Leitfaden Growth Marketing. Tomas Herzberger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tomas Herzberger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783943666298
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      Termine sind der größte Feind von Agilität, obwohl sie in bester Absicht gesetzt und verfolgt werden. Termine sind allerdings ein wesentliches Element unsere Sozialisierung: Eine große Aufgabe (ein Projekt) wird dadurch termingerecht fertig, dass die einzelnen Meilensteine und Projektschritte jeweils termingerecht fertig werden.

      Diese fast überall praktizierte Vorgehensweise hat allerdings dramatische Implikationen: Wer danach beurteilt wird, ob sie/er zuverlässig liefert, wird sich mehr Zeit einplanen als durchschnittlich für eine Aufgabe notwendig ist (sonst kann man nicht zuverlässig sein) und diese Zeit auch selbst vollständig verbrauchen (damit auch zukünftig die eigene Zeitschätzung ungekürzt in der Projektplanung berücksichtigt wird).

      Kommt es innerhalb des Projektes nun aber zu einer starken Verzögerung („Murphy schlägt zu“), kann diese Verspätung nur schwer eingeholt werden, da niemand seinen Planaufwand unterschreiten „darf“.

       Staffelläufer-Prinzip

      Um Agilität zu ermöglichen, muss das Unternehmen also nicht nur dafür sorgen, dass so wenige Projekte gleichzeitig aktiv sind, dass diese nicht mehr chronisch um Managementaufmerksamkeit und Ressourcen konkurrieren. Das Unternehmen muss auch auf Termine verzichten und stattdessen den Menschen ermöglichen, einer Arbeitsweise zu folgen, die als „Staffelläufer-Prinzip“ bezeichnet werden könnte:

      •Hat jemand gerade keinen Staffelstab (keine Projektaufgabe), wartet sie/er darauf und bereitet sich vor.

      •Hat jemand gerade den Staffelstab (diese Projektaufgabe), hat sie/er nicht anderes zu tun, als diesen Staffelstab (diese Aufgabe) auf dem richtigen Weg so schnell wie möglich zu transportieren (zu bearbeiten) und ordentlich an die/den nächste/n zu übergeben.

      Diese Arbeitsweise kann allerdings nicht erzwungen werden, sondern wird dadurch ermöglicht, dass die einzelne Person sich voll auf eine Aufgabe konzentrieren kann (statt mehrere Aufgaben gleichzeitig jonglieren zu müssen) (Abbildung 2).

      Abb. 2: Das Staffelläufer-Prinzip.

       Termine sind irrelevant

      Da Termine in unserem Wirtschaftsleben eine derart große Bedeutung zu haben scheinen, klingt die Forderung „auf Termine verzichten“ geradezu widersinnig. Deshalb müssen wir uns etwas intensiver mit der Notwendigkeit von Terminen befassen:

      Für die meisten Projekte ist es „in Wirklichkeit“ völlig irrelevant, wann genau sie fertig werden. Viel wichtiger für das Unternehmen ist es, dass möglichst viele der Projekte, die für das Unternehmen wichtig (weil ergebnisrelevant) sind, so schnell wie möglich fertig werden. Ein Unternehmen, das es schafft, pro Jahr mehr Projekte abzuschließen (allerdings „unpünktlich“) ist agiler, effizienter, effektiver und lukrativer als ein Unternehmen, das – unter ansonsten gleichen Bedingungen – fast jedes Projekt pünktlich fertigstellt, dafür allerdings pro Jahr weniger Projekte fertigstellt.

      Nun werden einige vielleicht einwenden, dass es aber doch Projekte gibt, die total terminkritisch sind. Zum Beispiel wäre es fatal, mit der notwendigen Vorbereitung für eine Messe nicht zu Beginn der Messe fertig zu sein. Das stimmt selbstverständlich. Allerdings gibt es überhaupt keine Notwendigkeit, genau am Tag vor Messebeginn mit den Vorbereitungen fertig zu werden; vier Wochen früher wäre überhaupt kein Schaden.

