Der Aufstieg von Atlantis. Daniel Whitmore. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Daniel Whitmore
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Научная фантастика
Год издания: 0
isbn: 9783948397258
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Blätter davon und mischte sie in die Reispfanne, die sie sich repliziert hatte. Das replizierte Zeug schmeckt immer gleich und ich hab die Blätter auf Giftstoffe überprüft. Vertrau mir, das wird lecker.

      Das hast du auch bei deiner letzten Kombination gesagt, und das war echt widerlich,erwiderte Galizia, die alte Atlantin, mit der Valentina ihren Körper teilen musste.

      Und doch war es immer noch besser als der Brei, den ich jahrelang hab essen müssen,stellte Valentina trocken fest.

      Als sie noch ein Mensch gewesen war, war Valentinas Leben furchtbar gewesen. Sie selbst hatte nichts anderes gekannt und so auch nichts vermisst, aber rückblickend fragte sie sich, ob es überhaupt ein Leben gewesen war. Sie war mit einer seltenen Krankheit geboren worden. Ihre Nervenzellen waren von ihrem eigenen Immunsystem angegriffen worden und sie war schon ihr gesamtes Leben auf Hilfe angewiesen gewesen. Sie hatte sich kaum bewegen können und hatte ihr Leben in einem Bett oder ab und zu, wenn es ihr mal besser ging, in einem Rollstuhl verbracht. Sie hatte zwar sprechen, lesen und schlucken können, aber davon abgesehen hatte sie für alles Hilfe benötigt. Sie hatte ihr Zimmer fast nie verlassen, hatte kaum andere Menschen als ihre Eltern und ihren Bruder gesehen und das Essen hatte immer nach nichts geschmeckt. Ihre Geschmacksnerven waren mit als Erstes von ihrem Immunsystem zerstört worden und so hatte sie nie gewusst, dass es so etwas wie süß oder salzig gab. So hatte sie Tag für Tag damit verbracht, an die Decke oder in den Fernseher zu starren und in Gedanken zu versinken. Jeder Tag hätte der sein können, an dem ihr Körper beschließen würde, ein lebenswichtiges Organ anzugreifen, ihre Wirbelsäule oder ihr Gehirn. Dann wäre ihr Leben zu Ende gewesen. So hatte sie vierzehn Jahre lang vor sich hin vegetiert, bis an einem der letzten Wintertage ihr Bruder in ihr Zimmer kam. Er war zu ihr gekommen mit demselben mitleidvollen Gesichtsausdruck, den er immer bei ihr aufgesetzt hatte und hatte sie nur gefragt: „Willst du hier raus?“ Sie hatte nicht gewusst, was er damit meinte, doch sie hatte sofort Ja gesagt. Vermutlich hätte sie sogar Ja gesagt, wenn er gefragt hätte, ob er sie erlösen sollte. Ein kleiner Stich an ihrem Hals, den sie kaum gespürt hatte, dann war er auch schon wieder weg gewesen. Einen Moment hatte Valentina gedacht, er hätte ihr irgendein Gift gespritzt oder etwas in der Art, und als sie immer müder geworden war, hatte sie schon damit gerechnet, nicht mehr aufzuwachen. Es wäre ihr egal gewesen. Doch statt zu sterben, war sie irgendwann in einem Krankenhaus wieder aufgewacht. Sie hatte erfahren, dass sie in eine Art Koma gefallen war und fast nicht wieder aufgewacht wäre. Drei Tage lang war ihr Körper kurz davor gestanden zu versagen, doch die Ärzte hatten sie retten können.

      Noch am selben Tag, als feststand, dass sie wieder stabil war, war sie wieder nach Hause gebracht worden. Am Abend war erneut ihr Bruder zu ihr gekommen.

      „Es hat nicht geklappt“, hatte sie traurig gesagt.

      „Doch, hat es“, hatte er widersprochen. „Du wirst schon sehen.“ Und sie hatte es gesehen. Noch in derselben Nacht war Galizia erwacht und Valentina in ihren Träumen in ihre Erinnerungen eingetaucht. Sie war durch Wälder gerannt, durchs Meer geschwommen, auf einen Berg geklettert und auf einem Segler durch die Lüfte geflogen. Nie zuvor hatte sie sich so frei gefühlt.

