ein wenig aus. Er erfuhr, daß ich Anfang dreißig war, mich ein wenig mit Staatsfinanzen auskannte und fortan der Vorbereitungsmannschaft angehören würde, die das ICO innerhalb weniger Wochen aufbauen sollte. Ich war der neuzuschaffenden Einheit Economic and Financial Affairs Unit zugeordnet, deren Abkürzung an einen prächtigen Ziervogel denken ließ: EFAU.
Aidan maß diesem Bereich große Bedeutung bei. Economy is very important for Kosovo, sagte er an verschiedenen Stellen unseres Gespräches. Ich wußte bereits aus meiner Vorbereitung auf die Einstellungsgespräche, die ich