      Es mag paradox erscheinen, ist aber dennoch wahr:

      •Eine Multiprojektorganisation auf Termintreue zu steuern (insbesondere durch das Prinzip „Projektzuverlässigkeit soll durch Vorgangszuverlässigkeit bewirkt werden“) erzeugt eine langsame, träge, unflexible Organisation.

      •Eine Multiprojektorganisation auf Geschwindigkeit zu steuern (ohne dabei mit Terminen zu arbeiten), macht sie schnell, flexibel, hochgradig effektiv und erhöht (im Nebeneffekt) auch ihre Termintreue (bezüglich der sehr wenigen Projekte, für die es eine echte physikalische „Deadline“ gibt).

      Man sollte sich die besonders erfolgreichen Unternehmen dieser Welt anschauen. Man wird überall erkennen, dass „Geschwindigkeit“ viel wichtiger ist als „Zuverlässigkeit“.

       Taktische Prioritäten

      Auch wenn deutlich weniger Projekte gleichzeitig aktiv sind, kann es immer noch temporär vorkommen, dass Projekte um Managementaufmerksamkeit und Ressourcen konkurrieren. Für diesen Fall benötigen die Führungspersonen und Mitarbeitenden klare, eindeutige taktische Prioritäten.

      Wie genau diese Prioritäten zustande kommen, ist im Grunde irrelevant. Relevant ist, dass die Menschen geneigt sind, sich entsprechend dieser Prioritäten zu verhalten. Die beiden besten Methoden dafür sind:

      1.First in, first serve: Ein Projekt, das früher begonnen hat, bekommt im Zweifelsfall Vorfahrt. Diese Vorgehensweise ist ideal, wenn die Projekte etwa gleich lang/groß sind.

      2.Verhältnis zwischen Projektfortschritt und Pufferverbrauch: Ein Projekt, das langsamer vorankommt (als geschätzt), bekommt höhere Priorität als ein Projekt, das schneller vorankommt (als geschätzt). Diese Vorgehensweise ist ideal, wenn die Projekte sich in Größe, Dauer, Aufwand, … stark unterscheiden (was der Normalfall ist).

      Um die Methode „Verhältnis zwischen Projektfortschritt und Pufferbrauch“ verwenden zu können, ist es erforderlich, einen expliziten Projektpuffer auszuweisen. Gängige Praxis ist, die Gesamtplandauer des Projekts um ein Drittel zu verkürzen und dieses Drittel als explizite Sicherheit zu verwenden. Sowie Vorgänge länger dauern als der Plan vorsieht, wird Sicherheit verbraucht; die taktische Priorität des Projekts steigt. Geht etwas schneller als der Plan vorsieht (was im Staffellauf durchaus vorkommen kann), wird Sicherheit zurückgewonnen; die taktische Priorität des Projekts sinkt (Abbildung 3).

      Abb. 3: Explizite Planung von Sicherheiten.

       Steuerung der Projektumsetzung

      Wie kann man nun konkret vorgehen, um die Multiprojektorganisation zu planen und zu „agil“ zu steuern? Eine praxiserprobte und vielfach erfolgreiche Vorgehensweise dazu besteht aus den folgenden Phasen und Schritten:

       Phase 0: Erfassung Ist-Situation

      1.Anzahl der pro Jahr fertiggestellten Projekte (= Projektfertigstellungsrate)

      2.Anzahl der gleichzeitig aktiven Projekte (= Work in Progress)

      3.Berechne: durchschnittliche Projektlaufzeit (= Work in Progress/Projektfertigstellungsrate)

      4.Prüfe, ob der zuvor dargestellte Teufelskreis die Ist-Situation des Unternehmens annähernd beschreibt (das ist sehr wahrscheinlich).

       Phase 1: Workload reduzieren

      1.Identifiziere, welche Projekte jetzt zwingend erforderlich sind.

      2.Stelle alle anderen Projekte und Initiativen zurück oder streiche sie.

      3.Konzentriere Managementaufmerksamkeit und Ressourcen auf die wenigen weiterhin aktiven Projekte.

      4.Starte ein neues (reaktiviere ein unterbrochenes Projekt) in dem Moment, in dem ein aktives Projekt fertiggestellt ist. So bleibt der Workload unter Kontrolle.

       Phase 2: Staffelung der Projekte

      1.Lege