      Als sie im Morgengrauen erwacht war und als die Realität sie einholte, hatte sie geweint. Bis eine Stimme in ihrem Kopf erklungen war. Eine Stimme, die ebenfalls gedacht hatte, dass sie eigentlich tot sein müsste. Galizia hatte ihr erzählt, wer und vor allem was sie war. Sie hatte Valentina vom alten Atlantis erzählt und von der Magie. Valentina hatte schon gedacht, nun endgültig den Verstand verloren zu haben, bis ihr Bruder zu ihr gekommen war und ihr und der alten Atlantin erklärt hatte, was gerade mit ihnen geschah. Er hatte ihr einen Interfacekern in den Hals implantiert und dieser hatte dann Naniten in ihren Blutkreislauf freigesetzt. Die Naniten hatten daraufhin angefangen, ihre DNS umzuschreiben und sie zu etwas zwischen Mensch und Atlantae zu machen. Auf dem Kern war auch Galizias Bewusstsein gespeichert gewesen und nun lebte sie in einem Nervengeflecht, das Valentinas Körper durchzog. Ihr Bruder hatte diesen Prozess ebenfalls mitgemacht und trug einen Atlantae in sich, der sich beim Untergang von Atlantis auf den östlichen Klippen, direkt in der Nähe der Ursache ihres Untergangs, befunden hatte. Mit ihrer Transformation waren sie ein ziemliches Risiko eingegangen, denn der Transformationsprozess kostete viel Kraft und Valentina war sowieso schon stark geschwächt gewesen. Es hätte gut sein können, dass sie dabei gestorben wäre und das wäre dann auch Galizias endgültiger Tod gewesen. Doch zum Glück war es anders gekommen. Valentina war von Tag zu Tag stärker geworden und gewann nach und nach die Kontrolle über ihren Körper zurück. Die atlantischen Gene überschrieben die fehlerhaften Gensequenzen, die für ihre Krankheit verantwortlich waren, und die zerstörten Nervenbahnen konnten sich neu bilden. Für ihre Eltern war es ein Wunder gewesen und mit ärztlicher Unterstützung konnte sie bald alleine essen, sitzen und sogar laufen. Als sie das erste Mal mit ihrem Bruder durch die Stadt gegangen war, hatte sie vor Freude geweint. Bei all den alltäglichen Wundern, die sich ihr nun offenbarten, war die Magie, die sie irgendwann auf einmal wirken konnte, auch nicht so sehr viel unglaublicher für sie gewesen. Ihr Körper verbesserte sich Tag für Tag immer weiter und ließ nach und nach sogar das menschliche Normal hinter sich zurück, das für sie zuvor immer in unerreichbarer Ferne gewesen war. Nachdem auch ihre Geschmacksnerven sich wieder regeneriert hatten, hatte sie angefangen, das nachzuholen, was ihr bisher entgangen war. Doch die freudige Zeit hatte nicht lange angehalten. Drei Monate nach ihrer Wunderheilung hatte sie erfahren, dass sie zu umfassenden Untersuchungen in eine Spezialklinik sollte. Man wollte ergründen, woher ihre plötzliche Heilung kam und Valentina wusste von ihrem Bruder, wenn man Galizia finden würde, wäre das gar nicht gut für sie. Ihr Bruder war einen Monat zuvor dem Ruf von Atlantis gefolgt und befand sich in der Bunkeranlage, wo die Basis der Atlantae entstand. Sie hatte eine Entscheidung treffen müssen und hatte sich für die Freiheit entschieden. Es tat weh, ihre Eltern zu verlassen, vor allem nachdem sie gesehen hatte, wie sehr die beiden unter dem Verschwinden ihres Bruders litten. Valentina hatte ihnen einen krakeligen Brief hinterlassen und war in der darauffolgenden Nacht verschwunden. Zum Glück hatte es in der Nähe weitere Atlantae gegeben, die ebenfalls zur neuen Basis wollten und mit deren Hilfe sie ohne Probleme dorthin gekommen war. Alleine wäre sie wohl aufgeschmissen gewesen. Zwar wusste sie von Galizia einiges über das Leben im alten Atlantis, aber sie hatte immer noch keine Ahnung, wie es in der Welt der Menschen so zu ging. Sie war nie mit dem Zug gefahren oder hatte etwas kaufen müssen. Sie hatte keine Ahnung von den Regeln und den Gesetzen der Welt. Bis zu diesem Zeitpunkt war das auch nie wichtig gewesen. Zum Glück hatte sie nicht lange in dieser Welt bleiben müssen und die Regeln der Atlantae waren wesentlich einfacher gewesen. Dennoch war sie, nachdem sie in der Unterwasserbasis der Atlantae angekommen war, wieder eingesperrt gewesen. Valentina hatte es ertragen, denn zumindest war sie dank der Atlantae endlich selbstständig und konnte selbst über ihr Leben bestimmen. Ihr Bruder hatte unterdessen versucht ihr beizubringen, wie man sich unter Leuten verhielt, was sie ebenfalls nie gelernt hatte. Selbst unter den Atlantae, die alles andere als normal waren, galt sie schnell als Sonderling.

      Nach ihrer Flucht von der Erde war es besser geworden. Zwischen der endlosen Weite der Sterne fühlte sie sich frei, obwohl sie auf einem Schiff mit Hunderten anderen Atlantae eingesperrt war. Sie hatte dort weitergemacht, wo sie auf der Erde aufgehört hatte. Sie war hungrig auf das Leben. Sie wollte Neues schmecken, riechen, fühlen, hören und sehen. Wo immer es ging, versuchte sie die Rationen anderer Atlantae gegen andere Dinge einzutauschen und sie experimentierte mit den unterschiedlichsten Kombinationen herum. Meist hatte sie dafür deren Arbeitsschichten übernommen, was sie überhaupt nicht störte. Vierzehn Jahre lang hatte sie nur gefühllos dagesessen, jetzt freute sie sich, wenn sie ihren Körper spürte, selbst wenn es Erschöpfung oder gar Schmerz war. Für Valentina hielt nun jeder Tag eine neue Entdeckung bereit und sie sog alles Neue in sich auf wie ein Verdurstender das Wasser. Auf dem Mars hatte sie sich, nachdem die Aufbauarbeiten abgeschlossen gewesen waren, fast die ganze Zeit im hydroponischen Garten aufgehalten und sich dort um die Pflanzen gekümmert. Ihr Duft und, als sie reif waren, auch ihr Geschmack hatten ihr schnell gezeigt, wie fade und gleich das replizierte Essen doch war, mit dem sie bisher vorlieb hatte nehmen müssen. Jetzt, hier auf dem neuen Planeten, der wie auch die Stadt den Namen Atlantis trug, lebte sie ihr Leben wie im Rausch. Sie ging ihrer Arbeit in den Gewächshäusern nach und wenn sie dort fertig war, erforschte sie die nähere Umgebung der Stadt. Sie kletterte bis zur Krone der höchsten Bäume, schwamm durch